Amani Eltunsi im Gespräch über Frauenrechte in Ägypten

»Wir werden stärker kontrolliert«

Der neue ägyptische Verfassungsentwurf lehnt sich an das religiöse Recht der Sharia an. Für alle Frauen, die während des »Arabischen Frühlings« für mehr Rechte auf die Straße gegangen sind, ist das ein herber Rückschlag. Viele Organisationen der ägyptischen Frauenbewegung, wie etwa das Egyptian Centre for Women’s Rights, sind angesichts der derzeitigen Lage tief besorgt und setzen sich dafür ein, Frauenrechte in der Gesellschaft und der Verfassung endlich zu thematisieren. Die Jungle World sprach mit Amani Eltunsi vom Sender »Banat9Bass – Girls Only Radio Station«, dem einzigen Radiosender für Frauen und Mädchen im gesamten arabischen Raum, über die Auswirkungen der neuen Verfassung auf die Zukunft der Frauenrechte in Ägypten.

Welche Bedeutung hat die neue ägyptische Verfassung für die Rechte der Frauen?
Frauenrechte werden in der neuen Verfassung ganz einfach übergangen. Nach wie vor werden Frauen und Männer nicht als gleichwertig angesehen. Die Wahrnehmung der Frau ist reduziert auf eine islamische Perspektive. In keinem der Gremien und Ausschüsse, die mit der Errichtung einer neuen Verfassung betraut waren, sind Frauen überhaupt repräsentiert gewesen. In diesem Bereich sind sie schlichtweg unsichtbar.
Wie wirkt sich diese Situation auf das alltäg­liche Leben von Frauen aus?
Das Verfassungskomitee hat Frauenrechte explizit nicht miteinbezogen. Damit wird das »Frauen­thema« schlechter behandelt als zuvor. Das beginnt schon bei ganz grundsätzlichen Rechten. So soll vermieden werden, dass Frauen arbeiten und Geld verdienen. Diese Verfassung wird aber von einem großen Teil der ägyptischen Bevöl­kerung abgelehnt, der sich echte Demokratie wünscht. Sie wird natürlich von den religiösen Parteien, den Salafisten und den Muslimbrüdern unterstützt. In der Gesamtheit der ägyptischen Gesellschaft hat sie aber keinen Rückhalt. Es gibt tatsächlich auch gemäßigte religiöse Stimmen, die die neue Verfassung nicht gutheißen.
Was in den vergangenen Wochen zu heftigen Protesten führte. Wie gliedern sich die Frauenrechtlerinnen in diese Demonstrationen ein?
Wir sehen viele Frauen, die auf die Straße gehen und sich gegen die neue Verfassung auflehnen. Viele Nichtregierungsorganisationen organisieren derzeit Kundgebungen und Proteste, um auf die Vernachlässigung von Frauenrechten aufmerksam zu machen. Wir versuchen, unsere Rechte zu verteidigen, aber sie sind bisher kein öffentliches Thema. Viel mehr Frauen müssten sich dafür öffentlich stark machen.
Welche Mittel bleiben der Opposition und vor allem den Frauenrechtsorganisationen noch, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen?
Die Opposition hat keine andere Option als die der Demonstration. Ich glaube, wir haben derzeit eine ähnliche Situation wie während der Proteste gegen Hosni Mubarak. Seitdem hat sich nicht viel geändert. Viele Probleme und auch viele Vertreter des alten Regimes sind nicht verschwunden. Die derzeitige Regierung führt die Politik Mubaraks teilweise im Namen des Islam weiter.
Vor kurzem ist es während Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz erneut zu sexuellen Übergriffen gekommen. Wie gefährlich ist die Lage für Frauen, die in der Öffentlichkeit ­protestieren?
Die Gefahr kommt nicht nur aus einer Richtung, sondern hängt damit zusammen, dass Frauen allgemein ein geringerer Wert zugeschrieben wird als Männern. Sexuelle Belästigungen und Übergriffe sind ein sehr ernstzunehmendes Problem. Abgesehen von dieser unmittelbaren Gefährdung existieren aber mittelbare Gefahren, wie etwa die unzureichende Interessenvertretung. Frauen kommen somit gar nicht erst in die Position, ihre Interessen ausdrücken zu können. Schließlich fehlen Quoten im Parlament, welche Frauen die aktive Beteiligung am politischen Leben zusichern würden. Um unsere Rechte zu stärken, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Aber jetzt ist die Situation erheblich schwieriger als noch unter dem Regime von Mubarak. In gewisser Weise hat seine Politik den Frauen ein wenig geholfen. Jetzt ist es uns nicht einmal erlaubt, Forderungen zu stellen. Durch die rechtlichen Änderungen wird die Freiheit der Frauen erheblich beschnitten.
Inwiefern sind Ihre Arbeit und Ihre Radio­station von diesen Einschränkungen be­troffen?
Natürlich berührt diese veränderte Lage unsere Arbeit in besonderer Weise. Es ist uns nicht mehr möglich, über gewisse Themen zu sprechen. Wenn wir eine Frau einladen würden, die sich kritisch über die Religion äußert, wäre es sehr wahrscheinlich, dass uns die Internetverbindung gekappt wird, so dass wir nicht mehr im Streaming zur Verfügung stehen. Die Aufmerksamkeit unserer Berichterstattung gegenüber hat sich verändert. Wir werden stärker kontrolliert als jemals zuvor, denn allein schon unser Konzept fordert das Bild der Frau heraus, das in der geplanten Verfassung vermittelt wird. Es ist uns etwa nahegelegt worden, auch religiöse Themen in unser Programm aufzunehmen und die entsprechenden Frauen einzuladen, aber ich habe das abgelehnt. Es entspricht nicht meiner Sendepolitik, dass solchen Themen in meiner Radiostation ein Platz eingeräumt wird. Wenn es geht, vermeide ich es, in meinen Sendungen über Religion zu berichten. Aber deshalb steht unsere Website unter Beobachtung. Zum Glück habe ich die Möglichkeit, auch von außerhalb Ägyptens zu arbeiten.
Was kann ein Radio für die Frauenbewegung in Ägypten leisten?
Unser Online-Radio hat fünf Millionen Abonnentinnen, die darauf bauen, dass wir berichten. Unsere Aufgabe bleibt es, ihnen die Informationen zukommen zu lassen, die ihnen sonst vorenthalten werden. So können wir Frauen darüber aufklären, dass sie Rechte haben, auch indem wir das gängige Frauenbild in Frage stellen. Wir vertrauen darauf, dass diese Frauen so lange für ihre Rechte eintreten werden, bis sie ihnen gewährt werden.