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Sommer bei minus 50 Grad? Das klingt zwar absurd, aber in Russland ist ja so einiges möglich. Seit Oktober gibt es dort die »ewige Sommerzeit«. Geschaffen wurde sie von Präsident Dmitrij Medwedjew, der einfach anordnete, die Winterzeit abzuschaffen. Die Zeitumstellung hat in Russland in diesem Winter einfach nicht stattgefunden. Um die gesundheitlichen Probleme, unter denen die russische Bevölkerung im »ewigen Sommer« zu leiden hat, sorgt sich hierzulande sogar die Ärzte Zeitung. Es wird von einer Umfrage berichtet, in der jeder fünfte Russe mitteilt, dass sich sein Zustand seit dem Wegfall der Winterzeit verschlechtert habe. Die Befragten berichteten von Schwierigkeiten beim Aufstehen, Depressionen wegen der langen Dunkelheit und mangelnder Leistungsfähigkeit bei der Arbeit. Auch Wladimir Putin ist betroffen. »Ich werde mit dem Präsidenten sprechen. Auch mir fällt das Aufstehen schwer«, sagte er nach Angaben der Agentur Itar-Tass bei einer Diskussion mit Fußballfans in St. Petersburg. Die Anhänger hatten sich bei ihm darüber beschwert, dass seit der Abschaffung der Zeitumstellung die Übertragung von Spielen der Champions League erst zu nachtschlafender Zeit stattfinde. Dass Putin nicht nur Verständnis zeigte, sondern auch Engagement für die Rückkehr zum Winter signalisiert, dürfte mehrere Ursachen haben. Am 4. März finden in Russland die Präsidentschaftswahlen statt. Putin wird gewinnen, alles andere könnte man getrost als Wunder bezeichnen. Wahlkampf muss er also nicht betreiben, aber vermutlich hat sich der ehemalige und zukünftige Präsident des Landes gedacht, dass ein bisschen demonstrative Nähe zum »Fußballvolk« nicht schaden kann. Und außerdem lief der Beginn der »ewigen Sommerzeit« für den Kreml so dermaßen schlecht, dass man sich vermutlich auch dort den Winter zurückwünscht. Anfang Dezember fanden die Wahlen zur Duma statt, und seitdem formiert sich eine Protestbewegung in Russland, die manche an die Zeit der Perestroika erinnert. Das Thema dieser Ausgabe ist Russland gewidmet. Die Zeitumstellung spielt bei uns zwar keine Rolle, aber dafür erfahren Sie, liebe Leser, alles über die wirklich wichtigen Entwicklungen in Russland. Es geht um das »System Putin« und den Nationalismus. Wir analysieren die zunehmende soziale Spaltung im Land, berichten über die »neue Mittelschicht« in Moskau und St. Petersburg und beschäftigen uns mit der neuen Protestbewegung. Diese Bürgerbewegung favorisiert ein Prinzip der Offenheit, bei dem auch die extreme Rechte gerne mitmarschiert.