Ausstellungen über Modefotografie

Living In a Magazine

Täglich werden Tausende von Fashion-Blogs mit Fotos bestückt. Welchen Stellenwert besitzt die Modefotografie da noch? Zwei Ausstellungen in der Wiener Kunsthalle kanonisieren das Genre und beleuchten Genderaspekte.

Ein durchtrainierter junger Mann mit kahlgeschorenem Schädel greift sich unsicher an den Ausschnitt seines weißen Unterhemds und blickt treuherzig in die Kamera. Ein anderer posiert mit nacktem Oberkörper und nestelt verlegen an seiner roten Lockenmähne. Ein dritter wirft kokett und schutzsuchend einen Blick über seine entblößte Schulter. Die Arbeiten der US-amerikanischen Fotografin Sophia Wallace, die im Rahmen der Ausstellung »No Fashion, Please!« in der Wiener Kunsthalle gezeigt werden, irritieren: Die Posen sind bekannt, aber die Standards der Modefotografie – Frauen und Kleidung – fehlen hier. Stattdessen sind junge Männer zu sehen, allesamt professionelle Models. Bis auf wenige Accessoires wie Schleier und Schals sind sie unbekleidet. Die von einer Leiter herab fotografierten Models wurden von der Künstlerin instruiert, möglichst »weich« zu gucken und die Arme eng am Körper zu lassen, um eine gewisse Verletztlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Das Ergebnis verblüfft. Nicht so sehr durch die bewusst klassische Porträtierkunst, sondern weil die Arbeiten mit simplen Mitteln vorführen, wie stark unsere Wahrnehmung nach wie vor von Genderkonstruk­tionen geprägt ist.
Die Dekonstruktion des glamourisierten Körpers in der Ausstellung »No Fashion, Please!« wirkt wie ein Kommentar zu der parallel in der Wiener Kunsthalle gezeigten Schau mit kanonisierten Werken der Modefotografie aus der Sammlung F. C. Gundlach. Der Fotograf Franz Christian Gundlach, 1926 im hessischen Heinebach geboren, ist mit seinen 160 Covers und 5 000 redaktionellen Modeseiten für die Zeitschrift Brigitte, die in den Nachkriegsjahren der fünfziger und sechziger Jahre tatsächlich einmal Deutschlands wichtigste Modezeitschrift war, so etwas wie der Doyen der deutschen Modefotografie. Die von ihm bereitgestellte Auswahl internationaler, mittlerweile teilweise schon fast ikonischer Modebilder versammelt die ganz großen Namen wie Cecil Beaton, Horst P. Horst, Louise Dahl-Wolfe, Richard Avedon und David LaChapelle, aber auch weniger spektakuläre Namen wie Sibylle Bergemann, Sarah Moon oder Zoe Leonard.
Relativ brav auf weißen Trennwänden nach ihren jeweiligen Produzentinnen und Produzenten gruppiert, geben die Fotografien, die fast ein ganzes Jahrhundert umspannen, einen guten Einblick in die Wunschfabrikation und in die Konstruktionen gesellschaftlicher Zusammenhänge der jeweiligen Epoche. »Eine der größten Fähigkeiten der Modefotografie ist es vielleicht, Zeitgeist als kollektive Stimmung zu bewahren, die analog zum vordergründigen Bildinhalt auf komplexere Wunschvorstellungen der Gesellschaft verweist«, schreibt der Direktor der Wiener Kunsthalle, Gerald Matt, in seinem Vorwort. Modefotografie bildet ab, was ist, und antizipiert gleichzeitig, was kommt. So zeigen die in den dreißiger Jahren entstandenen eleganten Porträts der später von den Nazis ermordeten Else Neuländer-Simon alias Yva einerseits die seit den zwanziger Jahren präsenten Garçonnes mit kurzem Haar, andererseits weisen die selbstbewussten Frauenfiguren weit in die Zukunft der Emanzipation. Auch die fetischistisch-surrealistischen Inszenierungen von Erwin Blumenfeld aus den vierziger und fünfziger Jahren sind durch ihre Technik der Verzerrung und Zersplitterung der Kunst verhaftet, mit ihrer Zurschaustellung der »Gemachtheit« und Artifizialität von Schönheit durch Accessoires wie Lippenstift und Eyeliner aber auch Jahrzehnte später noch aktuell. Das bonbonbunte Foto »This is my house« (1997) mit dem sudanesischen Topmodel Alek Wek und einem kleinen schwarzen Mädchen in knallrosa Kleidern vor einem knallrosa eingepackten Einfamilienhaus aus dem schrillen Werk von David LaChapelle ist eines der wenigen Bilder in der Ausstellung, die deutlich machen, dass Mode keine rein weiße Angelegenheit ist – es wohl aber trotzdem noch lange bleiben wird.
Die interessantesten Beiträge sind nicht die Big Shots, auch wenn es sich in ihren opulent bis überraschend ausgestatteten Inszenierungen von Luxus-Fantasy durchaus wohlig baden lässt – wie in Melvin Sokolskys Schwarzweiß-Serie, in der schick gekleidete Frauen in einer Seifenblase durch das Paris der sechziger Jahre schweben oder gleich im Abendkleid fröhlich auf einen Festmahltisch springen (»Jump«, 1963). Die Fotos von hinlänglich bekannten Stars wie Helmut Newton und Guy Bourdin mit ihrer latent bis offen misogynen Darstellung von »erotischer« Weiblichkeit ermüden allerdings eher.
»Über Jahrzehnte hinweg bis heute wurde die Modefotografie vordergründig als untergeordnetes Genre einer selbst wiederum minder gestellten Kunstgattung (der Fotografie) dargestellt«, schreibt der französische Modesoziologe Frédéric Monneyron im Ausstellungskatalog, um dann in einem Aufsatz mit dem Titel »Modefotografie als eigenständige Kunstform« zu dem wenig überraschenden Schluss zu kommen, dass »die Modefotografen derzeit ein Bündel an Qualitäten (vereinen), die niemals ein Künstler in seinem eigenen Fach zusammen aufweisen konnte. Sie werden nicht nur zur Quintessenz des modernen Künstlers, sondern erscheinen auch als jene Künstler, die am besten die sozialen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte in ihrer Kunst einfangen.«
Trotz dieses Plädoyers für die Inszenierung und für die von kommerziellen Interessen geleitete Auftragsarbeit, der gerade aufgrund ihrer Inauthentizität Wert zukomme, sind es neben all den slicken Fotomeisterwerken doch eher die nicht als Modefotografie angelegten Aufnahmen, die in ihrer Darstellung der »sozialen Umwälzungen« am eindringlichsten wirken. Die wie beiläufig gemachten Aufnahmen Leon Le­vin­steins von dünnen und dicken Normalos und Misfits auf den Straßen New Yorks in den fünf­ziger bis achtziger Jahren, die mit Mode eigentlich nichts zu tun haben, wirken wie wuchtige Vorläufer der heute weitverbreiteten Street-Style-Fotografie – plus eines sozialen Gewissens. Auch die von Edgar Leciejewski über Google Street View recherchierten Personenfotos führen die Street-Style-Szenerie mit ihren sorgfältig ausgewählten, wie zufällig posierenden Protagonistinnen und Protagonisten in gewisser Weise ad absurdum, da der Aha-Effekt genau derselbe ist.
Ein Stockwerk tiefer widmet man sich nicht nur am Rande, sondern ganz explizit den Spannungsfeldern, die das Genre Modefotografie heute beeinflussen. Es geht um fetischistische Hyperversionen von Männlichkeit und Weiblichkeit und die damit befeuerten Träume sowie um das Verhältnis von Mode, Fotografie und Kunst. Es gibt eine Menge nackter Schwänze zu sehen, Männer in Frauenkleidung und -posen, albtraumhafte, übersexualisierte Kinder-Beauties unter dem Himmel von L.A. von Alex Prager, orthodoxe Juden in feminin erotisierten Posen von Lea Golda Holtermann, und natürlich die extravaganten Körperskulpturen der bereits 1994 verstorbenen Londoner Subkultur- und Gendercrossing-Ikone Leigh Bowery, die Inspiration für Designer wie Vivienne Westwood, John Galliano und Alexander McQueen war. Nicht wenige dieser Fotos und Videos von häufig in der Modeindustrie arbeitenden KünstlerInnen geraten in ihrer Bearbeitung des Genderthemas leicht schematisch, wenn beispielsweise Codes und Zuschreibungen einfach umgekehrt werden. Dennoch ist die Bündelung dieser Strategien, denen man im Modebereich nur sehr vereinzelt begegnet, aufschlussreich.
Dass Modefotografie – wie auch die Mode selbst – immer stärker ins Museum drängt und sich durch diese Musealisierung und Historisierung ihren eigenen Kanon und damit auch ihre Legitimation im Kunstfeld schafft, während sich Modebloggerinnen und -blogger für immer neue Momentaufnahmen, die sofort von ebensolchen verdrängt werden, die Finger wundklicken, ist letztlich kein Widerspruch, denn Mode und Fotografie gelten als Medien des Jetzt, die den Moment konservieren. Jetzt im Museum, ewig im Internet.

Vanity. Mode. Fotografie aus der Sammlung F. C. Gundlach. Kunsthalle Wien. Bis 1. April
No Fashion, Please! Fotografie zwischen Gender und Lifestyle. Kunsthalle Wien. Bis 29. Januar