Hat sich an Hipster-Bärte mittlerweile gewöhnt

Zum Knutschen!

Bärte zu tragen ist dank der Hipster endlich kein Politikum mehr, sondern das, was es sein sollte: eine Geschmacksfrage.

Es lässt sich nicht leugnen: Bärte sind vorbelastet. Und in diesem Fall einmal nicht wegen Adolf Hitler oder Günter Grass. Schnauzer zählen nicht, das ist eine ganz andere Liga. Bärte und Schnauzer, das ist wie Menschen und Menschenaffen. Da fehlt was, vor allem Kultur. Und was hat man sich da schon Geiles ausgedacht, vor allem in den Jahrhunderten der crazy beards: Vollbärte, Schifferkrausen, Kotlettenbärte, Knebelbärte und den wirklich fragwürdigen Henriquatre, auch als »Gewerkschafterbart« bekannt.

Allerdings behauptet Lady Beatrice in Shakespeares »Viel Lärm um nichts«: »Wer keinen Bart hat, ist weniger als ein Mann«, und drückt damit eine in vielen Kulturen verbreitete Geringschätzung von den in der Regel bartlosen Frauen und solchen Männern aus, die als effeminiert gelten. Das Ganze kann man bis Abraham und Moses zurückverfolgen, vielleicht sogar bis zur »Ilias« Homers. Bei den Griechen ist es eh am schlimmsten, Bärte gelten als Zeichen von Virilität, werden Feiglingen als Zeichen der Schande abgeschnitten und so weiter.
Die vergangenen drei Jahrzehnte, also soweit ich mich gerade eben so zurückerinnern kann, musste man sich als stilbewusster moderner, progressiver Mann keinen Gedanken darüber machen. Bärte trugen eh nur noch Hippies oder ­Islamisten, und die waren echt nicht cool. Die lustigeren Bartmoden überdauerten in der schummrigen Parallelgesellschaft schmuddeliger Berliner Eckkneipen auf den Gesichtern weniger kauziger Exoten. Bestenfalls schafften sie es in ethnologisch angehauchte Fotoausstellungen.
Jetzt sind sie plötzlich überall – und eben auch in meinen Lieblingskneipen. Neuerdings fühlt man sich in den Berliner Hipsterbars in der Weserstraße in Neukölln schon wie unter Kostümfilmstatisten nach Feierabend. Aber diese Bärte wurden nicht in letzter Minute von Visagisten angeklebt, sondern sind das Produkt wochen-, ja monatelangen groomings. Wie geil ist das denn? Soll man da mitmachen? Darf man das überhaupt? Ja, man darf – und wem’s gefällt, der soll.
Bevor sie sich ordentliche Vollbärte wachsen ließen, hatten die Hipsterjungs, die jetzt in ihren flattrigen Shirts und engen Jeans aussehen wie unterernährte Teddybären, noch völlig schmerzbefreit Schnauzer und HJ-Schnitt zur ungeahnten Renaissance verholfen. Vorher haben sie beim Friseur »den Hitler« bestellt, jetzt heißt es einfach nur: »Etwas stutzen!« Voll lässig. Erst stehlen sie den Nazis ihre Codes, jetzt den Islamisten. Und das nicht einmal mit politischer Absicht oder auch nur politischem Bewusstsein, sondern einfach, weil sie es für ästhetisch halten. Und das ist das Gute daran. Mode hat nämlich verdammt noch mal nicht politisiert zu werden. Sie sollte Geschmacksache sein. Wo die Mode politisiert wird, sollte man vorsichtshalber schon mal die Koffer packen.

Aber abgesehen von dem Political-correctness-Unsinn, der ohnehin meistens Ausdruck von schamlosem Opportunismus und Mangel an Originalität ist, kommen wir zum einzig triftigen Einwand gegen das Barttragen. »Ich habe mit einem Vollbart geknutscht und es fühlt sich an wie ein kleines Tierchen im Gesicht«, klagt eine gute Freundin, auf die überall fröhlich aufsprießende neue Bartmode angesprochen. Und es fühle sich auch definitiv nicht nach Haus- oder Kuscheltier an, eher nach einem »freilaufenden Hamster«. Igitt. Das gibt dem Wort fashion victim doch gleich eine ganz neue Bedeutung. Andererseits muss diese Freundin die Vorstellung, diesen Vollbart zu knutschen, ja auch irgendwie attraktiv gefunden haben. Ich bin sogar überzeugt, sie musste es einfach mal probiert haben. Sie ist nämlich ausgesprochene Stylerin und steht auch auf Styler.
Na, immer noch nicht überzeugt? Es geht ja erst einmal um die Aufmerksamkeit, und die ist einem mit Hipsterbart zumindest jetzt noch gewiss. Zumindest in euren Lieblingskneipen. Vielleicht nicht mehr unbedingt in meinen, wo es jetzt schon zu viele gibt. Klar, dass sich dort jetzt die Pioniere in gespielter Empörung über ihre Nachahmer echauffieren, schließlich können sie jetzt bestenfalls noch die Anerkennung als Trendsetter einstreichen, wenn sie schon nicht mehr Avantgarde sind. Dabei ist das Schöne in diesem Fall ja gerade: Anders als Tattoos oder Brandings lassen sich Bärte dank moderner Technik im Handumdrehen schmerz- und narbenfrei entfernen. Einmal pfrmm mit dem Elektrorasierer und man kann sich bei Dreitagestoppeln überlegen, was morgen angesagt sein könnte.

Unser Autor Carl Melchers hat sich schon oft vorge­nommen, sich einen Vollbart wachsen zu lassen, hat dafür aber leider keine Zeit.