Kritisiert das Manifest zur »Neugründung Europas«

Zum Heulen

Daniel Cohn-Bendits und Ulrich Becks »Manifest zur Neugründung der EU von unten« ist ein Manifest der Verdummung.

Europa steckt in der Krise. Deutschland macht den verschuldeten EU-Staaten Druck, durch Sozialkürzungen die Staatsausgaben zu senken, was weitere Verarmung mit sich bringt. Weil das europäische Projekt so stark mit dem Euro verbunden ist, machen sich jetzt die Freunde der herrschenden europäischen Verhältnisse Sorgen um die Zustimmung zu diesem Projekt. Das, und nichts anderes, zeigt der von Daniel Cohn-Bendit und Ulrich Beck verfasste Aufruf »Wir sind Europa«, ein »Manifest zur Neugründung der EU von unten«. Die europäische Identitätsstiftung ist nicht erst mit der Krise ins Stocken geraten. Bürger lassen sich für ein »Weiter so« aber nur gewinnen, wenn sie sich mit Europa identifizieren. Das Manifest will dabei zweierlei erreichen: Identitätsstiftung und Aktivierung kostenloser Arbeitskraft für die Bereiche, in denen der Staat keine Löhne mehr zahlt. Und das geht laut den Initiatoren so: In einem »Freiwilligen Europäischen Jahr« soll jeder arbeiten können – für nichts. Weil man das irgendwo in einem EU-Land tun können soll, darf man sich dann mit Europa identifizieren. Die Idee könnte zumindest bei jenen gut ankommen, die dem Projekt Europa halbwegs positiv gegenüberstehen, und denen die EU als eine positive Aufhebung des Nationalstaats gilt.
Solange die EU für etwas Anderes und Besseres gehalten wird, als was sie eigentlich ist – nämlich das Ergebnis knallharter Konkurrenz auf dem kapitalistischen Weltmarkt, kann der Freiwilligendienst »für Europa« vielleicht als ein Angebot erscheinen.
Weil die Krise gerade so stark über Europa vermittelt ist, braucht man sich vorerst allerdings keine Sorgen machen, dass dieses Angebot massenhaft angenommen wird. Doch obwohl man in einer kapitalistischen Gesellschaft nichts als die jämmerliche Rolle eines bürgerlichen Subjekts zugeteilt bekommt, das sich in der Konkurrenz behaupten darf und soll, ist die Ideologie weit verbreitet, dem Staat oder der EU genau dafür zu danken, also die herrschaftliche Einrichtung der Gesellschaft als Angebot zu sehen. Damit liegt der Gedanke nah, Dankbarkeit zu zeigen, indem man sich auch noch für umsonst ausbeuten lässt, und damit nicht nur ein Bürger, sondern auch noch ein »guter«, oder in den Worten Cohn-Bendits und Becks, ein »tätiger« Bürger ist. Daran knüpft die im Manifest vorgeschlagene Beschäftigungsmaßnahme an: Geben Sie etwas (ein Jahr kein Verdienst) und Sie werden (geistig) reicher. Das lässt sich leicht übersetzen: Sie dürfen mit einem (Freiwilligen-)Dienst dieser bedürfnisfeindlichen Gesellschaft zeigen, wie sehr Sie sich untergeordnet haben. Das wird im Manifest noch mit dem für bürgerliche Verhältnisse so verräterischen Spruch von J. F. Kennedy garniert, man habe für den Staat zu leisten, statt vom Staat zu nehmen. Und das kommt dann als ein Akt der Vernunft daher.
Eine derartige Teilnahme an dieser Gesellschaft mit einer entsprechend begeisterten Haltung bedeutet aber nichts anderes als Verdummung und Selbstaufgabe. Beides ist weit verbreitet, weswegen in den gängigen ideologischen Verarbeitungen der Verhältnisse nichts prinzipiell dem Bewusstsein entgegen steht, welches sich Cohn-Bendit, Beck und Konsorten wünschen. Das Manifest endet mit dem Wunsch, »Europa mit Leben und Lachen zu füllen«. Bei diesen Aussichten könnte man heulen.