Die »Joboffensive« wird ausgeweitet

Wer qualifiziert die Qualifizierer?

Die »Joboffensive«, die bisher ein auf Berlin beschränktes Pilotprojekt der Bundesagentur für Arbeit war, soll auf Bundesebene ausgeweitet werden.

Es gehe nicht um Integration um jeden Preis, teilte Christiane Schönefeld, Vorsitzende der Geschäftsführung der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nordrhein-Westfalen, Ende Januar in einem Newsletter der BA mit. Schönefeld reagierte mit dieser Aussage auf kritische Berichte, die in den vergangenen Wochen über die Agentur und insbesondere über die Vermittlungspraxis ihrer Jobcenter erschienen waren (Jungle World 4/13). In den Berichten wurde bemängelt, dass mehr als die Hälfte aller ALG-II-Empfänger und -Empfängerinnen in schlecht bezahlte und meist befristete Zeitarbeitsverhältnisse vermittelt würden. Dadurch entstehe der Eindruck, den Jobcentern gehe es vornehmlich darum, gute Zahlen vorzulegen. Sie könnten mit dieser Vermittlungspraxis eine hohe Anzahl von Vermittlungen vorweisen, während die Betroffenen von ihrem Einkommen nicht leben könnten. Die Vermittelten müssten oftmals schon vor Ablauf einer Dreimonatsfrist oder bereits nach acht Tagen wieder beim Jobcenter vorstellig werden. Von nun an konzentriere man sich auf Nachhaltigkeit, versprach Schönefeld. »Das heißt: Wie lange dauert das Beschäftigungsverhältnis und wird ausreichend verdient, um den Lebensunterhalt der Familie abzudecken?«

Dass die BA sich auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen und für ihre Kunden nun vernünftige berufliche Perspektiven entwickeln möchte, könnte begrüßenswert erscheinen, aber die BA war­tete zugleich mit einer weiteren Neuerung auf. Die propagierte Nachhaltigkeit geht nämlich einher mit der Mitteilung, dass die »Joboffensive«, ein bisher auf Berlin beschränktes Pilotprojekt der BA, demnächst bundesweit Anwendung finden soll. Den Anfang bei der bundesweiten Einführung macht Nordrhein-Westfalen. Im Zuge der »Joboffensive« saßen während der vergangenen zwei Jahre Kunden und Kundinnen der Berliner Jobcenter, für die ein sogenanntes Vermittlungsprofil erstellt worden war, Vermittlern und Vermittlerinnen gegenüber, die im Rahmen des Pilotprojekts zusätzlich befristet eingestellt worden waren. Bei diesen Vermittlern mussten sich die Kunden im Zweiwochenrhythmus melden, anstatt wie zuvor üblich nur alle drei Monate.

Die Betreuung im Rahmen der »Joboffensive« wurde rigider und intensiver. So wurde der zuvor in der Regel gewährte Antrag der Kunden auf Ortsabwesenheit von bis zu drei Wochen pro Jahr, den Arbeitslose oft mit einem Recht auf Urlaub verwechseln, nur noch in begründeten Ausnahmefällen akzeptiert. Kein vermittelbarer Kunde durfte das Jobcenter ohne Vermittlungsvorschlag verlassen, auch wenn die Qualität dieses Vorschlags selbst in den Augen der Vermittler mehr als zweifelhaft war.
»Hinter der Offensive steckt eine ganz einfache Strategie«, teilte Heinrich Alt, der Vorstand des Bereichs Grundsicherung der BA, im Newsletter mit, »mehr Vermittler, mehr Zeit, mehr Integrationen. Fest steht: Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Betreuungsrelation und Integrationserfolg. Das zeigen uns nicht erst die Ergebnisse aus Berlin.« Alt zufolge ist es in Berlin durch die »Joboffensive« während der vergangenen zwei Jahre zu 18 000 Integrationen zusätzlich gekommen, aber bei den Zahlen, mit denen er argumentiert, handelt es sich um jene, die zuvor von den Medien beanstandet worden waren. Einen Arbeitslosen, der innerhalb von zwei Jahren dreimal in die Zeitarbeit vermittelt wurde, hatte man schließlich dreimal als erfolgreich integriert gezählt und somit die Statistik verbessert.
Ob die »Joboffensive« also tatsächlich so erfolgreich war, wie die Agentur es darstellt, oder Menschen nur in einen Teufelskreis geschickt hat, der sie vom Jobcenter über die Zeitarbeit wieder zum Jobcenter führt, müssen die Betroffenen selbst entscheiden, auf jeden Fall wird diese »Job­offensive« nun ausgeweitet. Demnächst wird es in allen Jobcentern der Republik im Zweiwochenrhythmus mehr Termine, mehr Gespräche und somit auch mehr Druck auf die Kunden und Kundinnen geben.
Darüber hinaus denkt man im Bundesland Berlin, das schon bei der »Joboffensive« Vorreiter war, über weitere Möglichkeiten nach, um ALG-II-Bezieher in Arbeit zu bringen. Besonders ehrgei­zige Pläne verfolgt die Berliner Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD), die derzeit ein Programm propagiert, das sich »Förderung von Arbeitsverhältnissen« (FAV) nennt. Firmen und demnächst auch Kultureinrichtungen sollen FAV-Stellen für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose einrichten können, deren Gehalt zwei Jahre lang vorwiegend aus Steuergeldern finanziert werden soll.
Und nicht nur diesen neu eingestellten ehemaligen Arbeitslosen soll ein Jahr lang, ebenfalls steuerlich finanziert, ein Coach zur Seite gestellt werden, der ihnen »beim Einstieg in die geregelte Arbeit« helfen soll, wie es die Berliner Zeitung formulierte, sondern allen ALG-II-Empfängern. »Kolat will Coach für jeden Hartz-IV-Empfänger«, berichtete die Welt und zitierte die Arbeitssenatorin mit den Worten: »Jeder Arbeitslose bekommt einen Coach, der ihn in allen Fragen begleitet.«

Die Betroffenen müssen sich also darauf einstellen, dass sie demnächst ihre Frisur und ihren Kleidungsstil diskutieren müssen, dass sie Rechenschaft ablegen müssen über Umstände und Verhaltensweisen, die andere Menschen mit Fug und Recht als Privatangelegenheit ansehen dürfen. Wie weit die Befugnisse eines Coaches gehen sollen, der bis zu 40 Arbeitslose betreuen soll, darüber schweigt bisher sowohl die Bundesagentur als auch Kolat.
Rechtsunsicherheit besteht tatsächlich nicht, auch nicht für die Betroffenen, denn als Antragsteller und Antragstellerinnen auf Arbeitslosengeld II unterliegen sie der Mitwirkungspflicht. Diejenigen von ihnen, die als vermittelbar eingeschätzt werden, werden in diesem Jahr also mit der »Joboffensive« konfrontiert, die als eher problematisch eingestuften Fälle mit einem Coach, der Aufgaben von »Motivationstraining bis zur Qualifizierung« abdecken soll. Hinsichtlich der FAV-Stellen dürfte viel Motivationstraining notwendig sein, denn für 8,50 pro Stunde sollen die Betroffenen unter anderem als Fahrgastbegleiter bei der BVG tätig werden und, wenn sie diese Maßnahme zwei Jahre lang durchgehalten haben, beispielsweise in die Altenpflege wechseln. Die bisherigen Mitteilungen der BA blieben nebulös, nicht nur, was die möglichen Befugnisse eines Coaches anbelangt. Auch andere Fragen bleiben offen. Wer qualifiziert die Qualifizierer? Wer wird das Recht haben, als Coach derart in das Leben anderer Menschen einzugreifen, wie von der BA gewünscht?
Da bieten sich private Dienstleister an, die den Jobcentern bei der Vermittlungsarbeit bereits zur Hand gehen und die zusehends kreativer werden: »Ein privater Bildungsträger in Rheinland-Pfalz verlost auf einem Weihnachtsmarkt Dienstleistungen älterer Langzeitarbeitsloser an Firmen.« Am 20. Januar berichtete Spiegel Online von einer Tombola in Bendorf, bei der Arbeitslose verlost wurden. Man lässt sich also einiges einfallen, um Menschen ohne Job das Leben nicht nur schwer, sondern bisweilen auch unerträglich zu machen. Ein vorläufiges Ende dieser Bemühungen ist nicht in Sicht.