Der Roman »Vikivaki« von Gunnar Gunnarsson

Gespenster

Gunnar Gunnarssons Roman »Vikivaki« gehört zu den interessantesten Neuentdeckungen der skandinavischen Literatur.

Romane aus dem Norden Europas gelten, nicht zuletzt wegen der trüben Stimmung skandinavischer Krimis, als depressiv und schicksalsschwer. Wenn sie es oft tatsächlich sind, so deshalb, weil »der skandinavische Roman« auf dem Büchermarkt längst als ein eigenes Genre ähnlich wie der Liebes- oder der Familienroman gehandelt wird: Wer als Skandinavier Erfolg haben will, muss eben auch wie einer schrei­ben. Daher kann es überraschend sein, nordeuropäische Literatur aus einer Zeit zu lesen, in der die Kulturindustrie noch nicht zu jener Totalität geworden war, die sie heute darstellt. Der erstmals 1932 erschienene Roman »Vikivaki« des lange Zeit in Dänemark ansässigen isländischen Autors Gunnar Gunnarsson, einem Freund Haldór Laxness’, ist ein solcher Fall. Das Buch, das nun in einer überarbeiteten Fassung vom Verbrecher-Verlag neu herausgebracht worden ist, bedient sich einer Erzählform, die an Vladimir Nabokov erinnert und in oft epigonaler Weise von diversen Autoren der Postmoderne variiert wird.
Ein fiktiver Herausgeber präsentiert den Lesern die vermeintlich authentischen nachgelassenen Aufzeichnungen seines Freundes Jaki Sonarson, in denen dieser eine Art Zombiegeschichte erzählt: Als inmitten der Silvesternacht befremdlicherweise die dänische Nationalhymne im Radio ertönt, erheben sich in seinem Hof Gestalten aus ihren Gräbern. Es handelt sich um Gespenster, »handgreiflichere als die des seligen Ibsen«, die die Hymne mit den Posaunen des Jüngsten Gerichts verwechselt zu haben scheinen. Was dieses Ereignis und seine Folgen mit der isländischen und der dänischen Vergangenheit zu tun haben, welche Rolle der Herausgeber beim Arrangement der Handlung spielen mag und wie der Plot, der als Horrorgeschichte beginnt, allmählich in eine Mischung aus Liebes- und Konspirationsstory übergleitet, darf nicht verraten werden, denn die Architektur von Gunnarssons Roman ist nicht nur mindestens so raffiniert wie die Elaborate postmoderner Labyrinthiker, das Buch ist auch wesentlich unterhaltsamer geschrieben. Und gar nicht so depressiv, wie man anfangs glaubt, sondern von mitunter entzückender Derbheit.

Gunnar Gunnarsson: Vikivaki. Aus dem Dänischen von Helmut de Boor, durchgesehen von Karl-Ludwig Wetzig. Verbrecher-Verlag, Berlin 2011, 192 Seiten, 14 Euro