Ein Plädoyer für das Bett

Ab ins Bett, jetzt!

Wachsein wird völlig überbewertet. Wenn die Menschen schlafen, richten sie weniger Unheil an.

Herbstbelebung – was für ein vollständig idiotischer Begriff aus einer vollständig idiotischen Welt. Nach den müßigen Sommermonaten mit all ihren unproduktiven Lastern wie Ferien, Urlaub, Badeseen und Biergärten ist jetzt aber mal Schluss mit dem Quatsch, jetzt kommen wir wieder zur Besinnung, es darf wieder in die Hände gespuckt und das Bruttosozialprodukt gesteigert werden. Herbstbelebung – also wirklich.
Ein Blick durchs Fenster zeigt Hybris wie Paradoxie des Begriffs und, machen wir keine halben Sachen, des menschlichen Tuns an sich. Draußen wird es schäbig und ungemütlich, und es ist ja nicht so, als würde die Welt mit Warnungen geizen: Die Blätter zeigen uns die rote Karte, die Vögel hauen reihenweise ab, und wer hierbleibt und noch alle Tassen im Schrank hat, sieht zu, dass er in eine warme Höhle kommt. Igel, Bär und Murmeltier machen es uns vor, aber wir wollen ja nicht hören. Herbstbelebung! Endlich also, seufzt die Ökonomie erleichtert auf, besinnen sich die Menschen aufs Wesentliche und basteln wieder neue USB-Staubsauger und ganz frische Finanzproduktpakete zusammen, schmeißen endlich den Tablet-PC mit dem ollen 7.0-Prozessor weg, um sich den topaktuellen Tablet-PC mit dem 7.1-Prozessor zu kaufen, strömen zu Lifestyle-Catwalk-Abenden ins nächstgelegene Kaufhaus und laufen in die Buchgeschäfte, um die neusten Hochleistungsdruckerzeugnisse von Rowling-Walser-Kachelmann zu kaufen, und – juchhu – der Arbeitsmarkt, er berappelt sich, denn endlich, endlich werden aus Menschen wieder Kunden, die ihre Zeit damit zubringen, in Callcentern anzurufen, um einen Vertrag zu kündigen, weil der Mitbewerber die noch duftere Flatrate im Angebot hat, und damit sorgen sie dafür, dass aus anderen Menschen wieder Callcenterer werden, die anschließend zurückrufen und aber zur Flatrate noch die Homezone samt noch höheren Gigabyte-Sockeln anbieten. So belebt geht es nämlich zu im Herbst.

Der weise Siebenschläfer hat sich schon lange die Kante gegeben und bekommt nichts mehr mit von den Zumutungen da draußen, während die Menschen ein einziges Gebrumme, Gesummse und Gesimse veranstalten. »Wenn nichts mehr da ist, wo es hingehört/und John Wayne beim Grabe seiner Mama schwört/dass du ein toter Mann bist, wenn er dich noch mal sieht/dann gibt es vielleicht nur noch einen Trick, der zieht:/Überwintern/ich such ’n warmen Platz für mein’ Hintern«, fasste der große Liederschreiber Danny Dziuk die Lage schon vor Jahren ebenso klug wie wohlklingend zusammen. Denn nicht das kuschelige Gefühl von Wärme, nicht der Mief der Zweisamkeit oder der Kleingruppe, nicht das einlullende Private ist das Problem, sondern dass zu viele Menschen diesem Grundbedürfnis nicht nachgeben wollen, dieser vermeintlich schwachen, unproduktiven Selbstbezüglichkeit, sondern voll aufgepumpter Bedeutung immerzu hellwach sind und dadurch erst bereit sind für das stete Dasein im Hamsterrad, in dem sie aber halt immer noch laufen, wenn der Hamster selbst es sich lange schon in seinem Bau gemütlich gemacht hat und die Deppen herumhecheln lässt, bis sie endlich vor Erschöpfung tot umfallen, während er sich die Augen reibt, um sich direkt noch mal umzudrehen.

Nicht also die Überwindung des Winterschlafs ist das Ziel, nein, wir sollten noch einen Schritt weiter gehen und einen Blick auf Steppenschildkröte und Schmuckhornfrosch werfen: Denn auf den Winter folgt unerbittlich die warme Jahreszeit, mit all der grundlosen guten Laune, der an den nächsten Lifestyle-Catwalk-Abenden im nächstgelegenen Kaufhaus präsentierten neuen Sommerkollektion, und die Tablet-PC-Hersteller überraschen mit dem 7.3-Prozessor. Es ist, mit anderen Worten, Zeit für die Aestivation, den Sommerschlaf. Ab in die Höhle, und während draußen die lebens- wie geschmacksfeindliche schöne Jahreszeit mit ihren nur unzureichend bekleideten Protagonisten tobt, machen wir die Augen zu.
Und träumen von der höchsten Erleuchtungsstufe, die einem Lebewesen auf dieser Welt möglich ist. Die Schaufelfußkröte hat sie schon erreicht, streben wir ihr nach: Sie ignoriert die immerwährende Dürre da draußen, verbringt das ganze Jahr über in einem kleinen Kokon aus Eigensekret tief unter der Oberfläche und schert sich einen Dreck um Herbst- wie Frühjahrsbelebung. Nur wenn es wider Erwarten doch mal regnet, sprengt sie ihre Hülle, kommt nach draußen und freut sich der guten Zeit. Sie dauert erfahrungsgemäß nicht lange. Man kann es nicht ändern. Der Schaufelfuß zieht die Konsequenzen, gräbt sich wieder ein und gibt Ruhe. Bis zum nächsten Mal. Mehr kann man nicht erreichen auf dieser Welt.

Der Autor ist Schriftsteller und Satiriker und gewährt nicht nur im Winter zahlreichen Reptilien und Fröschen eine sichere Schlafstatt.