Gespräch mit Antifa-Aktivisten aus Ljubljana

»Selbstverteidigung organisieren«

Was treiben Nazis in Slowenien? Und was tun Linke dagegen? Die Jungle World sprach mit den antifaschistischen Aktivistinnen und Aktivisten Erna, Peter und Ivan.

Wie hat sich die slowenische Naziszene nach dem Ende des Realsozialismus entwickelt?
Peter: Faschisten tauchten das erste Mal Anfang der neunziger Jahre nach der Unabhängigkeit auf. Aber anfangs waren das in erster Linie eher unpolitische Skinhead-Gruppen. Mit der Zeit und durch internationale Kontakte entwickelten sich Organisationen. »Blood and Honour Slovenia« war die erste explizite Nazigruppe, sie entstand etwa 2001. Zu Beginn verwendete »Blood and Honour« in Slowenien die klassische, militante Ikonographie und das Image der Skinheads, die noch sehr stark in der Nazi-Szene waren. Dann entwickelte die Organisation Strategien für ihr öffentliches Auftreten, denn mit der bis dahin benutzten, explizit rassistischen und neonazistischen Ikonographie und dem Erscheinungsbild ihrer Mitglieder konnte sie nicht viel Unterstützung erlangen. Die wichtigste Entwicklung der vergangenen Jahre war, dass die Beteiligten den Skinhead-Look aufgaben und sich politisch eher als »Patrioten« darstellten.
»Blood and Honour« hatte offensichtlich auch Verbindungen zu einer anderen Organisation, der nationalistischen Gruppe »Tukaj je Slovenija« (»Hier ist Slowenien«). Diese fing an, junge Leute mit der Losung eines »positiven Nationalismus« zu rekrutieren. Es war klar, dass dahinter Nazis standen.
Gibt es viele Nazis?
Peter: Slowenien ist klein, daher ist auch die Szene nicht groß. Sie ist zurzeit aber auf jeden Fall stärker als jemals zuvor. Anfangs gab es nur einige Dutzend Nazis, vielleicht 50 Militante, aber inzwischen haben sie viel mehr Unterstützer, vor allem junge Leute wie etwa Schüler.
Erna: Sie sind gut organisiert. In allen größeren Städten Sloweniens findet man ihre Aufkleber und Graffitis. Sie sind sehr präsent, aber es ist schwer zu sagen, wie viele Personen wirklich der Szene angehören.
In Deutschland machen »autonome Nationalisten« einen Teil der Szene aus. Gibt es sie auch in Slowenien?
Erna: Ja, es gibt eine Gruppe, die sich »Avtonomni Nacionalisti« nennt. Sie hat ihr Erscheinungsbild und ihre Methoden direkt von den Deutschen übernommen.
Seit wann ist sie politisch aktiv?
Peter: Es gibt sie erst seit ungefähr einem Jahr. Einige Schlüsselpersonen, die seit Jahren in der Naziszene aktiv waren, haben sie gegründet.
In Deutschland fallen »autonome Nationalisten« häufig durch ihre hohe Gewaltbereitschaft auf. Sind sie auch in Slowenien eine Gefahr?
Erna: Ja. Sie machen diese Straßenaktionen, verbreiten also Aufkleber und Graffiti, überfallen aber auch Ausländer und Homosexuelle. In dieser Hinsicht sind sie sehr aktiv.
Peter: Im Moment sind sie auf den Straßen nicht so präsent. Aber in den vergangenen vier Jahren gab es viele offensichtlich organisierte Angriffe von Nazis. Ein Hauptziel ist die Gay Community. Jedes Jahr während des Gay Pride verüben Nazis Angriffe. Sie überfallen Leute nach der Parade oder vor Clubs. Der brutalste Überfall ereignete sich vor zwei Jahren während der Gay-Pride-Woche, das »Café Open«, eine LGBT-freundliche Bar, wurde angegriffen. Es fand eine Lesung statt, auch viele Kinder und alte Leute waren anwesend. Die Nazis kamen mit Schlagstöcken und Fackeln, zerstörten Fenster und attackierten Leute. Andere Angriffsziele sind alternative Kulturorte, zum Beispiel das autonome Zentrum Metelkova in Ljubljana, das vor allem vor drei, vier Jahren mehrfach attackiert wurde. Vor einiger Zeit haben Nazis auch jede öffentliche anarchistische Aktion außerhalb vom Metelkova angegriffen oder gestört, zum Beispiel Veranstaltungen an der Uni oder den Verkauf der anarchistischen Zeitung.
Wurde irgendjemand für den Überfall auf das »Café Open« verurteilt?
Peter: Ja, drei Angreifer wurden gefasst und angeklagt. Sie wurden zu anderthalb Jahre Haft verurteilt, haben die Strafe aber nie angetreten. Mittlerweile hat ein höheres Gericht die Strafe gemindert. Militante Nazis veranstalteten zusammen mit Fußballhooligans Solidaritätsdemonstrationen für die Verurteilten.
Haben Homophobie und Rassismus in der slowenischen Gesellschaft angesichts der Krise zugenommen?
Peter: Nicht angesichts der ökonomischen, sondern wegen der generellen Krise, der Perspektivlosigkeit unserer Generation. In einer solchen Situation gibt es immer welche, die die einfachsten Antworten anbieten, die von den Leuten dann auch angenommen werden.
Ivan: Es gibt zwei Kräfte, die enorm an Einfluss gewonnen haben. Einerseits die katholische Kirche, die homophob die Familie verteidigt. Und dann die rechtsextremen Parteien, nicht die großen, sondern die zweite Liga der Parteien, wie die Bauernpartei. Auch sie spielen diese Karte aus. Straßenhooligans schließen sich Protesten und Kampagnen an, wie zum Beispiel bei der homophoben Demonstration vor dem Parlament gegen das neue Familiengesetz im Juni diesen Jahres. Die Proteste waren organisiert von der katholischen Kirche und der Bauernpartei, es kamen auch Nazi-Hooligans.
Es gab vor zwei Jahren Proteste gegen einen Moscheebau in Ljubljana. Wer hat sie maßgeblich vorbereitet?
Erna: Diese Leute nennen sich nicht Nazis, sondern verstehen ihre Arbeit als »Heimatschutz«. Dieser Protest wurde als »Verteidigung des slowenischen Volks gegen die Beeinflussung unserer Kultur durch den Islam« bezeichnet. Diese Gruppen sind bei einigen Leuten populär.
Wie groß ist ihr Einfluss?
Peter: Unter jungen Leuten rekrutieren sie sehr hartnäckig Anhänger. Mit der Antifa-Demonstration 2009 gegen die rechtsextremen Moscheebaugegner versuchten wir auch, ihnen in der Öffentlichkeit keinen Platz zu überlassen. Normalerweise wollen wir aber, dass sie keine Publicity bekommen.
Eine Demonstration ist also nicht die gängige Reaktion der Antifa, wenn es solche Proteste oder Angriffe gibt?
Erna: Hier ist es nicht wie in Deutschland, wo die Leute ans Demonstrieren gewöhnt sind. Hier ist es schwer, die Leute zu einer Demonstration zu bewegen. Die erwähnte Antifa-Demonstration war ein großer Erfolg für uns, weil mehr als 1 000 Leute in Ljubljana teilgenommen haben.
Welche Strategie bleibt antifaschistischen oder anarchistischen Gruppen dann?
Peter: Das ist eine frustrierende Frage. Es ist schwer, über eine Strategie zu sprechen. Es gibt viele Diskussionen unter Aktivisten und existierenden Gruppen. Aber die einzige gemeinsame Vorgehensweise ist die Organisation von Selbstverteidigung, etwa für Veranstaltungen. Wenn eine anarchistische Gruppe irgendwo etwas organisiert, denken wir an die Verteidigung gegen Überfälle. Da waren wir erfolgreich. Überfälle gab es länger nicht.
Wenn Menschen außerhalb vom Metelkova oder der alternativen Szenetreffpunkte angegriffen werden, wird nicht reagiert?
Peter: Mit der LGBT-Szene arbeiten wir vor allem wegen dieses Problems zusammen. Sie versucht, etwas dagegen zu tun, und wir bemühen uns auch. Aber es ist, wie gesagt, eine frustrierende Frage, weil wir keine Antwort darauf haben, was wir tun könnten, um die Ausbreitung rechtsex­tremer Tendenzen aufzuhalten. Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten: antifaschistische Strukturen und soziale Zentren aufbauen und die Selbstverteidigung organisieren.
Ihr dokumentiert die Angriffe von Nazis. Warum veröffentlicht ihr diese Dokumentation nicht?
Erna: Wir veröffentlichen sie, aber nur in unseren eigenen Kreisen. Das ist gut, weil Namen und Adressen der Faschisten ebenfalls veröffentlicht werden. Nach dem Überfall auf das »Café Open« war das sehr hilfreich.
Zeigen die Medien kein Interesse an solchen Informationen?
Peter: Die Medien greifen solche Dinge manchmal auf, vor allem rund um die Antifa-Demons­trati­on gab es viel Berichterstattung. Wir benutzen die Dokumentation nach Angriffen, um Nazis bloßzustellen. Dann arbeiten wir auch mit Medien zusammen und geben Informationen weiter.
Welches Verhältnis pflegt der slowenische Staat zur Antifa?
Peter: Ich glaube, er sieht uns als Gegenstück zu den Rechtsextremen. So wie er bisher reagiert, kann man von einer Kriminalisierung sprechen.
Worin zeigt sich das?
Peter: Es gab bisher keine Verhaftungen, aber die Anmeldung einer Demonstration ist teuer. De­mons­trationen sind erlaubt, aber weil sie so teuer sind, machen wir sie oft ohne Anmeldung. Dann bekommen die Organisatoren oft Geldstrafen.
Haben die slowenischen Nazis Kontakte zu Rechtsextremen in Europa?
Peter: Die »autonomen Nationalisten« haben Kontakte hergestellt. Nach den Terrorakten des Anders Breivik in Norwegen war es erschreckend zu sehen, wie viele Verbindungen im politischen Denken es zu slowenischen Gruppen gab. Zum Beispiel übersetzten slowenische Nazis viele Texte der English Defence League oder der BNP. Der Diskurs gegen den Multikulturalismus und von der vermeintlichen Islamisierung Europas, das sind die wichtigsten Überschneidungen.
Wie steht es mit den internationalen Verbindungen der slowenischen Antifa?
Erna: Wir suchen nicht unbedingt eine Vernetzung mit Antifa-Gruppen.
Peter: Wir haben viele internationale Kontakte, vor allem zu anarchistischen Gruppen, die sind meistens antifaschistisch engagiert. Wichtig ist für uns vor allem der Kontakt zu Gruppen im ehemaligen Jugoslawien, aber auch in anderen europäischen Ländern.