Eine Sammlung zur Geschichte der Riot-Grrrl-Bewegung in New York

Zurück zur Grrrl-Front

Als wütende Mädchen einander Briefe schrieben: Die Bibliothek der New York University beherbergt die wichtigste Sammlung zur Geschichte der Riot Grrrls.
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Wer die Räume der Bibliothek betritt, taucht ein in eine Stille, die nur durch das Rascheln von Buchseiten unterbrochen wird. Das Licht ist gedämpft, die Farbe Grau dominiert, schwere dunkle Holzmöbel lassen den Raum optisch schrumpfen. An den Wänden hängen wuchtige Ölschinken, auf denen die männlichen Honoratioren der Bibliothek abgebildet sind. Ihre Büsten, in Stein und Stahl geformt, finden sich weiter hinten im Raum. Die einzige abgebildete Frau ist nackt und dient einem Wandersmann als Augenweide. Die Räume wirken wie ein Mausoleum, nichts deutet darauf hin, dass dies der passende Ort ist, um die Geschichte einer Bewegung zu dokumentieren, die Frauen laut, stark und selbstbewusst machen wollte.
Die Riot-Grrrl-Bewegung wollte für alle Frauen offen sein. Anknüpfend an die Idee von »Do It Yourself« sollte allen Schichten, auch ohne akademische Bildung, eine Möglichkeit gegeben werden, sich selbst auszudrücken. In der Fales Library der New York University, wo die Geschichte von Riot Grrrl als neue Sondersammlung präsentiert wird, verschwinden die Ideen der Bewegung zwischen Buchdeckeln.
Der Zugang zur Sammlung stellt bereits die erste Hürde dar: Wer nicht Studierender der New York University ist, muss einen Besichtigungstermin vereinbaren, sich mit Ausweis und Nachweis des Forschungsvorhabens anmelden und kann erst dann die Räume betreten. Um an die Zines, Poster und Musikaufnahmen zu gelangen, müssen handschriftlich mit bibliothekseigenen Bleistiften ausgefüllte Formulare eingereicht werden. Erst dann werden die Materialien in beigefarbenen Kartonkladden ausgegeben, von denen nur jeweils eine auf dem Arbeitstisch in Benutzung sein darf.
Der Onlinekatalog erlaubt schwerlich einen Überblick über die Art der Materialien, die verfügbar sind, weil die Listung nur die gröbsten Oberbegriffe wie »Zines«, »Korrespondenz« oder »Aufnahmen« kennt und so keine verständliche und anschauliche Präsentation möglich ist. Eine Veröffentlichung der Sammlung in Form einer Ausstellung ist bisher nicht geplant, nur einzelne Teile wurden und werden an andere Museen und Galerien verliehen.
Dabei war die Riot-Grrrl-Bewegung alles andere als blass und leise: Sie entstand aus der Hardcorepunk-Szene der USA, als die ersten Mädchen Anfang der neunziger Jahre begannen, ihren Ärger darüber zu äußern, dass in den Bands keine Musikerinnen vertreten waren, das Gehabe der Jungs in der Szene machistisch war und Frauen in der Gesellschaft weiterhin unterdrückt wurden. Die Mädchen waren laut, ungezügelt und dissonant, als sie ihre Unzufriedenheit von den Bühnen in Washington DC, Olympia/Washington und Portland/Oregon, den Zentren der Bewegung, brüllten. Die selbstgebastelten Zines, in denen sie ihre Ideen ausdrückten und verbreiteten, waren keine Poesiealben, sondern wilde Collagen, die sexistische Werbung, bürgerliche Hochkultur und stereotype Denkmuster angriffen. Es ging darum, die einvernehmliche Harmonie der heteronormativen Gesellschaft zu stören und im Musikbusiness für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu sorgen. Grundlegend für die Entwicklung der Bewegung war die Idee, sich selbst zu organisieren, zusammenzuarbeiten und gegenseitig zu unterstützen. Ihre Gesellschaftskritik verband feministische Ansätze mit der Kritik an Kapitalismus, Rassismus und Antisemitismus. Indem sie gegen Köpernormierungen in Bezug auf Behinderung (Ableism), Schönheit (Bodieism) und Alter (Ageism) kämpften, griffen die Riot Grrrls auf Theorien zurück, die sich in Deutschland erst in den vergangenen zehn Jahren zu entwickeln begonnen haben.
Die Sammlung in New York umfasst sechs Einzelsammlungen, von denen vier im Onlinekatalog abrufbar sind: Mit den Materialien von und über Becca Albee, Tammy Rae Carland und Milly Itzhak sind drei Privatsammlungen von Riot Grrrls der ersten Stunde zugänglich. Sie spielten in Frauenbands, schrieben für Zines und begannen schon früh, alle Dokumente ­ihrer politischen und kulturellen Aktivitäten aufzubewahren. Sie betrieben dadurch ihre ­eigene Geschichtsschreibung.
Die vierte Sammlung widmet sich dem Zine und Queercore-Label Outpunk, das, inspiriert von der Riot-Grrrl-Bewegung in den frühen neunziger Jahren, die Ideen und die Musik der queeren Hardcore-Szene veröffentlichte. Die Sammlungen von Johanna Fateman und Molly Neuman sind noch nicht online, in der Bibliothek aber bereits zugänglich.
In der Sammlung befinden sich mehr als vierzig Hefte, darunter Riot Grrrl oder Girl Germs, die als erste den Begriff »Riot Grrrl« benutzten. Neben Presseausschnitten, Konzertpostern und Collagenmaterial für die Hefte findet sich auch die Privatkorrespondenz derjenigen, die das Material zur Verfügung gestellt haben. Die Briefe vermitteln nicht nur eine kritische Sicht auf die patriarchal strukturierte Gesellschaft, sondern berichten ebenso über Alltagsprobleme wie die erste Liebe oder kleinstädtische Langeweile. Die Briefe zeigen auch die Vernetzung der Frauen, die entscheidend für das Enstehen der Bewegung waren: Viele Riot Grrrls waren miteinander befreundet und pflegten ausgiebigen Briefkontakt, der zur Verbreitung der Ideen beitrug, aber auch für den Zusammenhalt der Bewegung sorgte. Exemplarisch für die kritische Haltung der Szene gegenüber den Medien, denen die Frauen vorwarfen, ihre Ideen zu verfälschen und das Konzept von Riot Grrrl zu sexualisieren, ist ein Brief aus dem Privatarchiv von Molly Neumann. »Ich hasse Interviews«, erklärt die Verfasserin gegenüber Molly Neumann. »Ich habe mich entschieden, nie wieder eines zu geben. Weil niemand mir verdammt nochmal zuhört.«
Kathleen Hanna, damals Sängerin von Bikini Kill, hat ihr gesamtes Privatarchiv zur Verfügung gestellt, das allerdings noch nicht für die Öffentlichkeit verfügbar ist. Stolz präsentiert Lisa Darms, die Leiterin der Sammlung, ein Kleid, das Hanna auf dem Cover des bahnbrechenden Albums »Pussy Whipped« getragen hat. Darms erlebte die Bewegung, als sie in Olympia/ Washington, dem Ausgangspunkt der Bewegung studierte, aus nächster Nähe. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin, war allerdings nicht Teil der Szene. »Ich bin eher Frau als Mädchen«, sagt sie. Das Interesse an der Bewegung allerdings war geweckt. Als sie Kathleen Hanna vor drei Jahren auf einer Ausstellung begegnete, sprachen die beiden über das Projekt. Hanna sagte zu, die Sammlung mit Material zu unterstützen.
Eine andere wichtige Sammlung mit Dokumenten der feministischen Kultur findet sich in den Lesbian Herstory Archives in Brooklyn. Im Unterschied zu der sehr exklusiven historischen Dokumentation der Fales Library präsentieren die Lesbian Herstory Archives ihre Materialien öffentlich. Das Archiv ist ohne Voranmeldung und ohne Ausweis zugänglich. Das kleine Reihenhaus ist vom Keller bis zum Dach mit Büchern, Filmen und Alltagsgegenständen gefüllt. Zwar ist der Präsenzbestand hier noch nicht online abrufbar, aber per Email oder Telefon werden die nötigen Informationen für alle, die nicht vor Ort recherchieren können, übermittelt. Die Gründerinnen des Archivs hatten sich bewusst gegen eine Zusammenarbeit mit universitären oder staatlichen Institutionen entschieden, um die Ausstellung der Materialien keinen Auflagen zu unterwerfen. So bleiben die Gegenstände als Zeitdokumente erfahrbar. Trotz der Musealisierung der Riot-Grrrl-Bewegung in der Fales Library ist die Idee der Bewegung noch lebendig. In den vergangenen Jahren sind in den USA einige neue Gruppen entstanden, die sie aufgreifen und versuchen, den Einfluss von Frauen in der Kunst zu stärken. Eine davon ist die Gruppe »Permanent Wave« (Dauerwelle), die sich dafür einsetzt, mehr Frauen in Bands und auf Konzertbühnen zu bringen. Der Name spielt auf die verschiedenen Entwicklungsphasen des Feminismus an, den die Gruppe dauerhaft in der Gesellschaft verankert sehen will. Permanent Wave entstand vor knapp zwei Jahren, als ihre Gründerin Amy Klein eine Karriere als Profigitarristin begann und feststellen musste, dass sie bei ihren Auftritten selten auf andere Musikerinnen traf. »Wenn du im Indierockbereich lebst, denkst du unaufhörlich darüber nach, was es bedeutet, eine Frau zu sein, weil du einfach keine anderen Frauen findest«, beschreibt Klein die Verhältnisse, die zur Gründung der Gruppe führten.
Sie begann ihre Tourerfahrungen auf einem Blog zu veröffentlichen. Die Resonanz auf ihre Überlegungen zu Musik, Feminismus und Politik war unerwartet groß. »Ich erkannte, dass junge Frauen immer noch nach dem Feminismus suchen und dass es wenige Orte gibt, an denen sie über ihre eigenen Erfahrungen lesen können«, beschreibt Klein die Gründe für das rege Interesse an ihren Blogeinträgen. Der Wunsch nach ­einer Riot-Grrrl-Bewegung war längst nicht verschwunden, doch deren geschichtliches Erbe erschien anfangs erdrückend. »Wir verbanden die Bewegung immer mit sehr bekannten Bands wie Bikini Kill oder prominenten Persönlichkeiten wie Kathleen Hanna und dachten, dass wir niemals so cool sein könnten wie sie«, erzählt Klein. Doch die Lektüre von Sara Marcus’ »Girls to the Front« gab den entscheidenden Anlass, um alle Bedenken über Bord zu werfen. »Riot Grrrl ist ein Netzwerk von Mädchen, die sich gegenseitig unterstützen und ermutigen, Musik und Kunst zu machen. Man muss nicht cool sein, um so etwas zu erreichen.«, fasst Klein ihre Erkenntnis aus dem Buch zusammen. Als Konsequenz daraus entschloss sie sich, alle Interessierten zu einem Treffen zu sich nach Hause einzuladen und selbst solch ein Netzwerk aufzubauen.
Heute besteht die Gruppe aus einem Kern von rund 20 Organisatorinnen und erreicht über ihren Verteiler weitere 170 Interessierte und Unterstützerinnen. Permanent Wave sieht sich in direkter Tradition der Riot-Grrrl-Bewegung. Gegenüber der Bewegung vor 20 Jahren hat die Gruppe den Vorteil, dass sie über das Internet kommunizieren kann. Aktionen können so schneller organisiert werden, die Verständigung und Erweiterung der Gruppe ist nicht so sehr von Freundschaften abhängig wie noch Anfang der Neunziger. Im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen legen die Aktivistinnen von Permanent Wave Wert darauf, dass die Gruppe offen für alle ist, die sich für Feminismus interessieren, unabhängig von jeder sexuellen oder kulturellen Zugehörigkeit. Denn es gibt durchaus auch Kritik an der ursprünglichen Bewegung, der unterstellt wird, sie sei zu einheitlich weiß und überwiegend nur heterosexuell gewesen.
Bei den zweiwöchentlichen Treffen entwerfen die Mitglieder Ideen für Aktionen und organisieren deren Umsetzung. Neben den monatlich stattfindenden Konzerten, auf denen vorwiegend Frauenbands auftreten und deren Erlöse an feministische Gruppen in New York gespendet werden, ist eine Adbusting-Aktion geplant, die mit Stickern wie »Sexism sucks for every­one« gegen sexistische Rollenzuschreibungen von Frauen und Männern vorgeht. Reklame für Intimpflege etwa wird mit »My vagina smells just fine« gekontert. In Arbeit ist eine Compi­lation mit Coversongs in Erinnerung an Poly Sterene, die Sängerin der X-Ray-Spex, die zu den frühesten Vorbildern für weibliche Punkmusikerinnen zählt und großen Einfluss auf die Bewegung hatte. Geplant ist auch ein Lesekreis, in dem das Gründungsbuch der Gruppe »Girls to the Front« diskutiert werden soll, sowie eine Vorführung des gerade veröffentlichten Films »From the Back of the Room«, der den Einfluss von Frauen in der US-Punkszene dokumentiert.
Auf die Frage, warum es nach mehreren Wellen des Feminismus und der Riot-Grrrl-Bewegung immer noch wichtig ist, sich zu engagieren, erklärt Amy, dass ihr in ihrer Jugend oft erzählt wurde, Feminismus sei nicht mehr notwendig. Aber als sie nach dem College ins Arbeitsleben eintrat, wurde ihr schnell klar, dass es keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt, auch wenn sie gesetzlich festgeschrieben sein mag.
Ähnlich sieht dies auch Lauren Denitzio, die sich in dem feministischen Kunstkollektiv »For the birds« engagiert. »So lange es Sexismus gibt und Frauen sich in der Gesellschaft nicht sicher fühlen können, brauchen wir feministische Projekte«, sagt sie. Der Name verkehrt den Ausdruck, etwas sei wertlos – »for the birds« –, ironisch in sein Gegenteil. »Birds« ist zugleich ein Slang-Wort für Frauen – und ihnen ist die Arbeit der Gruppe gewidmet.
Die Gruppe arbeitet vor allem in der bildenden Kunst: So organisiert Lauren derzeit die Ausstellung »Big Mouth«, die zeitgenössische feministische Malerei, Illustrationen und Comics präsentiert. Die zehn Frauen, die das Kollektiv bilden, veranstalten seit drei Jahren jeden Sommer ein eintägiges Multimedia-Festival mit dem Titel »Big She-Bang«, auf dem Themen wie »Feministische Kommunikation« oder »DIY und Feminismus« verhandelt werden. Die Gruppe sieht ihre Arbeit nicht als direkte Fortsetzung der Riot-Grrrl-Bewegung, die Organisatorinnen sind aber mit den Idealen der Bewegung aufgewachsen und tragen diese weiter.
Auch wenn die heutigen Gruppen sich weniger wütend und laut geben als die originäre Bewegung, ist der politische Anspruch, mehr Gleichberechtigung und Öffentlichkeit für Frauen zu schaffen, nach wie vor vorhanden. Der Wunsch nach einer feministischen Bewegung scheint in den vergangenen Jahren – zumindest in den USA – wieder stärker zu werden. Nachdem es seit dem Ende der Neunziger zunächst relativ ruhig um die Riot-Grrrl-Bewegung geworden war, steigt nun die Zahl der Publikationen, Filme und Gruppen.