Home Story

Von wegen »der Doktor kommt gleich«. Drei bis zehn Jahre kann es dauern, bis man seinen Doktortitel hat. Jedenfalls wird man ihn schneller wieder los, als man ihn erwirbt. Für ungeduldige Schnellschreiberpersönlichkeiten, wie wir es hier sind, ist das eine harte Geduldsprobe, und wohl deshalb gibt es bisher nur einen Redakteur mit Doktortitel bei uns. Da der Dschungeldoktor zur Zeit im Urlaub ist, kann er nicht zur Causa befragt werden. Dafür tummeln sich aber viele Magistras, ein paar Diplomierte und auch zukünftige Doktoren in der Redaktion, die was zur Sache zu sagen haben.
Mit einer Arbeit über »Plattensammeln im Hardcore und Punk« hat ein Kollege im Fachbereich Soziologie sein Diplom erworben. Und, alles aus der Spex abgeschrieben? So hätten es zweifellos unsere Minister gemacht. Der Kollege dagegen hat eine quantitative Erhebung durchgeführt und Fragebogen an Plattensammler verteilt. Ein bisschen Bourdieu hat er zitiert, aber immer korrekt ausgewiesen, und keinen Hehl daraus gemacht, dass die These vom »subkulturellen Kapital«, das man sich als Kenner von Punk und Hardcore erwirbt, von Sarah Thornton stammt. »Selbst Recherchieren schützt vorm Plagiieren«, rät er.
Ebenfalls die Zähne ausbeißen sollen sich die Plagiatsjäger an der Arbeit eines Kollegen, die kurz vor ihrer Vollendung steht. Es geht darin um die Kanonisierung von Literatur. Wie kommt es, dass ein Außenseiter wie Robert Walser als wichtiger Autor gilt? Liegt es an Kafka, der ihn mochte und das rumerzählte? Wie wird man eigentlich relevant? In wenigen Monaten wissen wir mehr, dann soll die Doktorarbeit fertig sein. Eine dritte Doktorarbeit braucht noch zwei Jahre. Es geht um »Handlungsbegründung, Metaethik, Philosophie«. »Alle Zitate«, verspricht der Kollege, »werden korrekt ausgewiesen.« Auch beim Paraphrasieren geht es korrekt zu: »Ich schreibe dazu, wen ich paraphrasiere.« Als Minister für Bildung wäre der Kollege also auch langfristig trag- und einsetzbar. »Vorausgesetzt, Steinmeier erhöht die Gehälter.«
Apropos Bildung und Karriere: Zwar gibt es bislang keine Redakteurin mit Doktortitel, insgesamt aber besitzen in der Redaktion mehr Frauen als Männer einen akademischen Abschluss. Auffällig viele männliche Redakteure haben ihr Studium hingeschmissen. Nicht so die Redakteurin, die sich ihren M.A. mit einer Arbeit über Stadtwahrnehmung bei Walter Benjamin verdient hat und sich schon früh mit Urbanisierung und Gentrifizierung beschäftigt hat. Jetzt verdient sie so wenig, dass sie nicht weiß, wie sie die Wohnungsmiete in Kreuzberg bezahlen soll. Was hätte Walter Benjamin eigentlich dazu gesagt?