Spanische Neonazis und die Krise

Spanische Morgenröte

Spanische Neonazis versuchen, sich nach dem Vorbild griechischer Nazis als Krisenlösung anzubieten – bisher erfolglos. Eine Gefahr stellen sie dennoch dar.

Schlechte wirtschaftliche Zeiten bedeuten meist gute Zeiten für autoritäre Lösungen, nationalistische Erklärungen der gesellschaftlichen Krise und rassistische Gewalt. Besonders deutlich lässt sich das derzeit in Griechenland beobachten, wo die neonazistische Partei Goldene Morgenröte seit vergangenem Jahr im Parlament sitzt und auch auf der Straße immer offener faschistischen Terror verbreitet. In Spanien, wo die Lage ähnlich ruinös ist wie in Griechenland, war solch eine Entwicklung bisher nicht zu beobachten. Aber auch dort versuchen Faschisten, an die Ohnmacht und Wut angesichts der wachsenden Armut anzuknüpfen. Gleichzeitig mit dem Einzug der griechischen Faschisten ins Parlament gründete der Unternehmer Víctor Nicolás Vico García aus Córdoba den spanischen, fast gleichnamigen Ableger Nuevo Amanecer (Neue Morgenröte).

Der Vorsitzende der neonazistischen Partei España 2000, José Luis Roberto, glaubt eine wachsende Bewunderung für den 1975 verstorbenen spanischen Diktator Francisco Franco und sein autoritäres Regime in Spanien zu erkennen. »Er hat uns nie unser Weihnachtsgeld weggenommen«, äußerte sich Roberto über Franco gegenüber einem BBC-Reporter. Die Wahlergebnisse jedoch widersprechen seiner Hoffnung. Bei den Parlamentswahlen Ende 2011, als das Land bereits ökonomisch und politisch am Boden lag, kamen alle extrem rechten Parteien zusammen auf nur 73 980 Stimmen oder gerade einmal 0,3 Prozent. Die zahl der Wählerstimmen der legalen Nachfolgepartei der franquistischen Massenbewegung, Falange Española de las JONS, sank sogar von 14 000 auf knappe 3 000. Für eine wachsende Begeisterung für den Caudillo spricht das nicht gerade. Die extreme Rechte Spaniens ist auf parlamentarischer Ebene traditionell schwach – sie kam zusammengenommen nie über ein Prozent der Stimmen – und dazu stark zerstritten. Das sollte jedoch nicht über die Gefahr hinwegtäuschen, die auch in Spanien von faschistischen und neonazistischen Gruppen ausgeht.

Regelmäßig kommt es zu Übergriffen auf Migranten, Linke, Homosexuelle oder sozial Ausgegrenzte. In Madrid begann gerade ein Gerichtsverfahren gegen fünf Neonazis, die 2009 einen Obdachlosen ins Koma geprügelt hatten. Anfang November gingen 20 Neonazis in Salamanca mit Baseballschlägern und Messern bewaffnet »auf Jagd« und verletzten dabei vier Menschen, einen von ihnen schwer. Vor zwei Wochen zog eine Gruppe junger rechter Skinheads tagsüber Parolen brüllend durch die Straßen des migrantisch geprägten Stadtviertels Raval in Barcelona und schlug einen 14jährigen indischer Herkunft krankenhausreif. Nach ihrer Krawalltour präsentierte einer der Beteiligten auf Facebook Fotos, auf denen zu sehen ist, wie die Gruppe in direkter Nähe der Übergriffe mit Hitlergruß posiert.
Die gewalttätige rechte Szene findet jedoch meist nur kurzfristig in der Öffentlichkeit Beachtung. Von den Behörden wurde sie lange Zeit ignoriert und konnte so in Ruhe ihre Organisation verbessern. Die spanische Sektion von Blood and Honour war sogar seit 1999 offiziell als »kulturelle Vereinigung« eingetragen. Erst 2004 kam es zu einer landesweiten Razzia gegen Neonazis, in diesem Fall gegen die spanische Division der Hammerskins. Im Jahr darauf musste die Szene weitere Rückschläge einstecken. Erst traf es Blood and Honour und kurz darauf wurde in der »Operación Panzer« die terroristische Gruppe Frente Antisistema (FAS) ausgehoben. Bei den Razzien wurden neben Nazipropaganda große Mengen Waffen gefunden und über 60 Personen festgenommen. 2009 wurde dann im Prozess gegen die Hammerskins diese als erste neonazistische Gruppe überhaupt als kriminelle Vereinigung eingestuft.
Die von den Gerichten verhängten vergleichsweise hohen Haftstrafen waren dabei offensichtlich vor allem der häufiger werdenden rechten Gewalt und der daraus resultierenden öffentlichen Aufmerksamkeit geschuldet. Am bekanntesten dürfte der Fall des 16jährigen Antifaschisten Carlos Palomino sein, der im November 2007 in Madrid auf dem Weg zu einer Demonstration gegen die rechtsradikale Democracia Nacional von einem Anhänger der Partei erstochen wurde. Doch ist das nur die Spitze des Eisbergs. Allein in der Region Valencia, wo auch die FAS aktiv war, gab es 2007 über 600 Übergriffe.
Trotz allem kann die Neonaziszene in Spanien weiter unter äußerst günstigen Bedingungen agieren. Die Verherrlichung des Nationalsozialismus wird dort ebenso wenig verfolgt wie die Leugnung des Holocaust. Der Ku-Klux-Klan-Veteran David Duke kann unbehelligt mit seinem Buch über die »jüdische Weltherrschaft« durchs Land touren, und öffentliche Gedenkveranstaltungen für die División Azul, Hitlers spanische Freiwilligenarmee, finden nicht nur statt, sie werden sogar mit Hakenkreuzen auf den Plakaten beworben.

Spanien hat seine faschistische Vergangenheit nie aufgearbeitet. Gleichzeitig war und ist das Land wichtiger Rückzugsort für NS-Verbrecher, die zum Teil auch in ihrer neuen Heimat politisch und kulturell aktiv wurden. Als »absolute Passivität und Verschließen die Augen « bezeichnete der bekannte Journalist und Autor Joan Cantarero einmal sehr passend die Haltung, die fast alle Regierungen seit Ende des Franco-Regimes an den Tag legten.
Neonazis werden in Spanien in Abgrenzung zur friedlichen und vermeintlich demokratischen Mitte gemeinhin als ultras bezeichnet, was sozusagen die spanische Variante des Extremismus-Diskurses darstellt. Dabei sind neonazistische Gruppen nur ein Teil des Problems. Der Franquismus und seine Idee eines großen, weißen und katholischen Spaniens ist weiterhin fester Bestandteil der spanischen Gesellschaft. Es stehen weit mehr Spanier und Spanierinnen hinter der faschistischen Konzeption der spanischen Nation, als Wählerstimmen und Mitgliederzahlen ex­trem rechter Organisationen vermuten lassen. Besonders offensichtlich wurde diese Tatsache im vergangenen Sommer, als die spanische Mannschaft die Fußballeuropameisterschaft der Männer gewann. Kaum eine Feier fand ohne Fahnen des franquistischen Spanien statt, und vielerorts kam es zu Übergriffen auf Migranten.
Es gibt unzählige Stiftungen, Kulturvereine und »Freundeskreise«, in denen vor allem ältere An­gehörige der alten und neuen Eliten offen und ganz legal dem Faschismus huldigen. Auch der derzeit regierende Partido Popular steht weiterhin in jener Tradition, wie man nicht zuletzt während der sozialdemokratischen Regierungszeit bei den Massenaufzügen gegen Abtreibung, Homoehe, Einbürgerungskampagnen für illegalisierte Migranten und das Gesetz zur Aufarbeitung der franquistischen Verbrechen sehen konnte.
Zumindest zum Teil lässt sich hier auch eine Erklärung für die Schwäche der offen faschistisch oder neonazistisch agierenden Parteien finden. Denn wenn España 2000 gegen Migranten hetzt und versucht, unter dem Motto »Spanier zuerst« an die sozialen Proteste anzuknüpfen, dann unterscheidet sie sich dabei kaum von dem Parteiprogramm der regierenden Volkspartei.