Die Probleme der griechischen Antifas

Die Straße zurückerobern

Antifaschistische Gruppen und Initiativen in Athen versuchen, die wachsende Akzeptanz rechtsextremen Gedankenguts in der Bevölkerung zu bekämpfen. Das gestaltet sich schwierig, denn die Faschisten kommen in den Vierteln gut an und die antifaschistische Szene ist zerstritten.

Im politischen Diskurs hatte sich die Spaltung in der krisengeplagten griechischen Gesellschaft schon lange abgezeichnet, jetzt manifestiert sie sich auf der Straße. Besonders seit ihrem Erfolg bei den Wahlen im Mai und Juni 2012 haben die Rechtsextremisten der Chrysi Avgi wie auch andere gewalttätige Neonazi-Gruppen die Macht auf den Straßen erobert.
Deren Erfolg führen die Soziologen Vassilis Tsianos und Dimitris Parsanoglou auf die Strategie des »Mikrofaschismus« zurück. Die Neonazis organisieren Essensausgaben für arme Leute, vertreiben gewalttätig Migranten von den öffentlichen Plätzen, agitieren aggressiv gegen Linke und Anarchisten sowie gegen die Staatsmacht.
Trotz der Institutionalisierung der Chrysi Avgi als Partei beschert ihr der aktivistische Bewegungscharakter immer mehr Unterstützung und Anerkennung in allen Altersgruppen der griechischen Bevölkerung.

Wie reagiert die Linke auf diese Entwicklung? Die antinationalen, antirassistischen und antifaschistischen Gruppen in Griechenland scheinen derzeit wie gelähmt angesichts des Ausmaßes und der Verbreitung des neofaschisten Terrors. Sie haben den schleichenden Siegeszug der Rechten unterschätzt. Bereits voriges Jahr, bei der friedlichen Besetzung des Syntagma-Platzes, demons­trierten Konser vative mit nationalistischer Agenda auf der oberen Hälfte des Platzes, während auf der unteren die Mehrheit der Besetzerinnen und Besetzer linke, anarchistische und libertäre Positionen vertrat. Doch seit dem vorigen Sommer und seit sich die wirtschaftliche Krise verschärft hat, haben sich die öffentlichen Plätze und Straßen geleert und die linken Bewegungen arbeiten eher an konkreten Projekten auf lokaler Ebene, Nachbarschaftsversammlungen, um der Bevölkerung materiell zu helfen, mit den Krisenerscheinungen im Alltag und der zunehmenden Verarmung umzugehen. So wurden etwa Gemeinschaftsküchen, ehrenamtliche Arztpraxen und Depots für gespendete Medikamente organisiert sowie lokale Komitees, die sich den Problemen der Menschen in den Stadtvierteln widmen. Nach der Verabschiedung des zweiten Sparpakets im vergangenen Februar hatte die Wut auf den griechischen Staat und die Politik der sogenannten Troika die Menschen noch einmal auf die Straßen getrieben. Seitdem ist es auf den Straßen ruhig geworden.
Auf unterschiedlichen Ebenen bilden sich Initiativen, die versuchen, sich dem Problem der Faschisierung der Gesellschaft anzunehmen. Die Ansätze sind äußerst unterschiedlich.
Im zentralen Stadtteil Aghios Panteleimonas, in dem die Faschisten seit 2009 große Präsenz im öffentlichen Raum zeigen, arbeiten etwa ein Nachbarschaftskomitee und das Bündnis Pote Xana (»Nie wieder«) aus Griechen und Migranten daran, mit Aufklärungsmaterial die Schulen zu erreichen. Mit Publikationen und Projekttagen versuchen sie, die wachsende Akzeptanz faschistischen Gedankenguts unter griechischen Schülerinnen und Schülern zu bekämpfen.
Auch in den südlich vom Zentrum gelegenen Vierteln Kalithea und Perama haben sich antirassistische Nachbarschaftskomitees gebildet, die mit öffentlichen Veranstaltungen zu migrantischen und antifaschistischen Themen auf die Bevölkerung einwirken wollen. Wöchentlich finden in Athen antifaschistische Demonstrationen statt. Man will trotz allem Präsenz zeigen und den Faschisten nicht die Straßen überlassen.
Eine hauptsächlich von migrantischen Communities neu initiierte Kampagne möchte Migranten den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Rechtsberatung erleichtern. »Wir setzten an vielen Stellen an«, sagt Nicodemos Maina Kinyua von der afrikanischen Organisation Asante. »Bei den rassistischen Krawallen im letzten Jahr konnten wir einige Faschisten identifizieren, wir haben ihre Namen und Beweismaterial der Staatsanwaltschaft übergeben. Aber nach über einem Jahr haben wir immer noch keine Rückmeldung, ganz zu schweigen von einer Verfolgung der Neonazis, zu der es nie gekommen ist.«
Formen von Widerstand gebe es überall, auch im alltäglichen Leben, sagt Nasim Lomani vom Netzwerk Diktio (Netzwerk für die Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten): »Selbst sich auf der Straße zu zeigen ist für Migranten derzeit eine Widerstandsform. Wir müssen dauernd da­rauf gefasst sein, dass wir verbal und vor allem körperlich angegriffen werden.« Es seien nicht nur die Faschisten, gegen die gekämpft werden müsse, sondern die gesamte Gesellschaft sei sehr konservativ und nicht gewohnt, aus der Perspektive von Migranten zu denken und ihre Initiativen zu unterstützen. Der Hungerstreik von 300 Migranten, die vergangenes Jahr gegen ihre Arbeitsbedingungen und die Behandlung durch den griechischen Staat über einen Monat lang protestierten (Jungle World 10/2011), sei trotz aller problematischen Aspekte ein positives Beispiel für migrantische Selbstorganisation und ihre Unterstützung durch griechische Bewegungen, meint Lomani. Diktio ist auch kulturell aktiv. Seit 16 Jahren organisiert das Netzwerk im Juli das Antirassistische Festival in Athen, bei dem Tausende Menschen unterschiedlichster politischer und nationaler Hintergründe zusammenkommen.
Allerdings scheint es schwierig zu sein, dem Straßenterror der Faschisten wirksam etwas entgegenzusetzen. Eine Ausnahme stellt bis jetzt der Stadtteil Exarchia dar. Der anarchistisch und links geprägte Bezirk ist für Faschisten und kon­trollierende Polizisten ebenso abschreckend wie für Migranten einladend. Hier fühlen sie sich ein wenig besser geschützt als in anderen Gegenden und es gibt die Möglichkeit, politische Arbeit zu organisieren.

Das geht nicht ohne Konflikte unter den Gruppen und Kollektiven im Viertel. Mit migrantischen Gruppen arbeiten anarchistische Kollektive trotz grundsätzlicher Solidarität nur selten zusammen. Ein grundsätzliches Problem liegt in der Zusammensetzung und den Schwerpunkten großer Teile der griechischen Linken und der Anarchisten, deren Klassendenken nur ideologisch sympathisierende Migranten mit einschließt. Die Geschichte der Widerstandsbewegungen gegen die Herrschaft des Osmanischen Reiches und gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg, auf die sich viele Linke beziehen, trägt noch heute dazu bei, dass soziale Befreiung oft mit nationaler Befreiung verknüpft wird.
Dieses antiimperialistische, nationalistische Narrativ, das »Feinde« außerhalb Griechenlands imaginiert und »die Griechen« in der Krise zusammenschweißt, ist gefährlich, denn bei solchen Gedankengängen können Migranten auch von links in die Konstruktion des »äußeren Feindes« leicht mit einbezogen werden. Eine theoretische und selbstkritische, antinational orientierte Auseinandersetzung innerhalb der linken und anarchistischen Bewegung findet man in Griechenland selten. Viele Anarchisten werden hauptsächlich als Aktionisten wahrgenommen, und da sie es nicht geschafft haben, inhaltliche Botschaften nach außen zu transportieren, werden sie oft auf ihre militanten Methoden reduziert. Die Straßenkämpfe und die Aktionen gegen die Polizei ziehen viele Jugendliche an. Doch seit die Chrysi Avgi die Straßen in Athen erobert hat, sind die Riots nicht mehr nur anarchistisch oder linksradikal konnotiert. Beobachten konnte man das bei den Krawallen am 12. Februar 2012, als vermummte Rechtsextreme mit Griechenlandfahnen Jagd auf Migranten machten. »Jetzt kommt es aber darauf an, unsere Kräfte zu bündeln und konkrete Unterstützung für die Belange von Migranten zu organisieren«, sagt Maina Kinyua. »Eine gegenseitige Unterstützung und Vernetzung der antinationalen Kräfte in Athen ist dringend erforderlich. Wir erwarten einen heißen Herbst.«