Schuldenkrise in den USA

Tax the Rich

Ohne offen darüber zu reden, haben Demokraten und Republikaner eine Kürzung des Militäretats beschlossen. Eine weitere Zusammenarbeit in Budgetfragen ist jedoch nicht zu erwarten. Welche Politik sich durchsetzt, wird auch von der Entwicklung der »Occupy«-Bewegung abhängen.

Ein Versagen auf ganzer Linie: So oder so ähnlich haben bis auf wenige Ausnahmen wie The New Republic alle Medien in den USA und im Rest der Welt das jüngste Scheitern der Verhandlungen zur Haushaltskonsolidierung bewertet. Dem »Superkomitee«, einem paritätisch aus Demokraten und Republikanern gebildeten Gremium, war es nicht gelungen, sich auf Sparmaßnahmen zu einigen.
Politiker beider Parteien schoben sich gegenseitig die Schuld zu. Die Demokraten wollten die Ausgaben für die staatliche Rentenversicherung und die Gesundheitsversorgung für Senioren nicht in dem von den Republikanern geforderten Ausmaß kürzen, die Republikaner lehnten die von den Demokraten befürworteten Steuererhöhungen ab. Dem Urteil der meisten Kommentatoren zufolge sind die USA wegen des Parteienstreits nach wie vor handlungsunfähig, das Wohl des Landes bleibe auf der Strecke.
Doch das trifft nicht ganz zu. Die Bildung des »Superkomitees« war das Ergebnis der Verhandlungen über die Erhöhung der Schuldenobergrenze im August. Damals erzielten die Parteien in letzter Minute einen Kompromiss, der diese Grenze anhob. Beschlossen wurde auch, in den kommenden zehn Jahren 1,2 Billionen Dollar einzusparen. Das »Superkomitee« sollte darüber entscheiden, in welchen Bereichen dies geschehen soll. Teil der Vereinbarung war jedoch eine Regel, derzufolge automatisch Kürzungen in Kraft treten, wenn es nicht zu einer Einigung kommt. Fast die Hälfte dieser Einsparungen sollte den in den vergangenen Jahrzehnten enorm gestiegenen Militäretat betreffen.

So haben die Republikaner, die sich stets als Freunde des Militärs ausgeben, und die Demokraten, die stets befürchten, in Bezug auf die »nationale Sicherheit« als schwach zu gelten, doch eine nicht gerade unbedeutende und überdies vernünftige Sparmaßnahme zustande gebracht. Robert Gates, Verteidigungsminister unter Präsident George W. Bush und bis April 2011 unter Barack Obama, hatte bereits im Jahr 2009 vergeblich gefordert, den Militäretat zu kürzen. Er befürwortete Einsparungen von etwa 1,5 Prozent. Das Scheitern des »Superkomitees« bringt, sofern diese Maßnahme nicht noch zurückgenommen wird, sogar Kürzungen um etwa drei Prozent.
Dass beide Parteien dies letztlich befürworten, ohne es offen zu sagen, und das durch den Streit über andere Fragen kaschieren, entspricht einer Strategie, die im Zweiparteiensystem der USA häufig angewendet wird. Sie ermöglicht es sowohl den Demokraten als auch den Republikanern, ihre Alleinstellungsmerkmale zu verteidigen und ihre jeweilige Wählerklientel zufriedenzustellen, aber dennoch erwünschte Maßnahmen zu beschließen.
Allerdings sind nun die Möglichkeiten einer Haushaltskonsolidierung weitgehend erschöpft. Einsparungen im Militäretat, bei der Gesundheitsversorgung und der Rentenversicherung sind möglich, aber sonst gibt es kaum noch etwas zu holen. Die Demokraten lehnen es ab, das ohnehin rudimentäre staatliche Sozialsystem weiter abzubauen, während die Republikaner vehement jede Erhöhung der Steuern bekämpfen. Anfang Januar finden die ersten Vorwahlen statt, das Interesse wird sich dann auf die Frage konzentrieren, wer als Präsidentschaftskandidat der Republikaner gegen Obama antritt. Faktisch beginnt damit der Wahlkampf, seit mehr als 20 Jahren bedeutet das auch, dass die Parteien ihre sonstigen Aktivitäten einstellen.
Der Ökonom Paul Krugman betont, dass die Regierung dennoch das Haushaltsdefizit in den Griff bekommen müsse. Über kurz oder lang erfordere dies signifikante Steuererhöhungen. Im Einklang mit der »Occupy«-Bewegung befürwortet er vor allem Erhöhungen beim obersten einen Prozent, bei den Hauptprofiteuren der wirtschaftsliberalen Maßnahmen der vergangenen 30 Jahre. Zwar fordern Krugman und andere Linksliberale solche Steuererhöhungen sowie Abgaben auf Finanztransaktionen seit Jahren. Durch die Proteste – und dies ist bislang das größte Verdienst der aufkeimenden Bewegung – finden solche Forderungen nun jedoch erstmals seit den siebziger Jahren einen größeren Zuspruch in der Bevölkerung. Umfragen zufolge werden Pläne wie die Krugmans nun von mehr als 70 Prozent der Amerikaner befürwortet.

Wenn es um Steuererhöhungen für die Reichen geht, ist ein informeller Deal wie bei der Kürzung des Militäretats jedoch ausgeschlossen. Denn die republikanische Partei ist, wie der ehemalige demokratische Kongressabgeordnete Anthony Weiner einst sagte, eine Tochtergesellschaft der Reichen, die deren Interessen vertritt. Man müsse sie deshalb entmachten. Doch bei der Wahl im November 2012 wird dies wohl nicht geschehen. Vielmehr dürften die Republikaner nicht nur die Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten, sondern sie auch im Senat gewinnen. Obama ist weiterhin unpopulär, der Wahlsieg eines Republikaners ist möglich. Und selbst wenn die Republikaner verlieren, bleibt ihnen mindestens eine Sperrminorität im Senat, der allen Änderungen des Steuerrechts zustimmen muss.
Als der Präsidentschaftskandidat George Bush Senior im Wahljahr 1988 erklärte, unter seiner Regierung werde es keine Steuererhöhungen geben, ahnte er sicherlich nicht, welche Folgen dieses Versprechen haben würde. Denn drei Jahre später, als er sich um seine Wiederwahl bemühte, brach er wegen des damaligen rezessionsbedingten Haushaltsdefizits sein Versprechen und machte zusammen mit den Demokraten einen auf Steuererhöhungen basierenden Konsolidierungsplan zum Gesetz. Viele seiner Wähler verziehen ihm das nicht. Sie blieben im November 1992 zu Hause oder stimmten für Ross Perot, einen erzkonservativen Unternehmer, der als Unabhängiger angetreten war. Bill Clinton wurde zum Präsidenten gewählt.
Dieser Konflikt schuf die Grundlage für die Haushaltsauseinandersetzungen der nächsten 20 Jahre. Außerhalb des Parlaments konnte sich nach der republikanischen Niederlage im Jahr 1992 die Organisation Americans for Tax Reform (ATR) etablieren, die zur vielleicht mächtigsten Lobbygruppe in Washington wurde. Die an die Republikaner gerichtete Botschaft der ATR unter Grover Norquist ist simpel: Sie sollen die Steuern senken und keine Erhöhungen zulassen. Sofern sich Kongressabgeordnete, Senatoren und Kandidaten verbindlich zu dieser Maxime bekennen, erhalten sie den Segen der ATR, das heißt eine finanzkräftige Wahlkampfunterstützung.
Wer diese Unterstützung in Anspruch nimmt, wird allerdings erpressbar. Falls er sich dennoch im legislativen Prozess für Steuererhöhungen ausspricht oder dafür stimmt, wendet sich Norquist mit aller Macht gegen ihn. Der Abtrünnige wird auf die berüchtigte schwarze Liste der ATR gesetzt, die Wahlkampfunterstützung wird beendet und ein von Norquist ausgesuchter, großzügig finanzierter Gegenkandidat wird in die republikanischen Vorwahlen geschickt.
Norquist agiert mit seiner Lobbygruppe ausgesprochen erfolgreich. Bis auf eine Handvoll moderater Politiker bekennen sich heute alle Republikaner zur Botschaft der ATR. In den vergangenen 20 Jahren hat die Partei kaum Steuererhöhungen zugelassen, vielmehr konnte sie Dutzende Male Steuererleichterungen durchsetzen, vor allem in Jahren 2001 und 2003. Die Einkommenssteuer wurde insbesondere für die Reichen gesenkt. In den neunziger Jahren mit ihrer guten Konjunktur gelang es erstmals seit Jahrzehnten, einen Haushaltüberschuss zu erzielen, nicht zuletzt, weil Bill Clinton die Sozialausgaben gekürzt hatte. Doch meist wies der Etat ein Defizit auf, das unter der Präsidentschaft George W. Bushs erheblich stieg.
Die Kriege in Afghanistan und im Irak kosteten Hunderte Milliarden Dollar, nach manchen Berechnungen sogar Billionen. Bush setzte aber auch ein teures Medikamentenprogramm für Senioren durch, und nach dem Bankrott der Bank Lehman Brothers im September 2008 vergrößerten die Ausgaben für die Stabilisierung des Finanzsystems und die Konjunkturförderung das Defizit. Da Bush sich weigerte, die gestiegenen Ausgaben durch Steuererhöhungen zu kompensieren, wuchsen die Schulden auf mehr als 15 Billionen Dollar an.

Als im Jahr 2009 die Tea-Party-Bewegung entstand, war die Wut wegen des Haushaltdefizits groß. Weniger klar war, wie das Problem gelöst werden sollte. Mittlerweile hat sich diese rechtslibertäre Bewegung konsolidiert und etabliert. Republikanische Organisationen, insbesondere die Lobbygruppe Freedom Works des ehemaligen republikanischen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus, Dick Armey, haben an Macht gewonnen. Bei der Bevölkerung verliert die ehemalige Grassroots-Bewegung jedoch Sympathien, sie wird mehr und mehr zu einem Instrument der republikanischen Hardliner. Der Versuch von ATR, die Bewegung zu kooptieren, blieb erfolglos. Doch Norquist kann sich auf eine gute Zusammenarbeit mit Armey stützen, um seinen Ansichten unter den Republikanern Geltung zu verschaffen.
Einen ernsthaften Plan zur Verbesserung der Haushaltslage haben die Tea-Party-Bewegung und die Lobbyorganisationen allerdings nie vorgelegt. Die bereits im Sommer entwickelte Wahlkampfstrategie der Demokraten konzentriert sich auf diesen Mangel. Seit dem Entstehen der »Occupy«-Bewegung bemüht sich Obama überdies um eine linke Rhetorik. Ob dem auch eine linke Politik folgen wird, hängt allerdings neben seiner Wiederwahl und den zukünftigen Mehrheitsverhältnissen im Kongress auch von der Entwicklung der »Occupy«-Bewegung ab. Um einen Wandel zu erzwingen, müsste sie vor allem ein neues Bewusstsein des Klasseninteresses in der angeschlagenen Mittelschicht schaffen. Das könnte mittelfristig sogar die Republikaner dazu zwingen, sich im Interesse ihres Machterhaltes vom Dogmatismus im Stil Norquists zu lösen.