Die Schriftstellerin Kay Boyle

Die Illoyale

Birgit Schmidt erinnert an die Schriftstellerin Kay Boyle, die als »vorzeitige Antifaschistin« in der McCarthy-Ära unamerikanischer Umtriebe verdächtigt wurde.

Vermutlich haben nur wenige Menschen in Deutschland jemals von ihr gehört. Doch für jene, die sie kennen, steht dieses Jahr im Zeichen der Erinnerung an sie. Kay Boyle war Reporterin, Schriftstellerin und politische Intellektuelle, jedoch eine, deren Anspruch und Habitus heute leicht als altmodisch abgetan werden können. Am 19. Februar vor 110 Jahren wurde sie in Saint Paul in Minnesota geboren, am 27. Dezember vor 20 Jahren starb sie in Kalifornien. Die Kay Boyle Society in San Francisco veranstaltet aus diesem Anlass bereits seit Mai Vorträge und Symposien, in deren Mittelpunkt die letzten Jahrzehnte ihres Lebens stehen, die sie an der amerikanischen Westküste verbracht hat. In dieser Zeit lehrte sie Kreatives Schreiben an der Universität von San Francisco, schrieb Gedichte und engagierte sich politisch, insbesondere für die Rechte von schwarzen Studentinnen und Studenten.
Lange Zeit wurde Kay Boyle der sogenannten Lost Generation zugerechnet, also denjenigen jungen Amerikanern und Amerikanerinnen, die während und nach dem Ersten Weltkrieg die Vereinigten Staaten verlassen hatten, um sich in Europa niederzulassen, vor allem in Paris, das sie als Ausgangspunkt für ihre literarischen Arbeiten wählten. Einige von ihnen – zu den Bekanntesten gehören Ernest Hemingway und Gertrude Stein, die den Begriff »Lost Genera­tion« prägte – haben im Nachhinein als Wegbereiter der literarischen Moderne Berühmtheit erlangt.
Paris sei damals eine Stadt gewesen, in der man habe leben und arbeiten können, ganz gleich, wie arm man gewesen sei, hat Hemingway im Rückblick auf diese Jahre geschrieben. Für die Amerikaner nämlich stand der Wechselkurs günstig, es gab im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten keine Prohibition, der Alkohol floss in Strömen, und auch von der gesellschaftlichen Norm abweichendes sexuelles Verhalten, das im Mittleren Westen der USA noch für Aufsehen sorgte, wurde im liberaleren Paris toleriert. »Nach den Erinnerungen der meisten Zeitgenossen zu urteilen«, schreibt die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Kyra Stromberg über Djuna Barnes, eine weitere Amerikanerin im Paris jener Zeit, war die Stadt in den zwanziger Jahren »nicht nur ›a moveable feast‹, wie Hemingway es nostalgisch nannte, ein Fest fürs Leben, sondern auch ein Tag und Nacht stattfindendes Lebensfest: Cafés, Bars, Nightclubs, Variétes – von privaten Partys in den Wohnungen der Reichen abgesehen – erscheinen als eigentliche Schauplätze. Die Nächte waren lang, der Alkoholkonsum war gewaltig. Nicht alle hielten diesen Anforderungen stand.«

Armut und Arbeit

Kay Boyle hat den Mythos von Paris als einem Paradies der unbeschwerten und abenteuerlustigen Bohème immer wieder zu korrigieren versucht. Die meisten Schriftsteller und Schriftstellerinnen, betonte sie in mehreren Interviews, hätten damals in großer Zurückgezogenheit außerhalb der Stadt gewohnt und tatsächlich viel gearbeitet. Boyle selbst war seinerzeit zu arm, um in Paris leben und arbeiten zu können. Mit einem abgebrochenen Musik- und Architekturstudium und verheiratet mit Richard Brault, einem erwerbslosen französischen Ingenieur, den sie in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte, gelang es ihr nicht einmal, sich in der französischen Hauptstadt ein eigenes Zimmer zu organisieren, als sie 1922 dorthin zog. Das Paar konnte auch nicht auf die Unterstützung der Familie des Mannes rechnen, mit der die beiden gebrochen hatten, und musste sich daher in einen kleinen Ort in der Nähe von Le Havre in der Normandie zurückziehen. Dort lebten sie von Subsistenzwirtschaft, Kay Boyle verkaufte selbstgezogenes Gemüse an einem Stand in Le Havre. Gleichzeitig aber schrieb sie Gedichte und arbeitete an ihrem ersten Roman, der erst 1931 unter dem Titel »Plagued by the Nightingale« veröffentlicht wurde.
»Plagued by the Nightingale« hat, wie die meisten ihrer folgenden Romane, deutlich autobiographische Züge. Die Geschichte erzählt von einer jungen Frau, die sich dem Erwartungsdruck gegenübersieht, den die Familie ihres ihr letztlich fremd bleibenden Ehemannes auf sie ausübt. Auch in der Lebenswirklichkeit waren die finanziellen und persönlichen Verhältnisse Kay Boyles solchermaßen bedrückend, dass sie schließlich keinen anderen Ausweg mehr sah, als auszubrechen. 1926 nahm sie den Verdacht einer Tuberkuloseerkrankung zum Vorwand, um nach Südfrankreich zu einem jungen Mann zu gelangen, in den sie sich verliebt hatte. Er war der Neffe und gleichzeitig der Geliebte der britischen Suffragette Ethel Moorhead, einer Feministin, die Boyle eigentlich bewunderte: »Die Frau, die für eine Sache ins Gefängnis gehen konnte, die ihren Mund vor Essen und Wasser verschließen konnte, die die Folterinstrumente durchbeißen konnte, mit denen in britischen Gefängnissen diejenigen zwangsernährt wurden, die im Hungerstreik waren. Und die es zornig und nicht reumütig ertrug, dass man ihr Nahrung in die Lungen pumpte. Und das zu einer Zeit, als einem so etwas noch nicht zur Ehre gereichte.«
Diese Beschreibung Ethel Moorheads entstammt dem zweiten Roman von Kay Boyle, der unter dem Titel »Year Before Last« 1932 zum ersten Mal erschien und in dem die Suffragette unter dem Namen Eve Raeburn figuriert. Darin schildert Boyle die Entscheidung einer jungen Frau aus Le Havre, mit einem exzentrischen Verleger zusammenzuleben, der finanziell und emotional von seiner früheren Geliebten abhängig ist und den meisten anderen Männern leider in vielem ähnele: »Trotz all seiner Liebe richtete Martin doch, wie eben ein Mann, den besseren Teil seiner Anteilnahme auf andere Dinge. Sie durfte zuhören und nähen und ihm sein Essen kochen, er aber, wie es sich für einen Mann geziemte, hatte anderes im Kopf, konnte urteilen, gestalten und dafür sorgen, dass die Dinge seinen von ihm gesetzten Zielen entsprachen.«
Vorbild für den jungen Verleger war im wirklichen Leben der Dichter Ernest Walsh, der damals die avantgardistische Literaturzeitschrift This Quarter herausgab. Als er an Tuberkulose starb, war Kay Boyle gerade mit ihrem ersten Kind, der Tochter Sharon, schwanger. Von ihrem zweiten Ehemann, Laurence Veil, den sie der Kunstsammlerin Peggy Guggenheim ausspannte und 1932 heiratete, bekam sie drei weitere Kinder, mit ihrem dritten Mann dann noch einmal zwei. Letzterer, den sie 1943 heiratete, hieß nicht etwa als Romanfigur, sondern wirklich Joseph Freiherr von und zu Franckenstein. Er hatte sich als gebürtiger Österreicher nach dem sogenannten Anschluss im Jahr 1938 dem Widerstand gegen die Deutschen angeschlossen und war eine Zeitlang im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert. 1944 kämpfte er als Mitglied des amerikanischen Office of Strategic Services (OSS) für die französische Résistance.

Empfindliche Besiegte

Obwohl ihre ökonomische Lage nicht selten bedrohlich war und obwohl Kay Boyle unter diesen schwierigen Bedingungen insgesamt sechs Kinder großziehen musste, gelang es ihr trotz ihrer unübersichtlichen Lebenssituation, ihre literarische Karriere voranzutreiben. Natalia Danesi Murray, die Lebensgefährtin von Janet Flan­ner, der exzentrischen Europa-Korrespondentin des New Yorker, für den Boyle zahlreiche Beiträge verfasste, sagte über Boyle: »Janet bewunderte, was sie schrieb, und ihren geistreichen Witz, obwohl sie die feurige, missionarische Begeisterung, mit der sie sich für alles, was ihrer Aufmerksamkeit würdig war, engagierte, kritisch beurteilte. Kay war ebenso gutaussehend wie rechthaberisch. Mehrmals hatte sie geheiratet, eine Fülle hübscher Kinder von verschiedenen Ehemännern in die Welt gesetzt und nebenher noch geschrieben, unterrichtet, ihre Jünger um sich geschart und ihrer ganzen Brut geholfen, wann immer es nötig wurde. (…) Sie schrieb stets im Bett, die Schreibmaschine auf den Knien, umflattert von Papier und umturnt von den Kindern. Das störte sie nicht im mindesten, sie genoss es sogar. Ich traf sie wieder, als sie als Korrespondentin nach Rom kam, und seitdem blieben wir Freunde. Für ihre liberalen Ansichten musste sie später teuer bezahlen. Sie gehörte zu jenen Intellektuellen, die als ›vorzeitige Antifaschisten‹ (›premature antifascists‹) galten – das Stigma, das uns allen anhaftete, die wir von Anfang an den Faschismus bekämpft hatten, und das uns verdächtig machte. Es waren die schändlichen Zeiten der McCarthy-Ära.«
Bevor Kay Boyle ins Visier der McCarthy-Behörde geriet, war sie 1946 als Auslandskorrespondentin für den New Yorker nach Paris gegangen und hatte vom Frühjahr 1948 an mit ihrem damaligen Mann in Deutschland sowohl in Marburg als auch in Frankfurt am Main gelebt. Von Deutschland aus sandte sie Kurzgeschichten und Reportagen an verschiedene amerikanische Zeitungen und Zeitschriften. 1951 wurden diese unter dem Titel »The Smoking Mountain« in einem Band versammelt, der erst mehr als 40 Jahre darauf unter dem Titel »Der rauchende Berg« in deutscher Übersetzung bei S. Fischer veröffentlicht worden ist. Boyle beschreibt in diesen Geschichten Deutsche, die erwarten, dass die Vertreter der amerikanischen Siegermacht sich sensibel mit ihren Befindlichkeiten auseinandersetzen. Eine Erzählung beispielsweise beschreibt, wie Deutsche, die in einem amerikanischen Kommissionsgeschäft angestellt sind, sich der Gattin eines Angehörigen der US-Army vertrauensvoll zu nähern versuchen. Ein Mann beschwert sich bei ihr anbiedernd darüber, als Besatzungssoldat in Paris die Stadt sehr schmutzig gefunden zu haben: »Vielleicht könnten die Amerikaner den Franzosen beibringen, die Dinge sauberer zu halten«, sagt er zu der Frau und versucht dabei, »schüchtern zu lächeln«. Der kleine Sohn der Amerikanerin freundet sich mit einem deutschen Jungen an, der sich als geborener Führer fühlt und dem Kleinen herrisch dessen Armbanduhr abverlangt. Und immer wieder tauchen jammernde Deutsche auf, deren zu diesem Zeitpunkt desolate Lage der Autorin trotz unübersehbarer Kritik aber auch mitunter Mitleid abzunötigen scheint.
Der beeindruckendste Teil der Sammlung ist jedoch eine Reportage über den Mordprozess gegen Heinrich Baab, der im März 1948 in Frankfurt am Main eröffnet wurde und dem Kay Boyle beigewohnt hat. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft warf Heinrich Baab Mittäterschaft in 56 Mordfällen vor. Das war noch eine sehr milde Anklage, denn der ehemalige SS-Untersturmführer und Gestapo-Mann war erklärtermaßen stolz darauf, dass er in seiner Funktion als Leiter des sogenannten Judenreferates der Stadt Frankfurt als »Schrecken der Juden« bezeichnet worden war. Die Angst, die er verbreitet hatte, ging jedoch über die jüdische Bevölkerung Frankfurts weit hinaus. Kay Boyle schreibt: »In Anbetracht der Tatsache (…), dass sich Baabs Pflichten nicht allein auf die Liquidation nur einer Menschengruppe beschränkten, waren die misshandelten Gesichter derjenigen, die ihn von den Zuschauerbänken aus beobachteten, nicht allein Gesichter jüdischer Frauen und Männer.«
Kay Boyle nannte den Bericht, den sie über den Baab-Prozess verfasst hat, »Statt einer Einleitung« und stellte diesen Text ihren anderen Geschichten voran. In ihm berichtet sie unter anderem, dass Baab einem seiner Opfer einen Tintenstift in eine offene Wunde rammte, damit dieses an Blutvergiftung stürbe. Sie berichtet, dass er anderen Menschen mit eigenen Händen den Kiefer brach und seinen kleinen Sohn zum Frankfurter Hauptbahnhof brachte, damit dieser dabei zusehen konnte, wie die Juden der Stadt deportiert wurden.
Baab hatte sich nach Kriegsende den Behörden in der Erwartung gestellt, dass es keine Zeugen mehr für seine Taten gebe, dass er niemanden am Leben gelassen hatte, der gegen ihn hätte aussagen können. Außerdem ging er davon aus, dass die Amerikaner einen Mann zu schätzen wüssten, der immer nur seine Pflicht getan hatte. Mit meisterhaften Worten beschreibt Kay Boyle sein Erstaunen darüber, dass sie es nicht taten, sondern ihn stattdessen für seine Taten verurteilt sehen wollten: »An einem Tag, so teilte die Apathie seines Wesens deutlich mit, sagen sie einem, es ist richtig und korrekt, Juden und andere, für den Staat bedrohliche Elemente auszurotten, und am nächsten Tag stellen sie einen dafür vor Gericht.«
Baab war, während gegen ihn verhandelt wurde, unentwegt damit beschäftigt, Nüsse zu essen, und drückte dadurch, wie Boyle befand, seine Gewissheit aus, dass alles für ihn schon nicht allzu schlimm kommen würde. Von der Tochter der 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichteten deutschen Widerstandskämpferin Johanna Kirchner, die 1948 im Baab-Prozess als Geschworene fungierte und als langjähriges SPD-Mitglied während der Nazi-Zeit inhaftiert war, berichtet Boyle, dass sie »ihre eigene Erklärung für Baabs Haltung einer totalen Gleichgültigkeit angesichts der Vorgänge in seinem Mordprozess (hatte). ›Macht mit mir, was ihr wollt, war seine Haltung‹, sagte sie zu mir einige Tage nach der Urteilsverkündigung. ›Er glaubte, ganz egal, welches Urteil er auch bekäme, es würde bald ohne Bedeutung sein. Jetzt, wo Tag für Tag immer mehr Nazis wieder in Machtpositionen eingesetzt wurden, wusste er, dass er nichts zu fürchten hatte. Er saß ganz einfach da und dachte: ›Macht das Schlimmste. Ich bin sowieso über kurz oder lang da raus.‹«

Der verdächtige Antifaschismus

Tatsächlich wurde Heinrich Baab zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Aber Jahrzehnte nach der Verurteilung, am 6. November 1972, meldete der Spiegel, dass ein hessischer CDU-Landtagsabgeordneter sich energisch um Baabs Begnadigung bemühe. Offenbar ein Mann mit Einfluss, denn schon am 29. Januar 1973 reichte das Magazin die Mitteilung nach, dass Baab die Strafanstalt Butzbach bereits in aller Stille verlassen habe.
Kein Aufschrei der Empörung ging durch die bundesdeutsche Öffentlichkeit. Die Presse schwieg, allein der Spiegel machte darauf aufmerksam, dass einige Opfer von Baab und deren Nachkommen noch immer in derselben Gegend wie er lebten und nun gegenwärtigen mussten, Baab auf der Straße zu begegnen. Opfer, über die Kay Boyle geschrieben hatte: »Diejenigen, die die Zuschauer im Baab-Prozess bilden, waren in der Hauptsache gleichzeitig auch Baabs Opfer. Wenn sie auch nicht die wirklich Ermordeten waren, so waren sie doch diejenigen, deren Ausrottung versucht worden war, oder sie gehörten zum Fleisch und Blut derjenigen, die umgekommen waren. Sie waren arm, und sie waren in vielen Fällen erschreckend verunstaltet. Ihre Kiefer waren schief, ihre Zähne nicht mehr vorhanden, und manchmal waren die Überreste ihrer zertrümmerten Gesichter neu zusammengeflickt worden, damit sie wieder eine gewisse Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen aufweisen konnten. Es gab einige unter ihnen, die keine Arme mehr hatten, und andere – und sie mussten nicht notwendigerweise alt sein –, deren Beine derart verkrüppelt waren, dass sie an Stöcken gingen. So war ein junger Mann regelmäßig unter den Zuschauern, über den Zeugen später aussagten, dass nicht ein Fädchen seiner gesamten Kleidung seine Originalfarbe behalten hatte, so sehr war sie von seinem eigenen Blut durchtränkt gewesen, nachdem er 1942 Heinrich Baab einen Besuch abgestattet hatte.«
Baab jedenfalls hatte sich geirrt. Er wurde – wenigstens teilweise – zur Verantwortung gezogen und musste eine langjährige Zuchthausstrafe verbüßen. Andere hingegen kamen davon, ohne jemals zur Verantwortung gezogen worden zu sein, auch, weil die US-Behörden bereits 1947 ihr Interesse an einer weiteren Durchführung der sogenannten Entnazifizierung durch deutsche Spruchkammern wieder verloren. 1948 wurden die Entnazifizierungsmaßnahmen in den meisten Regionen der westlichen Besatzungsmächte ausgesetzt, 1951 dann auch offiziell für beendet erklärt. Auf der politischen Tagesordnung stand nun nicht mehr die Abrechnung mit dem ehemaligen Feind, dem Nationalsozialismus, sondern der offene Konflikt, der mittlerweile zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ausgebrochen war. Linke und Linksliberale wie Kay Boyle, die sich deutschenfeindlich und radikaldemokratisch äußerten, gerieten nunmehr in den Ruch, Sympathisanten der Sowjetunion zu sein, und erregten das Misstrauen von Institutionen, deren Grundstein ausgerechnet der demokratische Präsident Franklin D. Roosevelt gelegt hatte, und zwar bereits im Jahr 1936. »Beunruhigt von Meldungen über die Volksfrontpolitik der Kommunisten, die Tätigkeit ausländischer Nachrichtendienste in den USA und die Aktivitäten der sowjetischen Botschaft in Washington«, erzählt der Literaturwissenschaftler Alexander Stephan, »beauftragt er (Roosevelt, B. S.) seinen FBI-Chef J. Edgar Hoover bei einem vertraulichen Treffen im Weißen Haus, ihm Informationen zu beschaffen über subversive Bestrebungen in den Vereinigten Staaten, besonders im Hinblick auf den Kommunismus und Faschismus.«
Hoover hörte zwar die Worte seines Herrn, aber er konzentrierte seine Aufmerksamkeit und die seiner Behörde ausschließlich auf Kommunisten, oder genauer gesagt auf diejenigen, die er dafür hielt. Die Hoover unterstellte Behörde, das Federal Bureau of Investigation (FBI), begann schon damals damit, Dossiers sowohl über alle Bürger und Bürgerinnen der Vereinigten Staaten als auch über alle Emigranten anzulegen, die man kommunistischer Sympathien oder Verbindungen zu Kommunisten beziehungsweise zur Sowjetunion verdächtigte.
Gleichzeitig mit den Aktivitäten von J. Edgar Hoover griff der Senator des Staates Wisconsin, Joseph McCarthy, auf eine Institution zurück, die ebenfalls bereits 1938 gegründet worden war, aber bis zu diesem Zeitpunkt keine bedeutende Rolle im politischen Leben der Vereinigten Staaten gespielt hatte, nämlich den »Kongressausschuss zum Schutz des wahren Amerika«. Überdies wandelte das Repräsentantenhaus, das über einen ähnlichen Ausschuss mit der Bezeichnung »Dies-Committee« verfügte, diesen in eine ständige Einrichtung um, in das »House Committee of Unamerican Activities« (HUAC).
Die amerikanische Öffentlichkeit hatte es also von nun an mit drei voneinander unabhängig agierenden Institutionen zu tun, die das politische Leben der vierziger und fünfziger Jahre auch deshalb maßgeblich prägen konnten, weil die außenpolitischen Verwicklungen dies begünstigten. Dazu gehört auch die damalige Entwicklung in Griechenland: Gegen die deutsch-nationalsozialistische und italienische Okkupation des Landes hatten hier die Nationale Befreiungsfront (EAM) und ihr bewaffneter Arm, die Nationale Befreiungsarmee (ELAS), gekämpft. Sowohl EAM als auch ELAS hatten sich während dieser Kriegsjahre dem Kommunismus angenähert, gleichzeitig gab es innerhalb der Bevölkerung große Sympathien für die Sowjetunion. Doch im Herbst 1944 – unter dem Schutz britischer Truppen kehrte die griechische Exilregierung zu diesem Zeitpunkt nach Griechenland zurück – setzte sich der britische Premierminister Winston Churchill dafür ein, dass die nächste Regierung Griechenlands, also die erste Nachkriegsregierung, eine monarchistische sei. Churchill hatte sich damit, vorerst nur in Griechenland, offen gegen Stalin gestellt. Als die Vereinigten Staaten Großbritannien im Jahr 1947 als Schutzmacht ablösten, wurden sie in diesem Konflikt die unmittelbaren Erben Churchills, und die sogenannte Truman-Doktrin versprach den Griechen großzügige finanzielle Unterstützung, sofern sie gegen den Kommunismus kämpfen würden.

Hilfe für Griechenland

Im Winter und Frühjahr 1947 befand sich die französische Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir auf einer ausgedehnten Reise durch die Vereinigten Staaten. »Vorgestern hat im Kongress die Debatte über die Intervention in Griechenland begonnen, die man Hilfsaktion für Griechenland nennt«, notierte sie am 6. März 1947. »Marshall hat mit Bestimmtheit erklärt, er sei bereit, in Griechenland den Kommunismus zu bekämpfen. Gleichzeitig bereitet Truman einen dem Kongress zu unterbreitenden Gesetzestext vor, nach dem jeder, der als illoyal beurteilt wird, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist. Selbstverständlich sind damit die Kommunisten gemeint, und mit ihnen alle Linksliberalen.«
Der US-amerikanische Kampf gegen den Kommunismus in Griechenland ging mit dem innenpolitischen Kampf gegen die sogenannten Illoyalen Hand in Hand, da die Truman-Regierung jede Kritik an ihrer Griechenland-Politik, die einen offensichtlichen Bruch des Völkerrechts darstellte, unterbinden wollte. In erster Linie gerieten die Mitglieder der kleinen Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten, der KPdUSA, ins Visier der Gesinnungsfahnder. Simone de Beauvoir registrierte zudem eine Verschlechterung der sozialen Lage. Anlässlich eines Streiks schrieb sie am 22. März 1947: »Die Arbeiter verlangen, dass ihnen die oft ziemlich lange Zeit zwischen ihrer Ankunft in der Fabrik und ihrem Erscheinen am Arbeitsplatz als Arbeitszeit angerechnet werde. Der Senat stimmt gegen diesen Antrag. Truman verfügt unterdessen eine Säuberung bei den Regierungsbeamten: Wenn sie illoyal sind, das heißt mit dem Kommunismus sympathisieren, werden sie entlassen. Man hat mit der Aufstellung von Schwarzen Listen begonnen. Natürlich dürfen die so entlassenen Beamten anderswo Arbeit suchen – ob sie welche finden, ist allerdings sehr zwei­felhaft.«
Viele Menschen wurden ängstlich. Mitglieder der KPdUSA gaben ihre Parteibücher zurück, Linke und Linksliberale begannen, einander zu meiden, und reduzierten ihre politische Arbeit oder stellten sie ganz ein. Am 30. April 1947 schrieb Simone de Beauvoir in einem Brief an Jean-Paul Sartre in Paris, dass man es in den Vereinigten Staaten nicht mehr wage, liberal aufzutreten, weil man sonst sofort als Kommunist bezeichnet werde.
In den Folgejahren sollte die Kampagne gegen vermeintliche Kommunisten noch viele treffen, unter ihnen Prominente wie der Dramatiker Arthur Miller, der zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, die er letztlich aber nicht absitzen musste. Der Kriminalautor Dashiell Hammett jedoch musste ins Gefängnis und der weltberühmte Komiker Charles Chaplin ging unter dem Druck der antikommunistischen Kampagne gegen ihn nach Europa ins Exil.
Auch nach Kay Boyle, die sich zu Beginn der fünfziger Jahre noch in Deutschland aufhielt, streckte der Ausschuss des HUAC seine Arme aus: »Mit den vergifteten Auswirkungen der McCarthy-Kampagne«, berichtet Natalia Danesi Murray, »wurden wir früher als erwartet konfrontiert, als zwei unserer besten Freunde, Joseph von Franckenstein und seine Frau, Kay Boyle, in den Strudel gerieten. Joseph war während des Krieges in der US-Army Soldat gewesen, erst als Ski-Lehrer, danach als Offizier beim OSS, für das er hinter den feindlichen Linien gefährliche Missionen erfüllte. Er sprach perfekt Deutsch, denn er war in Innsbruck geboren, und entsprechend reichlich hatte man von dieser vorteilhaften Eigenschaft Gebrauch gemacht. Auf einer dieser Missionen gegen Ende des Krieges wurde er von den Nazis verhaftet, gefoltert und – weil er nichts verriet – zum Tode verurteilt. Es gelang ihm, zu entkommen, gerade als die alliierten Befreier in Deutschland einmarschierten; er wurde repatriiert und ehrenvoll aus der Armee entlassen. 1947 kehrte er als Auslandsoffizier für das State Department nach Deutschland zurück. Er war in Bad Godesberg stationiert, und hierher folgte ihm auch seine Frau mit ihren beiden Kindern, um ihre Karriere als Schriftstellerin und Korrespondentin des New Yorker fortzusetzen. Anfang 1952, noch während der McCarthy-Zeit, hatte das State-Department Joseph davon unterrichtet, dass Beschuldigungen gegen ihn vorlägen, und stellte ihm frei, zurückzutreten. Da er jedoch ein reines Gewissen hatte, weigerte er sich. Einige Monate später zitierten sie ihn zu einem Sicherheits-Hearing betreffs seiner Loyalität. Die Beschuldigungen galten auch für Kay, die ebenfalls zu dem Hearing erscheinen musste. Es ging um die angebliche Mitgliedschaft in einer linksgerichteten Vereinigung.«
Zuerst wurde Kay Boyle vorgeworfen, dass sie Mitglied einer kommunistischen Partei sei, was sich als haltlos erwies. Danach galt sie als »vorzeitige Antifaschistin«, also als Gegnerin des deutschen Nationalsozialismus zu einer Zeit, als diese Gegnerschaft noch nicht der offiziellen Politik der US-Regierung entsprach, was zum Verdacht kommunistischer Sympathien berechtigte. Sechs Jahre lang war Kay Boyle Korrespondentin des New Yorker gewesen, für den auch Janet Flanner schrieb. Nun musste sie zur Kenntnis nehmen, dass der New Yorker aus politischer Opportunität auf eine weitere Zusammenarbeit mit ihr verzichtete. Eine Ausweichmöglichkeit existierte nicht. Kay Boyle stand auf der sogenannten Schwarzen Liste, von der bis heute unklar ist, ob sie tatsächlich als solche existiert hat oder ob es sich nicht doch um eine Weitergabe der betroffenen Namen unter der Hand gehandelt hat. Sie konnte kein Geld mehr verdienen, während sich ihre Anwaltskosten bereits im Sommer 1952 auf 5 000 Dollar beliefen.

Die vergessene Liberale

Am 26. Oktober 1952 sagte Janet Flanner für das Paar aus und konnte erreichen, dass der Ausschuss alle Vorwürfe zurückzog. Für Kay Boyle und ihren Mann kam der Freispruch allerdings zu spät. Sie waren in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, wo sie neun Jahre lang um ihre Rehabilitierung kämpfen mussten. »Sie fanden beide eine Anstellung als Lehrer an einer kleinen Privatschule in Connecticut, wo ich sie häufig besuchte«, schreibt Natalia Danesi Murray abschließend. »Für mich waren sie Helden, und am Ende wurden sie rehabilitiert. Joseph wurde wieder beim State Department angestellt und als Kulturattaché nach Teheran entsandt. Aber es war schon zu spät. Er starb dort 1963. Die Wunden waren zu tief gewesen. Beide waren aufgrund ihrer antifaschistischen liberalen Überzeugungen zu Opfern der Hysterie während der McCarthy-Ära geworden. Ich konnte sie gut verstehen und fühlte mit ihnen.«
Nach dem Tod ihres Mannes ging Kay Boyle in die USA zurück und fand eine Stelle als Lehrerin für Kreatives Schreiben an der Universität von San Francisco, die sie bis 1979 innehatte. Doch auch nach ihrer Pensionierung blieb sie politisch aktiv. Ihr Engagement gegen den Vietnamkrieg brachte sie mehrmals in Gefängnis. Boyle gehörte zu den ersten Weißen, die sich in den sechziger Jahren für die Rechte schwarzer Studenten und Studentinnen eingesetzt hatte, im Rahmen ihres politischen Engagements reiste sie bis nach Kambodscha. Darüber hinaus schrieb sie weiterhin Gedichte und hielt politische Reden. »Sie war eine Kämpferin«, sagte ihre Tochter Faith über sie, »eine Idealistin und eine ausgesprochen gute Rednerin.« Und sie war eine vielfältige Schriftstellerin: 14 Romane hat Kay Boyle im Laufe ihres Lebens verfasst, von denen nur wenige ins Deutsche übertragen worden sind. Während die ersten drei sich mit dem schwierigen Emanzipationsprozess junger Frauen in Europa beschäftigen, kreisen die Bücher aus den vierziger Jahren um die französische Résistance und um den Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland. Darüber hinaus schrieb sie mehrere Bände mit Kurzgeschichten und Gedichten. Kay Boyle hat außerdem Kinder- und Sachbücher verfasst, insgesamt beläuft sich die Liste ihrer Publikationen auf rund 40 Titel. Es existiert eine Biographie der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Sandra Spanier, und der Literaturprofessor Thomas Austenfeld, der Mitglied der Kay Boyle Gesellschaft ist, hat ihren Namen auch in Europa ein wenig bekannter gemacht. Austenfeld lehrt allerdings amerikanische Literatur in der Schweiz. In Deutschland ist Boyle, wohl nicht zuletzt wegen des deutschlandkritischen Akzents ihres unorthodoxen Liberalismus, auch an den Universitäten bis heute unbekannt.

Literatur
Kay Boyle: Das Schweigen der Nachtigall (»Plagued by the Nightingale«). Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1993
Dies.: Das Jahr davor (»Year Before Last«). Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1994
Dies.: Der rauchende Berg. Geschichten aus Nazideutschland (»The Smoking Mountain. Stories of Postwar Germany«). Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 1994
Simone de Beauvoir: Amerika Tag und Nacht. Reisetagebuch 1947, Reinbek 1996
Dies: Briefe an Sartre. Bd. 2: 1940-1963, Reinbek 1997
Janet Flanner / Natalia Danesi Murray (Hg.): Darlinghissima. Briefe an eine Freundin, München 1995
Alexander Stephan: Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart / Weimar 1999
Kyra Stromberg: Djuna Barnes. Leben und Werk einer Extravaganten, Berlin 1989