Sieger und Verlierer der griechischen Wahl

Sieger trotz zweitem Platz

Das Linksbündnis Syriza hat die Wahlen in Griechenland knapp verloren. Nicht wenige in der griechischen Linken sind erleichtert. In der Opposition wird die Partei mehr gegen die Sparpolitik tun können.

»Wir sind tote Menschen«, sagt Giorgos F. Der 60jährige sitzt erschöpft auf einer Bank im Stadtteil Pangrati und hält in seinen Händen die Stromrechnungen der letzten vier Monate. Giorgos’ hat am Sonntag für das Linksbündnis Syriza gestimmt, das mit 26,89 Prozent der Wählerstimmen zur zweitstärksten Kraft wurde. Giorgos fünfköpfige Familie hat seit mehr als einem Monat keinen Strom, weil er die Rechnung nicht bezahlen konnte: »Ich muss unbedingt 400 Euro auftreiben, damit wieder Licht in die Wohnung kommt«, sagt er resigniert. Er und seine Frau sind seit mehr als zwei Jahren arbeitslos. Sie müssen mit Gelegenheitsjobs oder Hilfe von der Kirche und Bekannten auskommen. Unterstützung vom Staat gibt es keine. Der Wahlsieg der konservativen Nea Dimokratia von Antonis Samaras, der ein Regierungsbündnis mit den Sozialisten der Pasok und der Demokratischen Linken (Dimar) sucht und wohl auch bekommen wird, wie bei den Verhandlungen am Dienstag sichtbar wurde, bedeute für Giorgos und seine Familie nichts anderes als die Fortsetzung der korrupten Politik, die Griechenland in die heutige Lage gebracht hat, meint er. »Keiner von den Politikern, die wiedergewählt worden sind, wird bestraft werden für die Skandale und Fehler, die Griechenland kaputt gemacht haben«, sagt er empört, »meine einzige Hoffnung ist, dass Syriza eine starke Opposition machen und nicht zulassen wird, dass noch härtere Sparmaßnahen auf uns zukommen.«
Diese Hoffnung teilen in Griechenland viele, denn die Euro-Finanzminister erwarten von der neuen Regierung vor allem eines: die Umsetzung des Spar- und Reformprogramms. Höchstens bei den Fristen für die Umsetzung besteht etwas Spielraum. Insgesamt ist der knappe Wahlsieg der Konservativen als Votum für einen Reformkurs gewertet worden. »Das gemeinsam mit Griechenland erarbeitete und vereinbarte Programm hat nur einen Zweck: Griechenland zurück auf den Weg wirtschaftlicher Prosperität und Stabilität zu führen«, sagte etwa Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Der Wunsch, ein Teil Europas zu bleiben, sei trotz des großen Unmuts über die Sparpolitik bei der Parlamentswahl entscheidend gewesen, betonen auch politische Beobachter in Griechenland. »Die Wähler haben den sogenannten Systemkräften noch eine Chance und ein wenig mehr Zeit gewährt«, schreibt etwa die linksliberale Online-Zeitung To Vima, »sie möchten ihren Kontakt zu Europa und seinen Institutionen nicht verlieren. Alexis Tsipras und seine Partei Syriza haben diesen Wunsch des griechischen Volkes unterschätzt (…) Dieser Wunsch aber hat das Wahlverhalten bestimmt.«
Faih, eine 21jährige Psychologiestudentin, versucht mit einem unsicheren Lächeln zu erklären, warum sie für die Nea Dimokratia gestimmt hat: »Ich habe einer pro-europäischen Partei meine Stimme gegeben«, sagt sie, »wir müssen ein Teil Europas bleiben, weil wir viel geben und viel davon nehmen können.« Neben ihr sitzt Nikos, ein 35jähriger Bankangestellter, der nervös mit seinen Fingern spielt. Er hat mitbekommen, wie in den vergangenen Tagen aus Angst vor dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone und der Rückkehr zur Drachme eine riesige Kapitalflucht stattgefunden hat, und ist sehr besorgt: »Ich habe Syriza gewählt, obwohl ich nicht ganz von deren Thesen über Auswege aus der Krise überzeugt bin«, gibt er zu. »Es gab aber keine Partei, die mir das Gefühl gab, dass sie eine richtige Lösung hat.«
Während ganz Europa auf die »Schicksalswahl« schaute, haben sich fast 40 Prozent der Griechen von den Wahlurnen ferngehalten. So wie Alexandra, eine 47jährige Privatangestellte, die es vorzog, den Wahltag am Strand zu genießen: »Es ist egal, wer regiert. Wir werden so oder so sehr schlimme Tage erleben«, sagt sie. Noch am 6. Mai hatte sie für Syriza gestimmt.
Besonders schlecht fielen die Ergebnisse für die Kommunisten der KKE aus, die rund 4,5 Prozent der Stimmen bekamen und auf Platz sieben landeten, noch hinter der Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), die mit fast sieben Prozent zum zweiten Mal seit der Wahl im Mai ins Parlament gewählt worden ist. Die Faschisten sind zur fünften Kraft geworden und haben sich somit in der politischen Landschaft Griechenlands etabliert. Ihre rechtsradikalen Parolen finden im krisengebeutelten Land immer mehr Gehör. Vor allem die rassistische Propaganda kam während des Wahlkampfs gut an: Ein Kandidat von Chrysi Avgi versprach etwa, nach den Wahlen ausländische Kinder aus Griechenlands Kindergärten zu vertreiben. Auch aus Krankenhäusern sollen die Einwanderer ausgeschlossen werden. Mittlerweile sind auch Linke zu Angriffszielen der Neonazis geworden. Am 7. Juni attackierte der Pressesprecher von Chrysi Avgi, Ilias Kassidiaris, während einer Talkshow eine Abgeordnete der Kommunistischen Partei vor laufender Kamera mit Faustschlägen. Der Vorsitzende der Partei, Nikolaos Michaloliakos, sagte vorige Woche, Griechenland habe nur während der Diktatur gute Zeiten erlebt. »Chrysi Avgi ist das kommende Griechenland« – mit diesen Sätzen kommentierte er am Sonntagabend den Erfolg seiner Partei, während die EU und die Märkte erleichtert den knappen Sieg der Befürworter des Sparkurses in Griechenland begrüßten.
Am Montag verkündete Alexis Tsipras, Syriza werde sich nicht an einer Koalitionsregierung beteiligen. »Wir werden in der Opposition sein«, sagte er nach einem Treffen mit Wahlsieger Samaras. Syriza stehe nicht für eine Koalition mit den Befürwortern des Sparkurses zur Verfügung. Das Linksbündnis werde weiter gegen das mit den internationalen Geldgebern vereinbarte Sparprogramm kämpfen.

Griechenland bleibt ein politisch gespaltenes Land. Wer auf einen Sieg von Syriza gehofft hatte, und damit auch auf einen Wechsel in der griechischen und europäischen Wirtschaftspolitik, ist enttäuscht. Aber es gibt auch viele in der Linken, die erleichtert sind, denn nicht alle halten Syriza für geeignet, eine Regierung zu bilden. Für sie war das Wahlergebnis ein Sieg.
Auf der Website protagon.gr war etwa zu lesen, dass eine neue Regierung von Nea Dimokratia kaum Überlebenschancen habe und der wahre Wahlsieger Tsipras sei: »Tsipras ist der Einzige, der feiern kann. Nicht nur, weil er es geschafft hat, die prähistorische Kommunistische Partei an die Grenze des politischen Aussterbens zu bringen, sondern weil er den Super-Gau vermeiden konnte, nämlich, dass die Bombe des Bankrotts in seinen Händen (…) explodiert.«
Das Ringen zwischen Griechenland und Deutschland geht vorerst in den Fußballstadien weiter. Das Match am Freitag hat politische Symbolkraft. Und so wirkten die Worte des griechischen Trainers am Montag politischer, als sie vielleicht gemeint waren: »Wir sind nicht die Besten der Welt, aber wer gegen uns spielt, muss Blut spucken, um uns zu bezwingen«, sagte Fernando Santos.