Blockaden und Menschenketten gegen Nazis in Dresden

Guter Mythos, schlechter Mythos

Die Aufmärsche der Naziszene zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten verliefen wenig erfolgreich. Dafür wird der Opfermythos von offizieller Seite gepflegt.

Nach Ansicht des amtierenden Dresdner Oberbürgermeisters Dirk Hilbert (FDP) war es vor allem ein Triumph des Gedenkens: »Das oberste gemeinsame Ziel der ›AG 13. Februar‹ war ein gewaltfreies Gedenken und Erinnern. Und das haben wir erreicht.« Die »AG 13. Februar«, ein Bündnis aus Vertretern von Stadt, Parteien und zivilgesellschaft­lichen Organisationen, hatte für den Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten eine Menschenkette organisiert. Etwa 16 000 Dresd­ner Bürger folgten dem Aufruf und nahmen sich um Punkt 18 Uhr bei den Händen, um so der »Opfer des Krieges« zu gedenken.

Gegen diese relativierende Sichtweise richtete sich eine kleine antifaschistische Demonstration entlang der Menschenkette. Mit Sprechchören und Transparenten wollten die Teilnehmenden darauf hinweisen, dass deutsche Täter keine Opfer seien. Bereits am Nachmittag kam es zu Protesten gegen den in Dresden gepflegten Opfermythos. Etwa 2 500 Personen nahmen an einem Mahngang unter dem Motto »Täterspuren« teil, der Station an Orten nationalsozialistischer Verbrechen machte, um das Bild von der »unschuldigen Kunst- und Kulturstadt« als falsch zu entlarven. Außerdem plädierten Antifaschisten unter der Losung »Es gibt nichts zu gedenken« während der offiziellen Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof für die vollständige Abschaffung des Gedenkens am 13. Februar.
Während Dresdner Bürger Händchen hielten, ging es einige hundert Meter entfernt um mehr als Symbolpolitik. In der Innenstadt hatten Hunderte Demonstranten, dem Aufruf des Bündnisses »Dresden nazifrei« folgend, Blockaden auf der Route errichtet, die eigentlich für den Fackelmarsch des nazistischen »Aktionsbündnisses gegen das Vergessen« vorgesehen war. Die Polizei ließ die Demonstranten oftmals gewähren und schritt nur halbherzig ein. Im Nachhinein machte sie sich gar zum Partner von »Dresden nazifrei« und sprach von einer »unausgesprochenen Kooperation«. Polizeisprecher Thomas Geithner sagte im Interview mit dem MDR: »Beide Seiten ­haben ihren Anteil daran, dass alles so friedlich verlaufen ist.« So viel Umarmung durch die Polizei kam für die Demonstranten überraschend, angesichts der anhaltenden Kriminalisierung anti­faschistischen Engagements in Sachsen war es ihnen wohl auch etwas unangenehm. »Dresden nazifrei« betonte deshalb, dass die Blockaden trotz »polizeilicher Verfolgung« und trotz »sächsischer Verhältnisse« erfolgreich gewesen seien.
Wegen der Blockaden war die Demonstrationsroute der Nazis gerade einmal 1200 Meter lang. Nach Angaben des Dresdner »Antifa Recherche Teams« fanden sich mit 1 800 Teilnehmern – im Vergleich zu den Vorjahren – relativ wenige Neonazis in Dresden ein, die zudem ein schwaches Bild abgaben. Hatte sich der Anmelder Maik Müller 2011 noch lauthals über fehlende organisato­rische Fähigkeiten der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) beschwert, zeigte er nun, dass er es nicht besser kann: Die Ordner des »Freien Netzes« verweigerten teilweise den Dienst, zwei von drei Redebeiträgen kamen von der NPD, obwohl Müller in der Vergangenheit immer wieder größtmögliche Parteiferne gefordert hatte, und etwa 400 Nazis entschieden sich, auf der Hälfte der Route stehenzubleiben, weshalb es zu verbalen Auseinandersetzungen unter den Marschierenden kam, die schließlich in kleineren Rangeleien gipfelten. »Dresden nazifrei« bezeich­nete deshalb den Trauermarsch als »Lachnummer«.

Noch schlechter lief es für die Naziszene am da­rauffolgenden Samstag, den sie in der Vorjahren für einen Großaufmarsch genutzt hatte. Ihre Demonstrationsanmeldung hatte die JLO bereits vorher zurückgezogen, eine Demonstration der linken Szene mit bis zu 10 000 Teilnehmern sorgte dafür, dass sich ortsansässige Neonazis zeitweise nicht auf die Straßen ihrer Stadt wagten. Dresden schien für einige Stunden tatsächlich nazifrei zu sein. »Der Nazigroßaufmarsch in Dresden ist Geschichte«, vermeldete denn auch »Dresden nazifrei« am 18. Februar. Doch auch wenn die Nazis für einen Tag eingeschüchtert werden konnten und die Wirkung dieser Demonstration für die Antifaszene selbst von großem Wert ist, sollte man diese Erfolge nicht überbewerten.
Denn während die Antifaschisten quer durch die Stadt zogen, versammelte sich auf dem Dresdner Schlossplatz die politische Prominenz des Freistaats und demonstrierte anschaulich, warum ausgerechnet das Gedenken an die Bombardierung Dresdens so anschlussfähig für die Naziszene ist. Nora Lang, eine Überlebende der Bombardierung, sprach neben Eugeniusz Kołodziejczyk, der den deutschen Bombenangriffs auf die pol­nische Stadt Wielun am 1. September 1939 erlebt hat. Die Gleichsetzung der Opfer des Naziterrors mit den getöteten Deutschen in der Gauhauptstadt Dresden wurde so zum Programm. Ob es sich bei den Toten des 13. Februar wirklich ausnahmslos um Opfer handelt, steht nicht zur ­Debatte. Dabei nimmt es sich die deutsche Trauergemeinschaft gar heraus, von »Versöhnung« zu sprechen, und lobt sich selbst dafür, den Alliierten die Angriffe auf Nazideutschland verziehen zu haben. Der Hauptredner Jochen Vogel (SPD) sagte etwa, Dresden verkörpere symbolisch, dass »Krieg, Zerstörung und massenhafter Tod« nicht die »letzte Antwort der Geschichte« seien; die Stadt stehe dafür, dass »der Wille zum Frieden und zur Versöhnung stärker als Feindschaft und Hass« seien.
Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und Moderator der »AG 13. Februar«, resümierte in einer Pressemitteilung, dass man »ein friedliches Zeichen für die Demokratie und gegen Extremismus gesetzt« habe. In einem Interview mit dem MDR sagte er: »Wir haben eine geschlossene Stadt erlebt, die in großer Friedlichkeit und in großer ­Einigkeit gegen den Missbrauch der Geschichte durch die Rechtsextremisten protestiert und gleichzeitig ein würdiges Gedenken vollzogen hat.« Und solange die einen meinen, dass sie das »wahrhaftige« oder das einzig »würdige« Gedenken an die Toten der Bombardierung gepachtet haben, werden es sich die Nazis nicht nehmen lassen, daran anzuknüpfen und ihre Version des Geschichtsrevisionismus in die Öffentlichkeit zu tragen.