Über den Roman »Alles inklusive« von Doris Dörrie

Mops im Pool

Ein Hauch von Pedro Almodóvar macht noch keine gute Geschichte: Doris Dörrie erzählt in ihrem Roman »Alles inklusive« von einem Mutter-Tochter-Konflikt im Alt-68er-Milieu.

Doris Dörrie, die zuletzt mit Filmen wie »Kirschblüten« und »Die Friseuse« auf sich aufmerksam gemacht hat, ist für die Deutschen eine Art Nationalheiligtum. Die Kritiken zu ihren neuesten Büchern und Filmen sind zumeist positiv und nehmen viel Raum in den Feuilletons ein. Als Frau und als Rezensentin bekomme ich automatisch ein schlechtes Gewissen, wenn mir ihre Geschichten missfallen. Vielleicht gehöre ich aber auch nur wie die Ex-Journalistin Susie in Dörries neuem Roman »Alles inklusive« zu jener weiblichen Spezies, die »einen harten Zug um den Mund hat, die weiß was sie will. Unsicher und herrisch. Wie so viele deutsche Frauen.« Na, danke auch.
Die klischeehaft daherkommenden Gestalten der Filmemacherin, Opernregisseurin und Autorin beginnen bereits nach kurzer Zeit zu nerven, ihre Oberflächlichkeit, ihr öder Narzissmus und ihre kleinbürgerliche Dummheit widern mich zuweilen richtiggehend an. Die plakativ gezeichneten Figuren funktionieren noch einigermaßen innerhalb des Kurzgeschichtengenres, die Romane der umtriebigen und durchaus sympathischen Autorin hinterlassen bei mir aber immer einen richtig schlechten Nachgeschmack. Es ist dann so, als hätte ich zuviel Trash-TV gesehen oder meine Brut mit Kalendersprüchen wie »Am Ende verlierst du« genervt. Genauso reden die hohlen Gestalten des Romans daher, es gelingt Dörrie einfach nicht, Figuren zu erschaffen, deren charakterliche Entwicklung einigermaßen tiefgründig und halbwegs nachvollziehbar ist.
Ihr neuestes Buch »Alles inklusive« ist ein Hybrid aus Kurzgeschichtenband und Roman und kann deshalb mit dem im Dörrie-Rezensionskontext üblichen Augenzwinkern als halbwegs gelungen bezeichnet werden. Doch worum geht’s denn jetzt eigentlich in dem aus vier unterschiedlichen Perspektiven erzählten und deshalb kurzgeschichtenhaft anmutenden Buch der preisgekrönten Expertin für »gemischte Gefühle«, wie die Zeit so freundlich schreibt? Ingrid, Hippie­mutter und Sexgöttin, lebt mit ihrer zwölfjährigen Tochter Apple am Strand von Torremolinos in Spanien. Apple ist nebenbei gesagt ein Name, den ich ganz in Ordnung finde, womit ich jedoch ziemlich allein auf weiter Flur stehe. Für viele Kritiker sind anscheinend bereits in der durchweg als albern empfundenen Namenswahl die Probleme angelegt, die das arme, antiautoritär vernachlässigte Hippiekind durchmachen muss. Aber ich schweife ab: Ingrid trifft nun auf den biederen Bankangestellten Karl aus Hannover, der mit Frau und Sohn Tim in einem Ferienhäuschen in Spanien weilt. So brutal zusammengefasst, finde ich die lächerliche Klischeehaftigkeit des trotz vermehrter Sonnenbestrahlung durchweg blass bleibenden Deutschen Karl noch unerträglicher. Ingrid und Karl verlieben sich – wie man so unschön sagt – mit Haut und Haaren ineinander, was schnell dramatische Folgen hat.
Dreißig Jahre später verschlägt es Ingrid, Apple und auch deren Freundin Susie wieder in das mittlerweile mit Hotelburgen zugebaute Örtchen im sonnigen Spanien. Susie möchte im Lieblingsland deutscher Urlauber ein Häuschen erwerben, in der Hoffnung, dort mit ihrem todkranken Mann Ralf eine Weile glücklich leben zu können. Das Kapitel »Orangenmond«, in dem Susie von der pfundigen Immobilienmaklerin Angelita, die vor einigen Jahren von Deutschland nach Spanien ausgewandert ist, verschiedene Objekte vorgestellt bekommt, gehört zu den besten Episoden, die dieses Buch zu bieten hat. Ein eingegipster Mops, der in den Swimmingpool fällt und reanimiert werden muss, ist Mittelpunkt der zweiten tragikkomischen Geschichte, bei der die Autorin dann auch zeigt, wie gut sie mitunter schreiben kann. Die derben Pointen sitzen, zumindest solange Dörrie nicht versucht, dem Leser irgendwelche Lebensweisheiten zu verkaufen. Einigermaßen plausibel ist auch die Geschichte von Tim, der als Tina versucht, sein Leben zu meistern. Die Schilderung seiner queeren Liebe zu Diego, ­einer Frau in Männerkleidern, verleiht der Handlung einen Hauch von Al­modóvar, was dem Buch guttut, in der sich abzeichnenden Verfilmung des Romans aber bestimmt nerven wird. Mich zumindest.
Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich bei bestimmten Passagen schmunzeln muss, et­wa bei dieser hier: »Wann ist man Deiner Meinung nach erwachsen? Kurz bevor man stirbt, will ich sagen, aber ich möchte sie nicht noch mehr deprimieren (… ) Wenn alle Pflanzen, die man zu Hause hat, noch am Leben sind, aber man sie nicht rauchen kann, sage ich stattdessen.«
Beim zweiten Lesen überwiegt aber plötzlich die Fremdscham. Vielleicht habe ich grundsätzlich ein Problem mit dem Lieblingsgenre der Dörrie: dem tragischen Kommödchen. Dem Genre treu, bringt sie die an und für sich spannende Thematik der möglichen Traumata und Anpassungsschwierigkeiten einstiger Hippiekinder herunter auf das Komödienformat. Apple, das komplizierte Kind der schlampigen Hippiemutter, bügelt sogar ihre Bettlaken und schläft zuweilen im Neurodermitits-Anzug. Ihre Hauptbeschäftigung besteht darin, der Mutter ihr »Leben von damals übelzunehmen«. Diese wiederum ist dauergenervt von der spießigen Art ihrer Tochter, ihrem Hang, »stets etwas zu vermissen«. Zu mehr Erkenntnis reicht dieser Sommerroman, in dem am Rande auch ein paar gestrandete afrikanische Flüchtlinge eine Rolle spielen, nicht.
Der Stoff hätte so viel mehr hergeben können, stattdessen scheint der Roman lediglich die belanglose Frage zu stellen, ob es einen All-inclusive-Anspruch auf Glück gibt. Vielleicht wird Dörries nächster Film mit dem Titel »Glück«, der im März in die Kinos kommt und eine Kurzgeschichte des in den Feuilletons omnipräsenten Strafverteidigers Ferdinand von Schirach adaptiert, eine Art Antwort darauf geben.

Doris Dörrie: Alles inklusive. Diogenes, Zürich 2011, 256 Seiten, 21,90 Euro