Der Roman »Frauen« von Steinar Bragi

Icelandic Psycho

Steinar Bragi hat einen Roman geschrieben, in dem Frauen gefoltert werden. Als Parabel auf die Finanzkrise funktioniert seine Horrorgeschichte nicht.

Im Jahr des Bankenkollapses erschien Steinar Bragis Roman »Frauen« in dem ehemals idyllischen Land der Elfen, Trolle und Fjorde. Der Roman sei ein Meilenstein der isländischen Literaturgeschichte, hieß es umgehend. Die Rede war von einer modernen Saga über die Superreichen und ihre skrupellose Profitgier. Übersetzt wurde »Frauen« von dem deutsch-isländischen Autor Kristof Magnusson, der im vergangenen Jahr ebenfalls einen Roman über die Krise des Kapitalismus herausbrachte, allerdings einen komischen.
Das alles klingt natürlich enorm spannend, und der erste Eindruck, den man von dem Buch gewinnt, ist, dass hier ein Autor am Werk ist, der es versteht, eine Atmosphäre der Kälte, Trostlosigkeit und Entmenschlichung zu schaffen. Tapfer erinnert man sich selbst Seite für Seite daran, dass es sich bei dem immer frauenfeindlicher werdenden Thriller um eine Art großangelegte Metapher dafür handelt, wie die superbösen Profitgeier die Isländer behandelt haben.
Die Hauptperson des Romans mit dem bedeutungsschwangeren Namen Eva kehrt nach einem Aufenthalt im Moloch New York nach Island, genauer gesagt in die kalte Hauptstadt ReykjavÍk zurück. Es ist die Zeit kurz vor dem Finanzcrash. Die Figuren des Romans bewegen sich zwischen Dekadenz und Wahnsinn.
Die Dokumentarfilmemacherin Eva hat von einem netten, aber geheimnisvollen New Yorker Banker isländischer Herkunft die Schlüssel zu seinem Schöner-Wohnen-Luxusappartment bekommen, denn der labilen Eva geht es gar nicht gut: Ihr Baby ist den plötzlichen Kindstod gestorben, ihre Mutter ist auch tot und beruflich geht es nicht so recht voran. Zudem trinkt Eva entschieden zu viel und die Beziehung zu ihrem ebenfalls nach Island heimgekehrten Mann verschlechtert sich rapide. Als der Anwalt, der einen dieser »Finanzwikinger« berät, ihr die Schlüssel zu der verglasten Luxuswohnung übergibt und dabei hämisch lächelt, wissen wir Horrorfilmexperten bereits, woher der Wind weht. »Zieh nicht dort ein!« möchten wir der verwirrten Eva zuflüstern, doch sie kann uns ja nicht hören. Und richtig, auch Eva fühlt sich in dem Haus mit den merkwürdigen Nachbarinnen und den widerlichen Pförtnern, die um Mitternacht vor laufender Überwachungskamera onanieren, immer unwohler. Auch eine in die Wand direkt über ihrem Bett gemeißelte Maske trägt nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden bei. Zudem beschleicht sie das Gefühl, von einem Mann in einer blauen Windjacke verfolgt zu werden. Zur gleichen Zeit erfährt Eva auch, dass der abstoßende Performance-Künstler Joseph Novak nach Island gekommen ist, hauptsächlich um »isländische Frauen zu ficken«. Der psychopathische Künstler und seine zweifelhaften Anhänger sind von der Minderwertigkeit der Frau überzeugt. In einer Fernsehsendung behauptet Novak, Frauen seien passiv und unkreativ, das Weibliche sei »ein Sinnbild für alles, was ein Mensch werden kann, ohne sich auf nennenswerte Weise von einer Kuh zu unterscheiden, und wenn ein Mann eine Frau vergewaltigt, weist er sie nur darauf hin, wo sie in der Gesellschaft wirklich steht«.
Obwohl ich »American Psycho« von Bret Easton Ellis seinerzeit atemlos verschlungen habe und durchaus immer noch an Kapitalismuskritik in Parabelform interessiert bin, möchte ich das Buch an dieser Stelle bereits in die Ecke pfeffern, lese aber aus Pflichtgefühl weiter und muss sozusagen mitansehen, wie Eva in ihrer vollständig überwachten Wohnung eingesperrt wird und brutaler Gewalt ausgesetzt ist, die der Autor spürbar kalkuliert schildert:
»Der Ausgemergelte (… ) trug (…)  schwarze Hosenträger oder eine Art Peitsche (… ). Er sah aus (… ) wie dieser ehemalige isländische Ministerpräsident. Sie fesselten ihre Handgelenke auf den Rücken (… ), und dann zogen sie Eva in die Luft, bis sie mit dem Kopf nach unten von der Decke hing. Der ausgemergelte Mann kniete vor ihrem Gesicht, ergriff den Reißverschluss ( …).« Das muss genügen!
Zur Folter gehört auch, dass Eva um Mitternacht ihr Gesicht in die Maske über ihrem Bett legen muss, der ein narkotisierendes Gas entströmt. Zuwiderhandlungen werden grausam bestraft. Eva versteht einfach nicht, was das soll. Der Leser leider auch nicht.
So fragt man sich am Ende ratlos, warum man zwei, drei Stunden seines Lebens damit zugebracht hat, einen recht ordentlich geschriebenen Thriller zu lesen, in dem eine Frau gedemütigt, gefoltert und zum Sexobjekt degradiert wird. Sicher, der Autor erwähnt einmal, dass »jede vierte Frau ( … ) im Laufe ihres Lebens vergewaltigt wird«, und sein misogyner Protagonist Novak erzählt in einem fiktiven Interview, dass »für jede Frau, die ins Parlament oder auf einen Chefsessel kommt,  (… .) tausend Pornofilme gedreht werden, in denen die Frauen wieder auf ihren Platz verwiesen werden, als machtlose, untergeordnete und meist gedemütigte Wesen«. Aber worin besteht der Zusammenhang zwischen dieser Diagnose und dem »vielleicht radikalsten Bild Islands vor der Finanzkrise«, das der Klappentext verspricht?
Wo der entsetzlich entmenschlichte Yuppie Patrick Bateman aus »American Psycho« schockierte, so dass man die achtziger Jahre am liebsten noch beim Lesen zu Grabe tragen wollte, befremdet der schemenhaft bleibende Joseph Novak lediglich. Sein mörderisches Kunstwerk, das am Ende aus drei in den Selbstmord getriebenen Frauen bestehen soll, verschließt sich jedweder Interpretation.
Einmal versucht Eva zu fliehen, doch nach einem waghalsigen Sprung durch ein Fenster des Glaspalastes landet sie auf einer Steinplatte mit der Inschrift »Hier endet die Flucht«. Wenige Seiten später endet auch das Buch. Mir fällt der erste Satz aus »American Psycho« ein, ein Zitat aus Dantes »Göttlicher Komödie«: »Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.«
Dasselbe gilt auch für Bragis Roman »Frauen«. Der Leser möge alle Hoffnungen auf die versprochene brillante Kapitalismuskritik fahren lassen. Steinar Bragi erzählt eine surreale Horrorgeschichte, in der eine Frau äußerst kalkuliert zu Tode gequält wird.

Steinar Bragi: Frauen. Kunstmann, München 2011, 272 Seiten, 19, 90 Euro