Ein exklusiver Hausbesuch bei Lorenz Jäger

Lebenskampf im Kreuzgang

Für Jürgen Habermas war er bislang der »Rechtsaußen der Feuilletonredaktion«. Vor kurzem verkündete Lorenz Jäger jedoch öffentlich seinen Abschied von der konservativen Rechten. Wie tief ist die Sinnkrise des Mannes? Ein exklusiver Hausbesuch bei dem FAZ-Journalisten.

Um den Hausherrn steht es nicht gut. Er ist unrasiert, die Haare sind wirr. Er trägt einen viel zu engen, schmutzstarrenden, grünen Trachtenjanker auf nackter Haut, dazu eine schlammbraune Kniebundhose. Der Mann bietet ein irritierendes Bild, zumal er barfuß ist.
Lorenz Jäger entgeht mein verwunderter Blick nicht. Mit der betont jovialen Anrede »Na, Sie antideutscher Kriegsverkäufer!« versucht er die Beklemmung zu überspielen und bittet ins Haus. Es geht ins Esszimmer. Der FAZ-Feuilletonist serviert Geflügel. Ein Huhn habe er gekauft, »beim Türken in unserem Dorf«, selbstverständlich nicht ohne dem Verkäufer einen ausführlichen Vortrag über »Migrantenkriminalität« zu halten – eine der wenigen Freuden, die ihm in diesen schwierigen Zeiten blieben.
Während der Mahlzeit redet Jäger zunächst über Unverfängliches, schließlich sei ich im Auftrag eines Blattes unterwegs, das »die Agenda der Israel-Lobby haargenau kopiert«, und petzte sicher jedes Detail des Treffens der »jüdischen Anti-De­famation League«, »ein Verein, mit dem nicht gut Kirschen essen ist«. Nach der Mahlzeit lehnt er sich mit einer Fliegenklatsche in der Hand zurück. Angewidert spricht er nun von den »Linksextremen«, über »Organe von Konkret bis zur Jungle World«. Und überhaupt: der Sozialismus! »So viel Klassen-, und so wenig Lebenskampf!« spottet Jäger, während er die Klatsche zielsicher niedersausen lässt und eine Fliege zerquetscht.
Dann führt er mich über eine Treppe hinunter in den Keller, in einen imposanten, ausladenden Raum. Hier bewahrt der Autor des Standardwerks »Das Hakenkreuz. Zeichen im Weltbürgerkrieg« sie also auf: seine Hakenkreuze, große, kleine, indische, russische, deutsche, gemalte, gedruckte, manche aus Metall, andere aus Stoff. Der Stolz auf seine Sammlung ist ihm anzusehen. Kreuzgang nenne er das Gewölbe scherzeshalber, häufig begebe er sich zur Entspannung in dieses Refugium.
Doch dann ersticken Tränen seine Stimme, es bricht aus ihm heraus: Nicht einmal mehr das Lustwandeln im Kreuzgang bereite ihm Freude, seit »eingeborene Hilfstruppen« den Begriff Konservatismus »entführt« und mit den Attributen »proamerikanisch« und »proisraelisch« besudelt hätten. Selbst Sloterdijk sei den »Verlockungen des Atlantiks und der neuen Welt« erlegen und wolle, wie die »Unilateralisten« von der Tea Party, einfach keine Steuern mehr zahlen. Er steigert sich in einen Wein- und Schreikrampf hinein und lässt sich auf die Knie fallen. Auch sein letzter Trost sei dahin: das andere Geschlecht. Nur »antinatalistische«, »abtreibungswillige Frauen« gebe es noch. Und ihre Stimmen! »Warum erlischt die Wärme in ihnen, ja fast der freie Atem, warum werden ihre Stimmen immer blecherner und gequetschter, und warum reden selbst Frauen aus Hof oder Regensburg oder Bayreuth so, als kämen sie aus Hannover?« Sehnsucht habe er, »Sehnsucht nach Maßstäben, die von oben kommen, vielleicht von Gott«. Mittlerweile umklammert er mein Bein. Sein Schluchzen geht in ein erregtes Atmen über. Unaufhaltsam zieht er sich an meinem Hosenbein hoch. »Sehnsucht, Sehnsucht«, flüstert er immer wieder. Seine fordernden Finger tasten sich unter meinen Pullover, seine suchenden Lippen nähern sich meinem Mund, kommen näher, näher und näher.
Das Erwachen am nächsten Tag ist bitter. Wimmernd liegt der immer noch nackte Feuilletonist neben mir auf dem Boden des Kreuzgangs. »Entkoppelung des Lustgewinns von der Fortpflanzung!« wispert er. »Erklär’ einem Marxisten die Erbsünde!« Hastig fordert er mich auf zu gehen. An der Haustür drückt er mir ein kleines Hakenkreuz in die Hand. »Swastika bedeutet ja im Sans­krit so viel wie ›es wird gut‹«, sagt er und schiebt mich mit einem leisen »Adieu, Genosse« hinaus. Dann fällt die Tür zu. Doch selbst hinter dem schweren Holz, in welches kunstvoll das Antlitz von Stefan George eingeschnitzt ist, bleibt Jägers mitleiderregendes Wimmern zu hören.