Die Ausstellung »Psycho« in Hamburg

Ungute Gefühle

Die Ausstellung »Psycho« zeigt die Werke zweier sehr unterschiedlicher Künstler, die eines gemeinsam haben: Beide unterlaufen die Sehgewohnheiten des Publikums und erzeugen ein subtiles Unbehagen. Über die düster-surrealistischen Gemälde Ena Swanseas und die abstrakt-fragmentarischen Bilder Robert Lucanders.

Auf dem Weg von Bremen nach Hamburg passiert der Regionalzug zunächst den IC-Umsteigebahnhof Harburg. Man würde hier gewöhnlich nicht aussteigen, müsste man nicht umsteigen. Mit etwa zehn Minuten Fahrzeit vom Hamburger Hauptbahnhof liegt Harburg ganz schön weit draußen und ist der Trostlosigkeit der niedersächsischen Provinz näher als St. Pauli. Ein Niemandsland, als dessen Herz das Phönix-Shopping-Center gilt. Weil es hier nichts gibt, ist alles vorstellbar. Harburg wirkt unheimlich.
In einem Ziegelbau nahe des Harburger Bahnhofs, der den Phönix-Gummiwerken einmal als Produktionsstätte diente, befindet sich seit 2001 die Kunstsammlung des Unternehmers Harald Falckenberg. Die Ausstellungsräume sind über fünf Etagen verteilt und verfügen über mehr als 6 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Hier werden unter dem Titel »Psycho« Bilder der amerikanischen Malerin Ena Swansea und des finnischen Malers Robert Lucander gezeigt.
Ein Besuch der Sammlung hat stets etwas Unheimliches, und das nicht nur, weil der Titel der aktuellen Ausstellung an Schrecken denken lässt. Die Ausstellungen in dem riesigen Museum sind nicht in dem Sinne öffentlich, wie man es von Ausstellungen in Museen gewohnt ist. Es gibt keine Öffnungszeiten. Besuche sind im Rahmen von Führungen möglich, zu denen man sich vorher anmelden muss. Journalisten können das Museum auch außerhalb dieser Termine besuchen. Ein freundlicher Sammlungsverwalter schließt auf, knipst auf allen fünf Etagen das Licht an und setzt die Video- und Soundinstallationen in Betrieb. Dann kann man sich in Ruhe umsehen und sich dabei furchtbar frei und einsam fühlen.
Ein besonderer Schwerpunkt der Sammlung Falckenberg liegt auf der Counter Culture, auf vermeintlichen Rebellen und Außenseitern, den Neuen Wilden, den Wiener Aktionisten und ­Jonathan Meese. Ein wildes Sammelsurium im Grunde, das man hier unter einen Hut zu bringen versucht. Zu solch einem Selbstverständnis passt natürlich eine Ausstellung mit dem Titel »Psycho«. Delinquenz und Geisteskrankheit sind schließlich auch gesellschaftliche Grenzerfahrungen.
Die Vorgehensweise der beiden Maler Robert Lucander und Ena Swansea ist sehr unterschiedlich. Während Swansea großformatige Landschaften und Porträts malt, die auf den ersten Blick an den Impressionismus erinnern, schafft Lucander stark emblematische Figuren, arbeitet graphischer, seine Bilder erinnern an Pop Art und Hard Edge. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an psychischen Grenzsituationen, der Entlarvung von Bildern der Massenmedien, alltäglichen Szenerien und Landschaften. Mit den ihnen je eigenen Techniken legen sie das Seltsame, Unheimliche und Bösartige frei, das sich hinter dem Offensichtlichen versteckt.
In der Ausstellung wird der Bezug zwischen den Biographien der beiden Künstler und ihren abgründigen Arbeiten betont. Auf diese Weise werden die Bilder leider auch berechenbar und harmlos. Über die Geschichte Finnlands erzählt Harald Falckenberg, der die Ausstellung kuratiert hat, in seinem Vorwort zum Katalog allerlei Finsteres: Dass das Land über Jahrhunderte von einem mongolischen Stamm aus dem Ural beherrscht wurde, ab dem 12. Jahrhundert abwechselnd unter russischer und schwedischer Herrschaft stand und erst 1917 infolge eines langen Bürgerkrieges unabhängig wurde. Diese Vorgeschichte wird Robert Lucander, der 1962 in Helsinki geboren wurde, schwer mitgenommen haben. Als Kind sei er oft wegen seiner Zugehörigkeit zur schwedischen Minderheit diskriminiert worden.
Die Familiengeschichte der 1966 in North Carolina geborenen Ena Swansea ist geprägt vom militanten Rassismus in den Südstaaten der USA. Der Urgroßvater der Künstlerin war der rassistische Hassprediger Thomas Dixon. Er ist der Verfasser der Novelle »The Clansman. A Historical Romance of the Ku Klux Klan«, die später von D. W. Griffith unter dem Titel »The Birth of a Nation« verfilmt wurde.
Ihre Mutter wiederum unterhielt eine rege Brieffreundschaft mit dem Dichter Ezra Pound, der für seinen Rassismus und Antisemitismus bekannt war. Sie hatte ihn als 16jährige in einer Nervenklinik nahe Washington D. C. aufgesucht und war seither mit ihm befreundet. »Dies sind die Zusammenhänge, sozusagen der inner text, der meine Arbeit wesentlich beeinflusst hat. In meinen prägenden Jahren war mir das Erbe meines Urgroßvaters Dixon sehr bewusst«, sagt Swansea.
Auch wenn der Einfluss der eigenen Geschichte auf die künstlerische Produktion nicht zu bestreiten ist, dient die Konzentration darauf oftmals der privaten Legendenbildung. Sie reduziert die Bilder auf den biographischen Bezug und verstellt die Sicht auf andere Dimensionen. Es ist selten ein Gewinn, sich beim Betrachten von Kunstwerken auf die Persönlichkeit des Künstlers zu konzentrieren und sein Werk auf seine Lebensgeschichte zu beschränken. Das gilt selbst dann, wenn der Künstler auf seine Biographie als Schlüssel zum Werk verweist.
Lucander spielt in seinen Arbeiten mit der Ästhetik der Pop Art. Seine Motive findet er auf den Umschlägen von Romanheften, in Zeitschriften und in der Werbung. Manchmal verwendet er eigene Schnappschüsse. Er löst einzelne Figuren oder deren Gliedmaßen aus ihrem ursprünglichen Kontext und überträgt sie flächig mit Lack- oder Acrylfarbe auf Holz oder Leinwand. Ihrer Umgebung entledigt, auf sich allein gestellt, entwickeln die Figuren etwas Groteskes, manchmal auch Bedrohliches. Sein besonderes Interesse gilt der Gestik und Mimik, die, losgelöst vom Zusammenhang, als Pose oder Maske erscheint. In vielen seiner Arbeiten verwendet Lucander dunkles Holz als Maluntergrund. Für »Ausdruck einer wundersamen Freundschaft« (2000) hat der in Berlin lebende Künstler das grimmige Porträt des CSU-Politikers Franz Josef Strauß auf eine dunkle Holzplatte übertragen. Die Maserung des Holzes korrespondiert mit den Augenringen und Falten im Gesicht des Politikers.
Viele Bilder von Swansea sind Landschaftsbilder oder Porträts. Sie verwendet riesige Formate und malt mit grobem Pinselstrich. Durch die Verwendung von Grafit erhalten ihre Bilder eine gewisse undurchsichtige Schwere: »Ein Schleier liegt über der Realität, den wir nicht sehen können. Da kann man auch gleich den Schleier malen«, sagt sie über ihre Arbeitsweise. Ihr Bild »Above the Ocean in a Storm« von 2004 stellt eine Szene auf dem Meer dar. Es gibt Wellen, vereinzelt sieht man Menschen und Boote im Wasser. Am rechten unteren Rand schwirrt ein Helikopter. Jede eindeutige Perspektive geht hier verloren. »Snow on 16th St« von 2011 zeigt eine zugeschneite Straße. »Schnee ist ephemer und gefährlich. Für mich hat die Vorstellung von Schnee nichts Friedliches, sondern etwas Bedrohliches«, erklärt die Künstlerin. Er sei trügerisch und erzeuge eine »abstrakte Leere, ein ungutes Gefühl«. Dieses Gefühl überträgt sich auch auf den Besucher der Sammlung.

Psycho – Ena Swansea und Robert Lucander.
Sammlung Falckenberg. Bis 25. März