Erzählen Geschichten von Fleisch und Gemüse

Fruchtfleischgeschichten

Es gibt kein richtiges Essen im falschen. Wo das Leben nicht lebt, schmeckt das Schnitzel nicht, und jeder Bissen Tofu verewigt das perennierende Leiden. Heiko Werning, Toni Mahoni und Peter Parkster erzählen Geschichten aus der Zeit kulinarischer Nachhaltigkeit.

Tag des Milchleids

Heute ist der 1. Juni.
Der 1. Juni ist der »Internationale Tag der Milch«. Sagt die FAO, die Welternährungsorganisation.
Der 1. Juni ist der »Internationale Tag des Milch­leids«. Sagt PETA, die Tierrechtlerorganisation.
Ratlos stehe ich vor meinem Kühlschrank und blicke auf die Packung Milch darin. Das Verfallsdatum naht. Die Milch könnte sauer werden. Ob sie schlimm leiden muss?
Auf der Homepage www.peta.de/milchmachtkrank finden sich »8 Gründe, Milchprodukte vom Speiseplan zu streichen«. Zusammengefasst: Milch ist die weiße Hölle. Man stirbt an ihr, früher oder später. Früher oder später werden wir alle sterben, sicher, aber dass ausgerechnet Milch schuld daran ist? Doch, die Milch macht’s. Krebs zum Beispiel: »Einige Krebsarten wie beispielweise Eierstockkrebs wurden bereits mit dem Konsum von Milchprodukten in Verbindung gebracht. Laut einer Studie von Dr. Daniel Cramer kann der Konsum von Milchprodukten negativen Einfluss auf die Eier­stöcke der Frau haben.« An Osteoporose ist Milch auch schuld, an Diabetes und Herz-Kreislauf-­Erkrankungen sowieso, es ist ein Wunder, dass überhaupt noch Menschen leben. Mich würde nur interessieren, wie diese Studien eigentlich zustande gekommen sind. Haben die geguckt, wie die Krebs-, Osteoporose- und Diabetes-Patienten sich ernährt haben? Und dann festgestellt: »Donnerwetter, die haben ja alle Milch getrunken, Milch ist der totale Horror«?
Und so schreibt PETA auf www.milch-den-­kuehen.de: »Milch – der totale Horror«. Doch zum Glück gibt es Hoffnung: »Als Antwort auf den Milchbauernstreik und die damit verbundene Verknappung der Milchreserven liefert PETA Deutschland e.V. die Lösung: Sojadrink. ›Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Sojadrink die Kuhmilch ablöst‹, so Tobias-Jan Hagenbäumer von PETA.«
Wer Milch trinkt, quält Tiere, und wer Tiere quält, quält auch Menschen. Als beispielsweise ein Drogenkranker einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke warf und eine Autofahrerin dadurch tötete, fragte PETA: »Hätte der Holzklotz-Mord verhindert werden können? Täter war schon als Tierquäler auffällig.« Und zwar nicht mal nur durch Milchkonsum, sondern: »Mittlerweile wird bekannt, dass der Holzklotz-Täter von Oldenburg in der Vergangenheit schon mal eine Katze tierquälerisch behandelt hat. Da das Tier nicht umkam und wohl auch keine größeren Blessuren davontrug, wurde diese tierfeindliche Einstellung des Täters nicht weiter beachtet. Die Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e.V. fragt sich nun, ob der heimtückische Holzklotz-Mord nicht hätte verhindert werden können.« Das sind so Fragen.
Auch Natascha Kampuschs Peiniger war einschlägig auffällig: »Zeitungsmeldungen zufolge wurde Priklopil beobachtet, wie er in seinem Garten saß und mit einem Kleinkalibergewehr auf Vögel schoss und offensichtlich Spaß dabei hatte, wie die Tiere hilflos, einbeinig und schwer verletzt zusammenbrachen und starben. Priklopil sei zwar vernommen worden, leugnete jedoch die Tat.« Woraus PETA schließt: »Frau Kampusch hätte womöglich früher gerettet werden können, hätte man die Anzeige wegen Tierquälerei zwei Jahre nach Nataschas Verschwinden ernster verfolgt.«
Aus Milchtrinkern werden also Schwerverbrecher. Nur, was tun mit all den zukünftigen Massenmördern? Jeden Jugendlichen wegsperren, der mal als Kind sein Meerschweinchen vernachlässigt hat? Unterbringungsmöglichkeiten gäbe es dann immerhin genug – die Ställe für Milchkühe wären ja frei und neu zu besetzen.
Aber Tierrechtler sind keine Unmenschen, im Gegenteil. Pressemitteilung PETA: »Die Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e.V. möchte die drei Jugendlichen, die am Mittwoch Abend an einem privaten Fischteich in Helpenstell Goldfische getötet haben, zu Vegetariern machen. Aus diesem Grund lässt ihnen die Organisation eine Fisch-Informationsmappe und eine vegetarische Starterbroschüre zukommen.« Diese Fisch-Informationsmappe wird den Jugendlichen ganz neue Welten eröffnen: »Fische sind clever, schmerzempfindlich und sensibel, fühlen Angst, Freude und Stress. Sie gründen Familien und schließen Freundschaften. Sie spielen sogar Fußball.« Man hätte es ahnen können: Kaum wird dieser Frauenfußball salonfähig, brechen alle Dämme.
Insgesamt leben die PETAner ganz nach dem Motto: Wenn dir jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm ein vegetarisches Starterkit hin. »Die Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e.V. möchte Mertino A., den Fast-Kannibalen aus Cottbus, zum Vegetarier machen. Aus diesem Grund hat ihm die Organisation am Montag ein vegetarisches Starterkit auf das Landgericht in Cottbus geschickt, wo derzeit seine Verhandlung läuft. Aus Presseberichten geht hervor, dass Mertino A. versucht haben soll, eine Frau zu beißen, ›um zu wissen, wie sie schmecke‹ (…) Die Organisation hofft, dass der junge Fleischliebhaber in Zukunft davon absehen wird, Frauen anzugreifen, um sie zu essen, denn Menschen, die ihres Fleisches wegen getötet werden, leiden sicher genauso wie die 570 Millionen Tiere, die in Deutschland Jahr für Jahr ihr Leben unfreiwillig verlieren.« Kannibale ist eben Kannibale, ob er nun Stücke aus saftigen Säuen reißt oder aus fleischigen Cottbusserinnen, es ist ja im Grunde das Gleiche. Hätte dem ostdeutschen Frauenfreund aber jemand gesagt, dass es auch leckeres Gemüse gibt, das zudem auch noch gesünder ist, er hätte bestimmt nicht zugebissen: »Da Sie angeblich ›Gier nach Fleisch‹ empfinden und ›Frauen aufessen‹ möchten, hilft es Ihnen vielleicht zu wissen, dass es hervorragende, vegetarische Gerichte gibt, die denselben Geschmack haben wie Fleisch, aber ohne den Nebengeschmack von Grausamkeit und ohne Cholesterin«, so PETA Deutschland e.V. in seinem Brief an Mertino A. Das Cholesterin-Problem von Kannibalen gehört ja ohnehin zu diesen letzten großen Tabus.
Sollten die goldfischquälenden Jungs und frauenverschlingenden Cottbusser trotz aller vegetarischen Starterkits nicht auf den erlösenden Soja-Geschmack kommen, kann man sie ja immer noch einsperren. Ins Gefängnis von Aachen beispielsweise. Denn: »Wie steht es eigentlich mit vegetarischer Ernährung in deutschen Haftanstalten? » fragte PETA und präsentiert die »Top-10-Liste der vegetarierfreundlichsten Gefängnisse«. Und Aachen ist auf Platz 1, denn hier gibt es »täglich Sojawürstchen, Sojaflocken, Sojagranulat, Sojamilch«.
PETA-Gründerin Ingrid Newkirk bat einstmals Jassir Arafat in einem Brief, keine Tiere mehr als lebende Bomben nach Israel zu schicken. Auf die Frage, warum sie nicht gefordert habe, einfach ganz mit den Anschlägen aufzuhören, antwortete sie: »Es ist nicht meine Aufgabe, mich in menschliche Kriege einzumischen.« Jedenfalls nicht, solange nicht aktenkundig wird, dass die Soldaten Milch trinken.
Der 1. Juni. Heute ist also der »Internationale Tag des Milchleids«. Ich setze ein Zeichen der Solidarität. Beherzt greife ich in den Kühlschrank – darauf ein Gläschen Milch.
Heiko Werning

Fleisch!

Nur die allerstärksten Mägen
Trauen beim Kauen sich zu erwägen
Dass die ganzen Köstlichkeiten
Tiere waren zu andern Zeiten

Das Pfingstfest rückte heran, erste Anmeldungen für Prollwitz flatterten bei Felix rein. Fast der gesamte Berliner Chaotenclub freute sich auf drei angeblich entspannte Tage auf dem Land. Angenehme Badestunden, kühle Biere und jede Menge Gegrilltes waren Aussichten, die einen lockten.
Da kam mir die Idee. Ich rief Manni in Prollwitz an, um ihm davon zu erzählen.
»Schlachtefest?« Manni klang sofort abgeneigt. »Nee, doch nich, wennt so heiß is, dat kannst in Herbst tun, kannst dat, nich wennt so heiß is nich!«
»Aber wieso denn? Wir essen doch alles weg auf der Stelle! Da kommen bestimmt dreißig bis vierzig Leute aus Berlin diesmal, die grillen doch da eh immer ’n halbet Schwein weg.«
Manni schnaufte. »Ja dat kost aber auch ’ne Ecke wat.«
»Wie viel denn unjefähr?«
»Schwein bei zwei Zentner krichst nich unter zweihundert, und der Metzger kost dich auch noch hundert mindestens, nich!«
»Na denn machen wa doch dit allet selber. Hol­ste nur dit Schwein, Wurst machen wa ­alleene.«
»Jut, tschö, Toni, rufste an denn morjen oder so!«
»O. k., machet jut, Manni!«
Zweihundert Euro für hundert Kilo Schwein! Das is doch ’n Schnäppchen, und mit Mannis Landmannerfahrung ist allet im Nu zu grillfertigen Nackensteaks, Koteletts und Schnitzeln verarbeitet! Sülze! Leber und Blutwurst und vor allem Bockwürste! Ich geriet in Blutrausch, in Wursttaumel. Zweihundert Euro gaben wir sonst eh für die Mengen an Grillfleisch aus, die an so einem Pfingstwochenende verdrückt wurden. Ich begann herumzutelefonieren, um die Kohle einzutreiben.
Am übernächsten Abend meldete Manni sich. »So, Toni, ick hab die Sau.«
»Wat, ehrlich? Is ja super! Denn könn wa ja loslegen Freitach!«
»Ja«, sagte Manni.
»Wat los? War teuer?« Manni hörte sich geknickt an.
»Nee, normaler Preis hier bein Bauern jegenüber. Der hat die Sau verkooft an mich, hatter. Die kommt zweieinhalb Zentner, hatter zweihundertfuffzich für jenommen für die Sau.«
»Und is wat nich in Ordnung, Manni, du wirkst so, äh, jeknickt?«
»Nö, nö, die Sau jehts jut, die rennt hier rum auffa Wiese.«
Ich schluckte unwillkürlich.
»Die rennt rum, die Sau? Die lebt noch? Ick dachte  …  ick dachte, man holt die so in Hälften ab oder so. Nich?«
»Nee.«
»Ach.«
»Jor. Nu isse hier, die Sau. Nu könnt kommen und dootmachen und wegschlachten, allet.«
»Ach.«
Ich wusste nicht viel mehr zu sagen und verabschiedete mich. Irritiert ließ ich die Beine vom Küchentisch baumeln, auf dem ich hockte. An ein lebendes Schwein hatte ich nicht gedacht.
Keine Ahnung, wieso. Alles schien klar mit einem Mal. Ob es schon einen Namen hatte? Wie alt war es? Fühlte es sich jetzt wohl auf der Wiese in Prollwitz? Ich schlappte rüber in unser Zimmer und tippte der computerspielenden Peggy auf die Schulter. »Hm. Wat los?« fragte sie, ohne aus ihrem Kampfjet auszusteigen.
»Ick gloob, ick hab Mist jebaut, Peggy.«
»Echt? Wat denn?«
»Also ick wollte ’n Schlachtefest machen in Prollwitz, Pfingsten jetzte.«
»Oh, fantastisch!« summte die kleine Vegetarierin.
»Und hab bei Manni ’n Schwein bestellt.«
»Toll!«
»Jetzt rief er an und sagte, dasset noch lebt. Steht da uffde Wiese und is quietschvergnügt.«
»Und?« Sie sah mich verständnislos an.
»Na, et lebt noch!«
»Dit hat Schlachten so an sich, dass erst wat lebt und denn zerhackt wird.«
»Ick dachte aber, wir machen Wurst und grillen und so. Nich ’n Blutbad. Ick gloobe, dit kann ick nich.« Ich zuckte bei dem Gedanken. Wie tötet man überhaupt so ein Schwein? Peggy setzte sich neben mich und berührte meinen Arm.
»Siehste, Mahoni, jetzt haste die Wahl. Du musst töten, um dein ollet Fleisch zu essen. Oder du lässtet bleiben und futterst ’ne schöne Gurke. Das ist einfach die Entscheidung, die sie euch abnehmen, die großen Fabriken, die Massentierhaltung, die glitzernde Fleischthekenwelt, die Werbung. Nie sieht man in der Werbung, wie die Schweine abgeschlachtet werden. Man sieht nur Produkte, Produkte, Produkte. Und ihr Fleischfresser stopft alles in euch rein, macht Witze über Vegetarier und haltet euch für starke Krieger. Aber einmal einem denkenden Wesen in die Augen sehen und es abstechen, um es zu fressen, und schon isset vorbei mit dem Heldenmut! Da habt ihr Angst. Und dann macht ihr einfach weiter. Obwohl ihr wisst, ihr könnt es nicht, fresst ihr weiter Tiere, ohne zu wissen, wie sie aussahen, wo sie herkamen, wer ihre Mörder waren. Ihr fresst einfach die Produkte einer riesigen Mörderindustrie! Und zu Hause streichelt ihr eure Kaninchen und seid zu feige, ein verdammtes Schwein zu killen!«
Peggy war aufgestanden und gestikulierte herum. »Nu scher mich doch bitte nich mit allen Fleischfressern über een Kamm! Ick wollte dir von meinem janz persönlichen Dilemma erzählen, nich über die janz große Scheiße reden. Ick koof ja nu schon extra Biokacke, ick mach ja und tu!« Ich drückte die Kippe aus und schnappte mir eine neue.
»Dit is aber immer die janz große Scheiße! ­Jenau darum jehts doch! Um allet jeht dit. Immer. Um konsequentet Verhalten! Man muss sich wehren gegen die große Scheiße, sonst wird man selbst ’n Teil davon! Und Biofleisch hat ooch mal jelebt!«
»Du hast ja recht«, gab ich zu. »Aber andrerseits zwingste mich jetzt geradezu, dit Schwein zu schlachten! Du gloobst doch nich, dass ick jetzt wegen dieser Sache für immer uff Fleisch verzichte.«
Peggy nickte. Sie setzte sich wieder und streichelte meine Hand.
»Überleg’s dir …« Sie fuhr mit den Fingern über meinen Handrücken.
»Noch klebt kein Blut an diesen Händen …«
»Also weeßte!« Ich löste meine Hand aus ihrer und schmollte in die andere Richtung. Dann muss das Schwein eben dran glauben.
Wie viel Schweine hatte ich wohl schon gegessen in meinem Leben? Auf eins im Jahr kam ich bestimmt. Zwanzig, dreißig Schweine waren schon durch meinen Körper gewandert und ebenso viele sollten mindestens noch folgen, wenn alles klappte.
Sollte diese Sache hier die Berechtigungsprüfung sein, dann musste ich tun, was zu tun war.
»Na, wir werden sehen, was passiert. Das Schwein ist dort, wir fahren hin und der Rest muss sich zeigen.«
Peggy zog den Bademantel fest um sich.
Ich frühstückte alleine und dachte daran, dass alle Freunde von mir instruiert worden waren, kein Fleisch mit nach Prollwitz zu bringen, da ich ein Schwein besorgt hatte. Vielleicht sollte ich sie anrufen und ihnen die Lage noch einmal neu erklären. Gute Nachricht: Schwein ist da. Schlechte Nachricht: Wir müssen’s noch töten. Etwas in mir entschied sich dagegen und für einen weiteren Kaffee.
Dann rief Felix an. Felix rief selten an, er ist nicht gerade als Quatschtante verschrien.
»Ich hab hier ’n Schwein aufm Hof, Mahoni«, sagte er trocken.
Ich grunzte.
»Hab gehört, es ist dein Schwein. Ziemlich niedlich.«
»Ja, Felix, ick wusste nich, dass Manni ’n lebendet Schwein besorgt. Ick hatte nur dit Fleisch im Kopp, bin grad so uff ’nem Bockwurstfilm.«
»Manni hat gesagt, du willst selber schlachten.«
»Hat er das?« Ich schloss die Augen.
»Is echt ’n süßes Schwein. Total zutraulich.«
»O nein!« entfuhr es mir. Felix amüsierte sich sicher festlich drüben in Prollwitz.
»Gestern Nacht war ihm allerdings ’n bisschen kühl, is halt Stallwärme gewohnt und wir hatten hier nix Richtiges für sie. Hat erbärmlich gequiekt die Nacht über.«
»Oh. Is ’ne Sie, ja?«, sagte ich.
»Ja, voll süß, die Sau, dit wird dir nicht leichtfallen. So hübsche Wimpern und so rosig.«
»Oh, Mann! Ich wollte ja gar nich …«
»Na Manni hat für dich jedenfalls schon ’n Bolzenschussjerät besorgt, dann musste nich mit ’n Beil rumsauen. Damit geht’s dann echt schnell und sauber.«
»Echt!?«
»Ja. Du kommst am besten schon mal heut Abend her, damit de dich vorbereiten kannst, is ja ’ne ziemliche Arbeit, und wenn wir morgen Abend grillen wollen, dann musste schon früh anfangen.«
Verzweiflung auf meiner Seite.
Wir rollten auf den Hof, und anders als sonst rannte ich nicht sofort vergnügt in alle Ecken, sondern trottete träge über den Rasen. Vom Schwein keine Spur. Vielleicht hatte sich Manni ein Herz gefasst und es schnell selber um die Ecke gebracht?
»Toni, Toni! Hahaha.« Von der Wiese hinterm Haus kam Manni angestapft und winkte fröhlich.
»Hast schon dei Sau juten Tach jesagt? Toni!« rief Manni laut, freute sich und kam lachend näher. Hinter ihm bottete ein prächtiges rosa Schwein, viel kleiner, als ich mir vorgestellt hatte, aber eine echte Schönheit. Plötzlich spurtete die Sau ein Stück voraus und kam als Erste bei mir an, schnüffelte an meinem Fuß und grunzte lieb. Mahoni, der Henker. Manni ging mit ihr spazieren, wie mit einem Hündchen.
»Tach, Manni!« Wir schüttelten Hände.
»Na, wat sachst? Schönet Schweinchen hab ick dich besorcht, nich?« Ich nickte. Wie glücklich er war mit dem Tierchen.
»Bolzenschuss und allet hab ick dich ooch besorcht, Beil und Schüsseln und so Ausbeinmesser!« Er strahlte weiter und streichelte der Sau den Kopf.
»Cool, Manni, danke! An so wat hab ick noch jar nich jedacht!« sagte ich ehrlicherweise.
»Jor, jor!« Manni lachte und stapfte weiter.
»Komm, Schweinchen, schön futtern jetzt, schön Mohrrübe … !«
Ich atmete durch und lief ins Haus. Im Kühlschrank gab’s bereits kaltes Bier. Dem Himmel sei Dank! Immer neue, vollgepackte Autos tuckerten auf den Hof. Ein geschäftiges Treiben begann, Schlafplätze wurden verhandelt, der viel zu kleine Kühlschrank haltlos überfüllt, einige bauten Zelte auf. Alle freuten sich auf das Schwein.
»Und du willst dit selber schlachten?«
Ich winkte ab. »Mal sehn«, sagte ich, und: »Ja ja.«
Es wurde voll auf dem Hof. Im Hauptschiff waren bereits alle Betten belegt, auch das Häuschen am anderen Ende der Wiese war komplett mit Matratzen, Betten und Isomatten tapeziert, und dennoch kamen weitere Leute.
Peggy hatte Pierre dazu verdonnert, Kartoffeln zu schälen, sie und andere Frauen machten einen riesigen Quark mit den Kräutern vom Hof und frischen Frühlingszwiebeln. Gitarrengeklimper wurde schnell von wuchtiger Marleymucke aus den Scheunenlautsprechern übertönt, hier und dort qualmten die ersten J’s, Tauben und Schwalben flatterten über den Menschen. Barfuß und biertragend, federballspielend, schwatzend, Grüße und Küsse tauschend. Kleine Kinder, entstanden auf ebensolchen Treffen, purzelten lärmend durch die bunte Meute. Es fehlte eigentlich nur eins: ein rauchender Grill. Aber auf den wurde ja bewusst verzichtet, schließlich gab es morgen ein ganzes Schwein. Manni fühlte sich pudelwohl zwischen all den Städtern. Er kannte fast alle und frischte sein Bild über die Leute überall mit neuen Informationen auf. Die ihn nicht kannten, nahmen ihn staunend wahr. Ein echter Bauer, ein Mann mit schwieligen Händen und sonnenverbranntem Gesicht, der Mecklenburger Dialekt sprach und sich dennoch mit ihnen allen abgab. Ein kleines Wunder. Am Abend machte Felix auf der Wiese ein großes Feuer und alle, bis auf die ganz Kleinen, machten es sich darum bequem. Alle plapperten durcheinander, manchmal wurde es still, ab und zu lauschten alle nur einer Stimme, wie das halt so ist. Dann ging’s ums Schwein. Manni war der unbestrittene Kenner der Materie.
»Und Sülze kannst machen, nimmst Ohren un schön wat von Bauch und Rest, wat von die Knochen is und Zedder wech und dann kochst schön ein in großen Kessel.«
Er nahm einen kleinen Schluck aus seiner Flasche.
»Und schön ausbluten tust für wat für de Blutwurst is. Und dann machst schön Leberwurst von, machst Speck bei und wat so anfällt und Würze und dann tust das schön abschmecken und dann hast schön Leberwurst. Und Schmalz kannst machen, ach!«
Seine Augen leuchteten, die der anderen hingen gebannt an seinen Lippen. Das Schwein war hinter Manni ans Feuer getreten und ließ sich mit einem Seufzen nieder. Manni streichelte es ohne hinzusehen und wühlte zärtlich zwischen seinen Ohren.
»Und schön Schinken tust schneiden und Kotelett. Und Eisbein machst und Spitzbein. Und die Knie kannst auch mitkochen bei die Sülze mit, schön, nich! Und die Bäckchen hier von Kopp wech machst zarte Wurst von. Und wenns Bockwurst machen willst, machst feinet Brät in Fleischwolf. Wo wir Kutter sagen. Feinet Brät vom Kutter machst. Schön mit Eis bei. Und Räuchern kannst tun allet und Dauerwurst kannst von machen und einwecken kannst und friern inna Truh. Kannst allet machen von dat kleene Schwein, nich?«
Manni tätschelte die Sau. Die grunzte lieb zu seinen Füßen. Ich hatte ziemlichen Appetit bekommen bei seiner Erzählung, auch die anderen sahen das Schwein mit verändertem Blick an. Peggy neben mir blieb still.
Niemand riss einen Witz darüber, dass das Schwein sich so wohl in unserer Runde fühlte, während wir seine Zerlegung besprachen. Eine leichte Betretenheit, gemischt mit Blutdurst, war zu spüren. Ich wurde jedenfalls völlig mit Fragen verschont, niemand wollte mit mir über die morgige Tötung reden. Ich auch nicht. Ich war ein Aussätziger. Ich war der Henker. Hätte Manni das Tier schlachten wollen, wäre es sicher leichter gewesen. Dann hätte es das natürliche Flair der bäuerlichen Notwendigkeit gehabt. Dass aber einer von ihnen seine erste Schweinehinrichtung übernehmen wollte, hatte etwas Perverses an sich. Ich begann, mich in der Runde unwohl zu fühlen, und ging ins Bett. Peggy blieb bei den anderen am Feuer.
Ich wachte mit dem Hahn auf, es war sechs Uhr dreißig. Im Hof war es kühl, die Wiese war feucht. In einer dichten Gruppe staksten die Hühner umher; ich machte Kaffee. Rauchend saß ich vor dem Haus auf der kleinen Treppenstufe und dachte nach. Worte wie »Mannesprüfung » und »Scheideweg« spukten mir durchs Hirn. Reiß dich zusammen, Mahoni. Alle erwarten von dir, dass du das Schwein auch schlachtest, das du besorgt hast. Ich stutzte. Das könnte ein neues Sprichwort werden. Da saß ich nun und reimte.
Kannst du nichts im Schacht erkennen, solltest lieber schlachten können.
Blödsinn! Wie wär’s mit: Willst am Abend lecker Brät, brauchst ein Bolzenschussgerät.
Oder: Süß dein Schwein, groß dein Herz, stirbst vor Hunger, nicht vor Schmerz. Ha! Das war’s doch. Die Reimerei war echt aufmunternd. Manni stapfte in gelben Gummistiefeln über den Hof und warf den Hühnern Körner hin. Sofort kamen sie angeflitzt und stürzten sich mitleidlos über die Pflanzenembryos her. Auch brutal.
»Ach, Toni, bist ja schon wach!« Manni kam angewackelt.
»Kannst gar nich abwarten, die Sau zu stechen, was? Hahaha!«
Ich nickte.
»Na wart mal noch auf paar mehr Hände. Muss man ja auch gut festhalten, die Sau. Is ja kräftig, nich!« Ich nickte. Manni stapfte weiter zu den Pferden, ich blieb sitzen und rauchte. Die Sonne kam in den Hof, der Hahn krähte ein zweites und drittes Mal, und langsam regte es sich im Haus. Die ersten Morgenmenschen purzelten auf die Wiese. Gespräche, die nur der Morgen mit sich bringen kann, folgten. Kaffee­bekenntnisse, Tabakverleih, Brötchensuche. Gegen neun Uhr waren die meisten auf den Beinen und Manni begann, Gerätschaften aus dem Schuppen zu holen. Eine breite Holzleiter war darunter, daran hing ein geschwungener Eisenhaken mit zwei weit auseinanderliegenden gebogenen Spitzen.
»Da tust die Sau nachher ranbammeln! Machst ’n Schlitz anne Beene, wo die Sehne is, und dann hängst uff. Übern Rücken musst puckeln, muss ’n andrer dann fummeln!« Ich verstand nicht so recht, nickte aber gedankenver­loren dazu. Mehrere hölzerne Wannen kamen zum Vorschein, zwei große Messer und zwei kleine, die Manni sofort beflissen wetzte. Ein kleiner Haufen hatte sich bei den Geräten versammelt, staunend wurde das alte Zeug begutachtet. Ich saß weiterhin auf meinem Treppenabsatz, rauchte wie in Trance. Ruhig, ruhig, ruhig. Wer hätte gedacht, dass das alles so anstrengend wird? Von der Sau war nirgends ­etwas zu sehen. Was hatte ich mir da für ’ne Scheiße eingebrockt? Eine fröhliche Pfingstrede hatte ich halten wollen. Eine Fleischfest-, eine Schlemmer- und Feierrede hatte es werden sollen. Stattdessen schwankte ich nun zwischen lauter hässlichen Vorstellungen hin und her, hatte schlechte Träume, eine sonderbar stille Freundin und Freunde, die mir nicht so richtig in die Augen sehen wollten.
Ich starrte vor mich hin und hoffte, dass nun alles ganz schnell gehen möge. Manni kam mit dem Bolzenschussgerät. Ein rostiges Ding, etwa so groß wie eine Pfeffermühle beim Italiener.
»Schau, hier is die Kugel!« Manni zeigte mir eine verrostete Murmel. Er zog das Ding auseinander, eine starke Stahlfeder kam zum Vorschein. »Denn legst dat Ding hier ein, denn tust drüberstülpen und feste zusammenpressen, bis einhakt. So!«
Manni reichte mir das Teil. »Jetz kannst abdrücken unten. Vorn Kopp knallen musst, nich!«
Damit stapfte er davon. Ich saß mit dem schweren Gerät in den Händen vor dem Haus. Peggy kam und stützte sich von hinten auf meine Schultern.
»Wat hast du denn da?«
»Bolzenschussjerät«, sagte ich mechanisch.
»O Gott, du ziehst dit echt durch?«
»Ja.«
»Hey, lasset doch Manni machen, ick hab dit nich so jemeint neulich. Du kannst doch nich mehr ruhig schlafen …« Peggy zupfte an mir rum. Die anderen bekamen die Szene mit, es war mir irgendwie peinlich.
»Ich hatte dich aber recht jut verstanden, Peggy. War ja allet richte, wat du jesagt hast.«
Peggy sah mich an und schüttelte den Kopf. »Du musst dit nich machen.«
»Ick weeß«, sagte ich.
Manni kam mit dem Schwein. Es ging zögerlich hinter ihm an einem Strick. Als es die Gerätschaften witterte, sträubte es sich sofort und wurde störrisch. Manni zerrte es weiter. »Komm, komm, Süße!« rief er. Dann pflockte er es an ­einen Haken in der Hauswand und winkte mir zu.
»Toni! Komm bei jetze! Musst vorn Kopp knallen schnell, dat wittert schon. Dat quiekt glei los wie angestochen! Schnell jetzt!«
Ich erhob mich mit dem Gerät, Peggy ließ die Arme sinken.
Das Schwein zerrte an seinem Strick. Alle traten ein Stück zurück.
Ich sah Pierres Gesicht, skeptisch, ich sah das verstörte Gesicht Drivers, viele wandten sich ab. Manni ging.
»Manni!« rief ich. »Du haust ab?«
»Jor!« Manni winkte ab. »Ick kann dat nich sehn, dat tut ma leide tun!« Und stapfte davon.
Dann stand ich vor der Sau. Hob das Bolzenschussgerät.
Das Schwein tat mir leid. Ich tat mir leid. Die Leute taten mir leid. Das war es nicht wert. Deutlich spürte ich, dass ich es nicht töten wollte. Aber was ist dann mit dem Fleischkonsum? Was mit den Wahrheiten, die Peggy gepredigt hatte? Ich sah zu ihr. Sie schüttelte den Kopf. Ich lächelte sie an und leckte mir mit der Zunge über die Lippen. Ich erwachte. Die Knarre sank, ich drehte mich zu den Leuten um.
»Freunde!« rief ich mit lauter Stimme. Innerlich vibrierte alles.
»Freunde! Wollt ihr, dass ich dieses Schwein töte?« Ich deutete mit dem Bolzenschussgerät auf die nunmehr kläglich quiekende Sau. Die blassen Freunde um mich schüttelten betreten die Köpfe.
»Wollt ihr, dass ich rüber zum Supermarkt fahre und Grillfleisch und Würste kaufe?«
Eifriges Nicken.
»Dann will ich euch etwas erzählen«, hob ich an. »Dann will ich, dass ihr Folgendes wisst: Man muss nicht schreiben, wenn man lesen will!«
»Ja!« riefen die Freunde.
»Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft!«
»Ja!«
»Man muss keine Kanalisation bauen, nur weil man mal kacken muss!«
»Genau!«
»Man muss nicht arbeiten, wenn man Geld braucht!«
»Ja?« fragten meine Freunde.
»Na ja, schlechtet Beispiel! Aber ihr wisst schon! Schlachten muss der Schlächter, essen kann jeder! Es lebe das Schwein!«
»Ja!« riefen alle. Sogar Peggy.
»Pfingsten, Freunde! Ein Fest im Sommer! Für alle Herrlichkeiten bereit, lasst uns zusammen mit der Sau feiern! Lasst die Sau leben!«
»Ja, ja!«
Später fuhr ich zum Supermarkt an die Fleischtheke und kaufte für Unsummen Kamm, Koteletts und Würste.
Toni Mahoni

Tagebuch eines Vegetariers

Vorwort
Lieber Leser, ich schreibe diese Zeilen, nachdem ich eines Sonntagnachmittags im Fernsehen eine Dokumentation über die Art der Schweinetransporte in Europa gesehen habe (»Das dreckige Geschäft der Schnitzelmafia«, RTL2). Ich war empört, fassungslos, schockiert! Dieser Bericht veranlasste mich zu einem Experiment, welches sich in ungeahntem Ausmaß auf mein Leben auswirken wird, da bin ich mir sicher – ich werde Vegetarier! Das widerwärtige Geschäft der fleischverarbeitenden Großbetriebe wird nicht länger von mir unterstützt!

Sonntag
Es ist so weit, der erste Tag ist gekommen – ab heute werde ich Vegetarier sein! Vegetarier und glücklich. Mich nur noch wurst- und fleischlos ernähren und trotzdem gesund und rundum zufrieden sein. Wer braucht schon Salami, Würstchen, Steak, Schnitzel, Hackbraten, Geschnetzeltes, Bolognese, Brathähnchen, Gulasch oder Döner? Ich jedenfalls nicht. Dem Alkohol entsage ich auch gleich, ist eh schlecht fürs Gehirn. Ab heute lebe ich gesund.

Montag
Das Frühstück war total lecker. Vollkornbrot mit Dinkel, belegt mit Emmentaler und danach eine kleine Schale Quark. Ich vermisse den Schinken kein bisschen. Warum hab ich bloß früher immer über Vegetarier gespottet? Habe immer behauptet, dass die kraftlos wären, aber das ist totaler Quatsch. Ich strotze nur so vor Energie. Ich freue mich auf meinen Salat zu Mittag. Mit frischen Radieschen, Gurken und leckerem Dressing. Heute Abend gibt es eine Schale mit frischem Früchtequark und danach ein alkoholfreies Bier. Gesund zu essen, ist ein Genuss.

Dienstag
Frau Meier aus der Buchhaltung wird heute fünfzig und hat Pizza für alle mitgebracht. Leider nur Pizza mit Salami oder Schinken. Dabei hab ich doch erzählt, dass ich jetzt Vegetarier bin. Ich popele die Salamischeiben von meinem Stück runter und lege mir stattdessen von meinem mitgebrachten Brokkoli drauf. Ist zwar etwas ungewohnt, schmeckt aber auch. Die anderen aus der Abteilung beobachten mich dabei und fangen dann an zu tuscheln. Die sind bloß neidisch auf meinen Durchhaltewillen, die Weicheier. Das haben sie mir wohl nicht zugetraut. Abends Clausthaler.

Mittwoch
Tag vier als Vegetarier. Hatte eine sehr unruhige Nacht. Habe von Schweinebraten geträumt und beim Aufwachen war das ganze Kissen voll Speichel. Ich habe ein Brötchen mit Tofu-Wurst gefrühstückt, aber irgendwie schmeckt das so, wie es aussieht. Die Kollegen meinen, ich sehe total angespannt aus und wirke ziemlich gereizt.
»Kein Wunder«, sage ich, »hab ja auch beschissen geschlafen, ihr Kackbratzen!«
Man geht mir den Rest des Tages aus dem Weg. Vor dem Schlafen gönne ich mir erst mal ein Entspannungsbad, bin total erledigt und fühl mich irgendwie kraftlos. Steige in die heiße Wanne und öffne ein alkoholfreies Bier.

Donnerstag
Ich erwache um kurz nach zehn in der Badewanne. Das Wasser ist kalt, Kreislauf und Stimmung sind tiefer als die Mundwinkel von Angela Merkel, und mein Magen knurrt mehrstimmig. Zum Frühstück gibt es Quark. Schon wieder. Fahre mit Brechreiz ins Büro.
»Oh, heute mal etwas später dran?« fragt mich Herr Schultz, der ältere Pförtner, und lächelt.
Dem alten Sack würde sonst nicht einmal auffallen, wenn neben ihm eine Landmine hochgeht, aber heute muss er hier den Sherlock Holmes raushängen lassen, was? Mein erhobener Mittelfinger zeigt ihm, was er mich kann! Scheiße, hier riecht’s immer noch nach der Dreckspizza vom Dienstag. Schicke der alten Meier eine Mail, dass sie nächstes Mal was Geruchsneutrales mitbringen soll, wenn sie den Zweiundfünfzigsten auch erleben will. Möchte abends wieder Bier trinken  …  bekomme aber die Flasche nicht auf. Trinke leise weinend Tomatensaft.

Freitag
In meinem Traum diese Nacht hat eine Gruppe Weißwürste einen Döner als »Scheiß-Ausländer!« beschimpft, mit Löwensenf beschmiert und mit Baseballschlägern aus Nürnberger Bratwürsten niedergeknüppelt. Bin wieder verkatert aufgewacht und habe Augenränder, schwärzer als die Seele von Judas Ischariot. Zum Frühstück Toast mit Gouda, denn Quark kann ich nicht mehr sehen, und Tofu weckt in mir den Drang zu töten. Habe Lust auf ein Brötchen mit Zwiebelmett. Ohne Brötchen und Zwiebeln.
Alle im Büro tuscheln über mich, weil sie denken, dass ich es nicht mitbekomme. Tu ich aber. Blumenkohl stärkt das Hörvermögen, aber das wissen diese Scheiß-Schnitzel-Nazis nicht. Als ich nach Feierabend am Pförtnerhäuschen vorbeikomme, sehe ich, dass der Schultz an seinem Monitor eingeschlafen ist. Sieht ganz friedlich und brav aus, wie er so schlummert. Schleiche mich rein, klebe seinen Schlips am Tisch fest und male ihm mit Edding einen Penis auf die Stirn. Mache dann ein Handyfoto davon und werde ihn damit erpressen.

Samstag
Bin gegen vier Uhr in der Früh aufgewacht, nachdem in meinem Traum eine Horde Bratwürste in zügellosem Kannibalismus über einen Stamm Cordonbleu hergefallen ist und anschließend von einem gigantischen Hacksteak gefressen wurde. Lag anschließend fünfeinhalb Stunden wach und zählte die kleinen Knubbel in meiner Raufasertapete.
Sind 12 324 839! (Hab zur Sicherheit zweimal gezählt.)
Der Joghurt ist nun auch alle. Suche gegen zehn Uhr den Supermarkt auf, wo mich direkt hinter dem Eingang eine Frau an einem Probierstand anspricht, ob ich denn nicht die neue leckere Tofu-Wurst probieren wolle.
Um 10.04 Uhr entkomme ich nur knapp dem Security- Personal des Supermarktes, nachdem ich diese fette Ische an ihrem Stand mit einem Ring Tofu-Fleischwurst verprügelt habe. Die behauptet nie wieder, dass der Dreck gut für die Gesundheit ist. Da ich auf der Flucht mein Portemonnaie verloren habe, klau ich beim Gemüsehändler an der Ecke eine Stange Sellerie und knabbere die heimlich in der großen Hecke beim Stadtpark.
Ich habe meine Verfolger abgehängt und will gerade nach Hause gehen, als mir der stinkende Köter einer kleinen Göre ans Hosenbein schifft. Beim Versuch, nach ihm zu treten, fällt mir etwas auf … die Scheiß-Töle … die sieht aus wie eine Salami …

Ich habe keine Ahnung …
… welchen Tag wir haben. Bin schon eine ganze Weile hier und eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Ich darf sogar Tagebuch schreiben, aber nur mit einem sehr stumpfen Buntstift. Hendrik und Uwe sind sehr nett zu mir, und die Pillen, die sie mitbringen, sind schön bunt und schmecken gut.
Peter Parkster

Abdruck mit freundlicher Geneh­migung des Verlags aus: Heiko Werning / Volker Surmann (Hgg.): ­Fruchtfleisch ist auch keine Lösung. Satyr-Verlag, Berlin 2011. 192 Seiten, 12,90 Euro. Der Band ist soeben ­erschienen.