Slowenien: Mit 20 kommt die Krise

Hallo Krise, dober dan!

Vor 20 Jahren ist Slowenien von Jugoslawien unabhängig geworden. Nach einer Zeit des relativen Wohlstands ergeben sich nun immer mehr wirtschaftliche und soziale Probleme – und politische: Am Dienstag stürzte die sozialliberale Regierung.

Als Touristin oder Tourist fährt man am besten direkt vom Marktplatz aus mit einer gläsernen Standseilbahn den steilen Hang hinauf zur Burg von Ljubljana. Von oben hat man eine wunderbare Aussicht über die Stadt. Als am 25. Juni dieses Jahres der slowenische Staatspräsident Danilo Türk hier auf dem Hügel in der Kathedrale den 20. Geburtstag Sloweniens mit einem katholischen Gottesdienst feierte, waren die internationalen Gäste mit ihren schwarzen Karossen über eine kleine kurvige Straße den Berg hinaufgefahren. Am Abend fand dann noch unten im Parlament eine Sondersitzung statt. Insgesamt wurde der 20. Jahrestag der Unabhängigkeit Sloweniens nicht mit allzu großem Pomp begangen. An der angespannten Situation der slowenischen Wirtschaft hat es wohl nicht gelegen, obwohl dies tatsächlich besorgniserregend ist. Und dass immer wieder Fälle von Korruption und Wirtschaftskriminalität aufgedeckt werden, verbessert die Stimmung auch nicht.
Nicht nur innerhalb Sloweniens ist man beunruhigt. Auch Jean-Claude Juncker, Ministerpräsident von Luxemburg und Vorsitzender der Eurogruppe, der als bedächtiger Politiker gilt, verliert in jüngster Zeit schon mal die Contenance, wenn es um Slowenien geht. »Sofortige und brutale Entscheidungen« verlangte er kürzlich von der Regierung, um die öffentlichen Finanzen des Landes in Ordnung zu bringen. Die Staatsschulden dürften nicht weiter ansteigen, sonst könne Slowenien bald zum nächsten Pleitestaat Europas werden. Anlass für Junkers Ärger war der Ausgang eines Referendums im Juni über die Anhebung des Rentenalters von 58 auf 65 Jahre. Damit wollte die Regierung die Sozialausgaben reduzieren. Der Vorschlag wurde von der Bevölkerung jedoch mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Wegen der Niederlage haben zwei Koalitionspartner die Regierung des Sozialdemokraten Borut Pahor verlassen, was der Ausgangspunkt für die Abwahl des Ministerpräsidenten am Dienstag war.

Dabei galt das kleine Land mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern lange Zeit als wirtschaftlich und politisch sehr stabil. Als »Musterschüler« unter den Nachfolgestaaten Jugoslawiens wurde Slowenien schon 2004 Mitglied der Nato und der EU. Drei Jahre später wurde der Euro eingeführt. Deutschland hatte sich energisch für die Unabhängigkeit eingesetzt und ist heute mit einem Fünftel des gesamten Außenhandels vor Italien und Österreich der größte Wirtschaftspartner des Landes. Kein anderes Land aus Osteuropa wurde in den vergangenen Jahren von den Rating-Agenturen so gut bewertet wie Slowenien.
Dieser vermeintliche Erfolg basierte auch auf einer Politik, die die Schaffung attraktiver Investitionsbedingungen zum Ziel hatte. Ohnehin weckte die Region großes Interesse bei vielen Konzernen, waren nach dem Ende Jugoslawiens doch Privatisierungen zu erwarten. Slowenien, das glimpflich aus dem nur zehn Tage dauernden Unabhängigkeitskrieg im Sommer 1991 herausgekommen war, hatte dabei gegenüber Kroatien und den anderen ehemals jugoslawischen Republiken, die jahrelange, sehr grausame Kriege erlebten, einen Wettbewerbsvorteil.

Der Hafen von Koper spielt eine wichtige Rolle in der slowenischen Exportwirtschaft und wurde bereits 1996 privatisiert. Wie vielerorts ging dies mit einer Dezentralisierung und Flexibilisierung der Produktion einher. Schließlich versprechen prekäre Arbeitsverhältnisse mit ihren geringen Lohnnebenkosten größere Rentabilität. Zudem schwächen sie die Belegschaften langfristig in ihrer Fähigkeit, gemeinsam Interessen zu vertreten.
In Koper wurde diese Entwicklung auf die Spitze getrieben. 60 Prozent der Hafenarbeiter sind heute über Subunternehmen angestellt. Gegen diese Form der Arbeitsorganisation und ihre Folgen regte sich im August Widerstand. Nachdem die Kranführer in den Streik getreten waren, traten spontan auch die Arbeiter der Subunternehmen in den Arbeitskampf. Sie gründeten eine eigene autonome Gewerkschaft, der es nach acht Tagen immerhin gelang, ihre Anerkennung zu erzwingen – und Verhandlungen. Ein Novum, das von der slowenischen Linken mit viel Bewunderung und Solidarität begleitet wird. Die neue Gewerkschaft, die sich als basisdemokratisch versteht, muss nun Delegierte aus 43 Subunternehmen zusammenbringen und die Einbindung aller Betroffenen garantieren. In einer Situation, in der viele Arbeitsschichten durcheinandergehen und viele der Arbeiter kaum Freizeit oder Zugang zum Internet haben, ist das eine besondere Herausforderung.
Die Verhandlungen laufen noch. Sie sind ein Spiegelbild der allgemeinen sozialen Probleme. So fordern die Arbeiter nicht nur bessere Löhne und Arbeitsbedingungen sowie einheitliche Regelungen für alle, sie haben auch die sozioökonomische Dimension der Arbeitsorganisation im Blick. Sie verweisen darauf, dass die Unternehmen durch die prekären Vertragsverhältnisse Sozialabgaben effektiv umgehen, während die Arbeiter selbst kaum eine private Kranken- und Rentenversicherung bezahlen können. Davon profitieren ausschließlich die Unternehmen, die Folgekosten werden hingegen auf die Gesellschaft abgewälzt und soziale Verantwortung outgesourct. So steht der zunehmende Druck zum Sparen mit den sinkenden Staatseinnahmen und dem Anstieg der Staatsschulden in Zusammenhang.

Und seit der Finanzkrise wachsen die Staatsschulden kontinuierlich. »Wenn das so weitergeht, findet sich unser Land bald in der Position von Griechenland, Portugal oder Irland wieder«, meinte der slowenische Notenbankchef Marko Kranjec vor wenigen Wochen. Die Staatsschulden Sloweniens betragen derzeit knapp 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und haben sich damit innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt. Die Regierung habe bislang keine Vorschläge gemacht, wie sie das Haushaltsdefizit und den Schuldenstand reduzieren wolle, kritisiert nun die Rating-Agentur Standard & Poor´s, die deswegen mit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes droht. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Internationale Währungsfonds die Regierung dafür kritisiert, dass sie das Mindesteinkommen um 20 Prozent auf 562 Euro erhöht hatte.
Tatsächlich muss die Regierung nach eigenen Angaben jährlich 220 Millionen Euro einsparen. Wo sie diese Summe kürzen will, ist nach dem Scheitern der Rentenreform allerdings unklar. Slowenien steht mit diesen Problemen allerdings nicht alleine da. Ganz Osteuropa erholt sich nur langsam von der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. In Slowenien schrumpfte die Wirtschaft 2009 um acht Prozent, so viel wie in kaum einem anderen Land in Europa. Doch während in den westlichen EU-Ländern die Konjunktur bald wieder anzog, geschah in Slowenien nichts dergleichen. Ein Grund dafür liegt in der großen Abhängigkeit des Landes vom westeuropäischen Kapitalmarkt.
Wie die meisten anderen osteuropäischen Länder profitierte Slowenien lange Zeit von den günstigen Krediten, die vor allem von österreichischen, aber auch von deutschen und belgischen Banken vergeben wurden. Osteuropa galt als eines der letzten Wachstumsfelder im Bankgeschäft, die Margen waren dort deutlich höher als in den alten EU-Staaten. Mit der Finanzkrise endete dieser günstige Geldfluss abrupt, zugleich brach auch die Exportwirtschaft ein.
Symptomatisch für die Entwicklung ist die Krise der teilstaatlichen Nova Ljubljanska Banka (NLB), der größten Bank des Landes, die nur mit staatlicher Hilfe in Höhe von 250 Millionen Euro gerettet werden konnte. Der Bank machen vor allem hohe Außenstände bei staatsnahen Betrieben und Großkonzernen zu schaffen, die wegen der Wirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. So soll sie an den Baukonzern SCT, der Ende vergangenen Jahres Konkurs angemeldet hat, Kredite in Höhe von 100 Millionen Euro vergeben haben. Die großen Verluste der NLB könnten nun wiederum den Druck erhöhen, sie weiter zu privatisieren. Mit der belgischen Bank KBC hat sie bereits einen ausländischen Miteigentümer. KBC ist aber nur zu einer Aufstockung bereit, wenn sie dadurch die Kontrolle über das Institut erhält.

Die wirtschaftliche Krise korrespondiert in Slowenien, wie in anderen europäischen Ländern auch, mit einer politischen. Seitdem die sozialliberale Partei Zares und die Rentner-Partei die Mitte-Links-Koalition im Frühjahr verlassen haben, hatte Borut Pahors Regierung aus Sozialdemokraten und den 1990 aus dem sozialistischen Jugendverband hervorgegangenen, linksliberalen Liberaldemokraten (LDS) nur noch 33 von 90 Abgeordneten im Parlament hinter sich. Der ­sozialdemokratische Ministerpräsident ließ am Dienstag das Parlament nach einer achtstündigen Debatte nicht nur über fünf neue Minister für sein Kabinett abstimmen, sondern stellte zugleich auch die Vertrauensfrage. 51 der 88 anwesenden Abgeordneten stimmten gegen die vorschlagene Kabinettsumbildung und somit auch gegen die Regierung unter Borut Pahor. Vorgezogene Neuwahlen sind nun wahrscheinlich. Doch bis es dazu kommt, könnte viel Zeit vergehen, weil zunächst die Verfassung geändert werden muss. Die Regierungskrise in Slowenien wird sich in den nächsten Monaten fortsetzen, während sich zugleich die Krise der Wirtschaft weiter zuspitzt.
Am 27. Juni 1991, ein halbes Jahr nachdem sich in einem Referendum 88,2 Prozent der Slowenen für die staatliche Unabhängigkeit ausgesprochen hatten und zwei Tage nachdem die Unabhängigkeit ausgerufen worden war, rollten Panzer der jugoslawischen Volksarmee über die Grenze nach Slowenien. Im Oktober 1991 verließ der letzte gefangengenommene jugoslawische Soldat das Land. Seitdem hat sich Slowenien vor allem mit sich selbst beschäftigt und dabei politisch wie ökonomisch manche Höhen und Tiefen erlebt. Die größte Krise hat aber vermutlich gerade erst begonnen, und sie könnte sich am Ende als eine europäische herausstellen.