Nazi-Aufmarsch im Berliner Stadtteil Rudow

Nie wieder Rudow

Im Rahmen ihrer Kampagne gegen »Asylmissbrauch« veranstaltete die NPD am Samstag einen Aufmarsch im Berliner Stadtteil Rudow.

Am Samstag versammeln sich in Rudow etwa 70 Neonazis. Ihr Aufmarsch richtet sich gegen den geplanten Bau eines provisorischen Asylbewerberheims in dem Gebiet, das im Südosten der Stadt liegt. Sebastian Schmidtke, der im Februar zum Berliner NPD-Vorsitzenden gewählt wurde, ruft Parolen durch den Lautsprecher. Der Ort für die Auftaktkundgebung ist weiträumig mit Gittern abgesperrt, die Polizei ist zahlreich vertreten, auf potentielle Interessenten dürfte die Veranstaltung eher abschreckend wirken. Die Veranstalter erhoffen sich an diesem Tag wenig Gegenwehr, schließlich findet auch die antifaschistische Silvio-Meier-Demonstration statt. Dieser Plan geht nicht ganz auf, bereits eine Stunde vor Beginn finden sich mehrere hundert Gegendemonstranten ein. Die Demonstration ist der vorläufige Höhepunkt einer Kampagne der NPD in Rudow.
Der verschlafene Stadtteil an der Grenze zu Brandenburg ist schon seit einiger Zeit ein regionaler Schwerpunkt der Partei. Regelmäßig kommt es zu Übergriffen und Aktionen, die NPD hat sich in Zusammenarbeit mit Kameradschaftsgruppen eine kleine Homezone errichten können. Sie erzielt verhältnismäßig hohe Wahlergebnisse in diesem Gebiet, das mit 8,5 Prozent im Vergleich zum restlichen Bezirk Neukölln einen sehr geringen Migrantenanteil aufweist. Das Asylbewerberheim soll für zwei Jahre auf dem Gelände der Clay-Oberschule in der August-Froehlich-Straße errichtet werden. Der Schule, die seit über 20 Jahren als Provisorium in Containern untergebracht ist, wird Planungen zufolge 2014 ein neu errichtetes Gebäude zur Verfügung gestellt. Bis dahin sollen weitere zu den bisher nur 54 Flüchtlingen im Bezirk Neukölln hinzukommen.

Einige Anwohner haben sich eingefunden, um das Spektakel zu beobachten, viel ist sonst nicht los vor ihrer Haustür. Eine Mittvierzigerin, die bekundet, erstmals Sympathien für die Ziele der NPD zu empfinden, plaudert mit einem Rentner aus der Nachbarschaft. Beide einigen sich während des Gesprächs schnell darauf, dass man schon genug Ausländer in der Stadt habe. Als der Rentner ihr einen Interessentenbrief der NPD zeigt, scheint die Begeisterung der Frau groß zu sein. Man freundet sich schnell an, wenn es gegen den gemeinsamen Feind geht. Der Feind, der sie auf ihren Grundstücken bestehle und ihre deutschen, blonden Töchter begrapsche. Die Unterhaltung der beiden kann man als symptomatisch für die Reaktion der meisten Anwohner auf den Aufmarsch der NPD bezeichnen. Zahlreiche Sympathiebekundungen – von ekstatischem Applaus bis hin zum Hitlergruß – begleiten den Weg der Teilnehmer der NPD-Veranstaltung.

Der Bezirksverband der CDU veranstaltete wenige Wochen vor dem Aufmarsch der Neonazis eine Bürgersprechstunde zum geplanten Bau des provisorischen Asylbewerberheims. Die CDU ist gegen die Nutzung des Grundstücks in der August-Froehlich-Straße, die Partei sei aber nicht generell gegen Asylbewerberheime in Neukölln, berichtete der Tagesspiegel. Zahlreiche der 150 Besucher der Bürgerversammlung sollen sich in rassistischer Manier ereifert haben, berichten Augenzeugen. Beobachter kritisierten die aggressive Stimmung und rechtspopulistische Aussagen. Ein Vertreter des Berliner Flüchtlingsrats wurde nach Medienberichten regelrecht niedergebrüllt. Zudem nahmen an der Veranstaltung auch Anhänger der NPD teil. »Es ist Fakt, dass an der Bürgerversammlung am 9. Oktober 2012 (...) der NPD-Funktionär Sebastian Thom teilgenommen hat«, teilten die Neuköllner Grünen in einer Pressemitteilung mit. Thom ist Beisitzer im Ber­liner Landesvorstand der NPD und Vorsitzender des Neuköllner NPD-Kreisverbandes, bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 war er in Rudow als Direktkandidat für die NPD angetreten. Der Bitte von anwesenden Mitgliedern der Grünen, das Hausrechts auszuüben und Thoms von der Gesprächsrunde auszuschließen, sei der Verantwortliche Hans-Christian Hausmann mit Ausflüchten begegnet. Die NPD sei keine verbotene Partei und könne somit wie alle anderen Demokraten mitdiskutieren. Im Nachhinein bekundete der Rudower CDU-Bezirksverordnete Daniel Dobberke, man hätte Rechtsextremisten von der Veranstaltung ausgeschlossen, wären sie erkannt worden. Die Neuköllner CDU berichtet in ihrer Auswertung der Bürgersprechstunde auf ihrer Website von einer sachlichen Diskussion mit vielen interessanten Vorschlägen. Angesichts der Stimmung im Publikum verwundert es nicht, dass die NPD kurz darauf mit ihrer Kampagne gegen »Asylmissbrauch« begann. Allein im November veranstalteten die Neonazis drei Kundgebungen in Rudow, jedoch mit eher bescheidener Außenwirkung. Anwesend waren jedes Mal nicht mehr als zehn Teilnehmer, größtenteils handelte es sich um langjährige Aktivisten der Szene wie Jan Sturm und Christian Bentz, die auch am Aufmarsch am Samstag teilnehmen.

Aufgrund von Gegenprotesten, die vorrangig von antifaschistischen Gruppen organisiert wurden, müssen die Veranstalter am Samstag die Route verkürzen. Nach mehreren Versuchen von kleineren Gruppen, auf die vor den Neonazis liegenden Straßenabschnitte zu gelangen, zwingt eine Blockade von etwa 300 Personen den Kreis um Schmidtke zum Umkehren. Zuvor hatten sie etwa eine Stunde stumm in einem vereinsamt wirkenden Wohngebiet gestanden. Nach einer weiteren halben Stunde löst der Anmelder den Aufmarsch vorzeitig auf. Auf der Rückfahrt greifen etwa 40 Teilnehmer der Versammlung eine Gruppe Antifaschisten an, die sich auf dem Weg in den Berliner Bezirk Friedrichshain zur Gedenkdemonstration für Silvio Meier befinden. Der sonst stets um Seriosität bemühte Schmidtke, den Kenner der rechten Szene mit dem rechtsextremen Internetportal nw-berlin.net in Verbindung bringen, das vor allem durch Anti-Antifa-Listen und Aufrufe zu Anschlägen auf linke Einrichtungen auf sich aufmerksam machte, schlägt wild mit einem Regenschirm um sich. Er und seine frustrierten Kameraden suchen offenbar eine körperliche Auseinandersetzung. Zu diesem Zeitpunkt waren die Teilnehmer der Gedenkdemons­tration für Silvio Meier bereits eine halbe Stunde unterwegs.
Ähnliche Szenarien sind auch angesichts der geplanten provisorischen Flüchtlingsunterkunft zu erwarten. Im Mai wurde am Gebäude des Asylbewerberheims in Waßmannsdorf in Brandenburg ein Brand gelegt. Im Oktober kam es erneut zu einem Angriff. Dieses Mal wurde das Heim mit Farbbeuteln und Steinen beworfen. Dabei wurde auch die Fensterscheibe eines Zimmers getroffen, eine im Raum schlafende Frau kam mit dem Schrecken davon. Hakenkreuze wurden gesprüht und die Parole »Rostock ist überall« wurde hinterlassen. Der Ort liegt ganz in der Nähe von Rudow, bereits in der Vergangenheit gab es gemeinsame Aktionen von Brandenburger und Rudower Neonazis.