Nazis und Karneval in Aachen

Ordensbruder Hoolijens

Ein Aachener Karnevalsverein wollte mit einem »Schwarzen Prinzen« ein Zeichen für Toleranz setzen. Den Karnevalsorden erhielt aber ein rechtsextremer Hooligan, weil er dafür gesorgt habe, dass es keine Randale gab.

Es ist Karnevalssamstag. Im Rheinland tobt seit Tagen der Straßen- und Sitzungskarneval. Im Aachener Außenbezirk Richterich findet eine Feier der »Koe Jonge« (Böse Jungen) statt. Prinz Balam, ein in Uganda geborener Mann mit dunkler Hautfarbe, steht mit seinem Hofstaat auf der Bühne. Nazis haben wegen der Kür Balams zum Prinzen Störungen angekündigt. Doch alles bleibt friedlich. Deshalb fasst Präsident Thomas Neunfinger einen Entschluss. Jens B., ein rechtsextremer Hooligan, wird von ihm auf die Bühne gerufen. Weil es ihm zu danken sei, dass die im Festzelt anwesenden Nazis und Hooligans keinen Ärger gemacht hätten, verleiht Neunfinger dem polizeibekannten jungen Mann einen Orden.
Tage später treten der Präsident und der Vorstand der Karnevalsgesellschaft zurück, der etwa 300 Mitglieder angehören. Neunfinger sagt dazu, er habe einen Fehler begangen. Schon als Jens B. auf der Bühne stand, hatte Holger Brantin, Vorstand des Katholikenrates Aachen und Richter am Landgericht, mit seiner Gattin das Podium verlassen. Brantin gehörte dem Hofstaat von Prinz Balam an. Er hatte sich in der Vergangenheit im Namen des Katholikenrates wiederholt gegen Rechtsextremismus ausgesprochen und erkannte offenbar als einziger sofort die Brisanz der Situa­tion: Sein Präsident ehrte einen jungen, glatzköpfigen Rechtsextremen mit tätowierten Unterarmen, weil dieser und seine »Kameraden« im Zelt mitfeierten, ohne den aus Uganda stammenden Prinzen zu attackieren. War es nicht zu erwarten, dass dies zum Eklat führen würde?

Jens B. gehörte zur organisierten Naziszene, insbesondere zum Umfeld der militanten »Kameradschaft Aachener Land« (KAL). 2007 und 2008 nahm er an Naziaufmärschen in Nordrhein-Westfalen teil. 2008 gehörte er zu einer Gruppe von 30 bis 40 Nazis und rechten Hooligans, die in der Aachener Innenstadt eine Demonstration von Nazigegnern – darunter auch Lokalpolitiker – angriffen. Nach einer Zeit der Zurückhaltung marschierte Jens B. 2011 wieder bei einem rassistischen Hetzmarsch in Stolberg mit. Mittlerweile gehört er der Hooligangruppe »Westwall Aachen« an.
Der Westwall war eine Verteidigungslinie im Westen Nazideutschlands. Der daran angelehnte Name soll angeblich »nur« symbolisieren, dass die Gruppe bei den auf Waldlichtungen oder Wiesen ausgetragenen Schlägereien mit anderen Hooligans als ebenso unüberwindbar gilt. »Westwall Aachen« ist zwar nicht unbedingt Teil der rechtsextremen Szene, doch unter den Mitgliedern der Gruppe und in deren Umfeld befinden sich auch Personen, die der Naziszene oder der KAL angehört haben. Jens B. gilt bei Fußballfans und der Polizei als Vermittler zwischen gewaltbereiten Fans und der Naziszene.

Im gutbürgerlichen Richterich fühlen sich Nazis und gewaltbereite Fußballfans seit Jahren wohl, obwohl viele gar nicht selbst in dem Außenbezirk leben. Als im Juni 2009 etwa 800 Schüler des Anne-Frank-Gymnasiums gegen Rechtsextremismus demonstrieren wollten, drohten Nazis einen Überfall an. Die Polizei zog hektisch Kräfte verschiedener Hundertschaften zusammen, um die Sicherheit der Demonstration zu gewährleisten. Mehrfach beschmierten in der Folge Nazis die Schule, etwa im Oktober 2009 mit dem Spruch »Anne war nicht arisch«. Auch einer der beiden 2011 wegen des Bauens von Sprengkörpern verurteilten Aachener Nazis stammt aus Richterich.
Einigen von Jugendlichen im Ort organisierten Grillpartys wohnten 2008 zuweilen bis zu 30 Nazis und viele Mitläufer bei. Aus den Boxen der Anlage auf einem abgelegenen Platz im Wald dröhnte Rechtsrock. Als Nazis aus Richterich im selben Jahr gemeinsam den Aachener Straßenkarneval besuchten, zogen sie, Rechtsrocksongs grölend, durch die Innenstadt, skandierten »Zecken klatschen« und zeigten den Hitler-Gruß. Damals war auch der Polizistensohn Jens B. in dem Pulk von bis zu 50 Personen. Unter denen, die zwar den Hitler-Gruß zeigten, aber nicht unbedingt als überzeugte Nazis bekannt waren, befanden sich auch Söhne aus Unternehmer- oder Beamtenfamilien aus einer der besten Wohngegenden Aachens.
Wiederholt waren solche Jugendliche auch im Richtericher Karneval aufgefallen, oft durch Schlägereien, wobei auch »Hoolijens« mitmischte, wie Jens B. manchmal von Freunden genannt wird. 2008, in dem Jahr, als der Mob »Zecken klatschen« wollte, besuchten außerdem Teile davon – darunter auch Jens B. – die Karnevalsfeiern der »Koe Jonge« im örtlichen Festzelt. Einige von ihnen trugen Nazi-Shirts, andere waren geschminkt mit Nazisymbolen, und neben der Bühne schoss man Fotos von »Kameraden« und Mitläufern, die den Hitler-Gruß zeigten. Anwesende Erwachsene schauten demonstrativ weg. Obwohl die Vorfälle bekannt waren, konnten Teile der Jugendlichen 2009 mit einem eigenen Wagen am Richtericher Karnevalsumzug teilnehmen.

Ende 2011 hatte dann die Gesellschaft der »Koe Jonge« eine Idee. Mit Prinz Balam I. wollten sie ein Zeichen gegen den Rechtsextremismus setzen. Der »Schwarze Prinz« war bis dahin im Karnevalsverein als Zeremonienmeister tätig gewesen. Doch Anfang 2012 kamen Gerüchte auf. Es hieß, Nazis wollten den Mann angreifen, Sitzungen stören, den Prinzenwagen beim Karnevalszug mit Bananen bewerfen. Die »Koe Jonge« und die Polizei prüften die Sicherheitslage, bei Feiern waren seitdem Polizisten und Security-Kräfte, Staatsschutzbeamte und Mitarbeiter des Ordnungsamtes im Einsatz.
Man konnte also annehmen, ausreichend gegen Störversuche gewappnet zu sein. Dessen ungeachtet soll Präsident Neunfinger vor der Sitzung am Karnevalssamstag mit Jens B. einen Handel eingegangen sein. Als Hooligans, Nazis und Mitläufer die Feier im Zelt wie schon in den vergan­genen Jahren besuchen wollten, soll Jens B. Neunfinger garantiert haben, dass alles friedlich bleibe. Als es tatsächlich so kam, fasste Neunfinger vor etwa 1 000 Gästen seinen spontanen Entschluss. Schon als der Prinz und sein Hofstaat gegen 23 Uhr auf der Bühne standen, rief der Präsident den strafrechtlich mehrfach aufgefallenen Jens B. auf die Bühne. Er verlieh dem Rechts­extremen aus Dank einen Orden. Der Fall von Jens B. sei »bestimmt das erste Mal, dass nach dem Krieg ein Nazi einen Orden erhalten hat«, witzelte Tage später ein Neonazi in einem Szene­forum im Internet.