Der chilenischen Film »No«

Die Kunst, nein zu sagen

Mit den Mitteln der Werbung gegen die Diktatur: Pablo Larraín erinnert in seinem Film »No« an das Ende des Regimes von Augusto Pinochet.

Im Jahr 1988 lässt der chilenische Diktator Augusto Pinochet ein Referendum über die Fortführung seiner Präsidentschaft durchführen. Nur durch internationalen Druck ist der Volksentscheid, der seine Regentschaft legitimieren soll, überhaupt zustandegekommen. Alles sieht nach einem deutlichen Sieg für das Regime aus, das auch die Medien kontrolliert. Trotzdem: Die Bevölkerung kann entscheiden. »Si!« bedeutet acht weitere Jahre Pinochet, »No!« freie Neuwahlen.
Nach dem Putsch gegen Salvador Allende war die Opposition fast vollkommen unterdrückt worden. Tausende wurden ermordet, verschleppt, Zehntausende eingesperrt und gefoltert, fast eine Millionen Chilenen gingen ins Exil. Vor diesem Hintergrund begleitet der Film die Aktivitäten der heterogenen Opposition, die mit ihrer »No!«-Kampagne einen scheinbar aussichtslosen Kampf führte. Sozialisten und Sozialdemokraten, Christdemokraten und radikale Linke gehören dem Bündnis an, das nicht nur mit internen Konflikten, sondern auch mit der Polizei und dem Mangel an ökonomischen Mitteln zu kämpfen hat.
Für die Kampagne stellen sie den jungen Werbefachmann René Saavedra ein, der bisher eher mit der Vermarktung von Softdrinks als mit Politik zu tun hatte. Deshalb sind seine ersten Entwürfe für die Kampagne auch ein ziemlicher Schock für das Team, das sich bei den bunten, kitschigen Videos an die sonst eher verpönte kapitalistische Werbung des Westens erinnert fühlt. Jeden Abend können die Spots der Opposition 15 Sendeminuten beanspruchen – genauso viele wie die Werbespots des »Si!«-Bündnisses, die im Vergleich mit der Popästhetik des dissidenten Spots eher altbacken und paternalistisch wirken – ganz so wie das Regime, das sie repräsentieren. Langsam zeichnet sich eine Chance für das »No!«-Team ab: Die Clips finden ihr Publikum und die neoliberalen Mittel der Werbung scheinen die Tür für demokratische Wahlen zu öffnen.
Für den chilenischen Regisseur Pablo Larraín ist das Interessante an diesem historischen Stoff, dass das Regime Pinochets mit seinen eigenen Waffen geschlagen wurde. »Die ›No!‹-Kam­pagne«, so der Regissuer, »stellt für mich letzten Endes eine wichtige Etappe zur Konsolidierung des Kapitalismus als einzig gültiges System in Chile dar. Sie ist keine Metapher, sondern direkter Kapitalismus – schlicht und ergreifend das Ergebnis von Werbung übertragen auf Politik.« Der Hauptdarsteller Gael García Bernal, der in Filmen wie »Y Tu Mamá Tambien« (2001) bekannt wurde und mit Jim Jarmusch, Michel Gondry und Pedro Almodóvar gearbeitet hat, ist der charismatische Mittelpunkt des Filmes. Auch scheint es stimmig, dass ein internationaler Star, der eben nicht für ein nationalisiertes, angeblich authentisches Dritte-Welt-Kino aus Chile steht, sondern in Hollywood Karriere macht, den jungen, agilen Werbefachmann spielt. Dass die Cola, die er erfolgreich vermarktet hat, den Namen »Free« trägt, ist einer der Running Gags des Films.
Ein alter Freund der Familie, der Sozialist Urrutia (Luis Gnecco), überredet ihn zur Zusammenarbeit mit dem »No!«-Bündnis. Er ist eher ein Mittelklassenormalo mit der Naivität und Begeisterung eines Vertreters der kreativen Klasse als ein Revolutionär. Und so bekommt er es nicht nur mit der Skepsis der Opposition zu tun, sondern auch mit seiner Frau (Antonia Zegers). Sie versteht nicht, dass er überhaupt bei der Show-Veranstaltung einer freien Wahl in einem unfreien Land mitmacht. Sein Gegenspieler ist Luis Guzmán, gespielt von Alfredo Castro, einem Lieblingsschauspieler von Pablo Larraín. Guzmán ist ein Handlanger des Regimes, der an dessen Ideologie wirklich glaubt und sie blind unterstützt. Als einsamer Mann ohne Emotionen, dem nichts wichtiger ist, als einmal zum engen Kreis des Diktators zu gehören, verkörpert er das Ende einer Ära. Die Kampagne, deren Erfolgsgeschichte der Film nachzeichnet, ist deshalb so einflussreich, weil sie sich der Mittel der kommerziellen Werbung bedient, die der alten, diktatorischen Propaganda überlegen ist. Oder, wie Gael García Bernal kommentiert: »Man könnte vielleicht sagen, dass die »No!«-Kampagne die chilenische Rechte sowohl links wie auch rechts überholt hat. Sie hat an den Optimismus und an die Glücksversprechen in einem Land appelliert, das unter den traumatischen Versprechen einer Diktatur litt.«
Für Regisseur Pablo Larraín ist »No« auch der dritte Teil einer Trilogie über Chile in der düstersten Zeit, der Pinochet-Ära. Während sich »Tony Manero« (2008) mit dem destruktiven Höhepunkt der gewalttätigen Diktatur Ende der siebziger Jahre beschäftigt und sein Film »Post Mortem« (2010) von den Anfängen des Regimes erzählt, nimmt sein auf einem Theaterstück von Antonia Skármeta basierende Film über die Möglichkeiten der Werbung als Mittel der politischen Veränderung eine optimistischere Perspektive ein. Für dieses gelungene Lehrstück über neoliberale Propaganda als Waffe linker Politik wurde »No« nicht umsonst für einen Auslands-Oscar nominiert und in Cannes mit dem Art Cinema Award gepriesen.
Larraín und sein Kameramann Sergio Armstrong entschieden sich dafür, mit der analogen Umatic-Videotechnik zu arbeiten, mit der die originalen Werbespots gedreht wurden, die im damaligen Chile die neue Demokratisierung bewirken sollten. Durch diesen Kunstgriff vermischen sich Fiktion und Wirklichkeit. Man hat oft das Gefühl, einen Dokumentarfilm anzuschauen. »Durch die Verwendung der originalen Ikegami-Unitec-Kameras haben wir genau den Look der in den achtziger Jahren entstandenen Aufnahmen bekommen, so dass der Zuschauer vom Bild her nie genau wissen kann, was Archivmaterial ist und was für den Film gedreht wurde. Es ging um eine Verschmelzung von Raum und Zeit«, kommentiert Larraín.
Diese Form von Retro-Kino erinnert an frühe Soap-Operas und an eine heute naiv und putzig wirkende TV-Doku-Ästhetik. Durch diesen Kunstgriff ermöglicht der Film einen direkten Zugang in eine vergangene Zeit und entwirft eine kitschige und doch realpolitisch relevante Erzählung über einen absurden, aber erfolgreichen Trip in die Demokratisierung.
Mit seiner einfachen Erzählstruktur und der Sympathie, mit der er seinen Protagonisten begegnet, erinnert »No« bisweilen an das Kino Ken Loachs. Dabei kommt der mit leichter Hand inszenierte Film allerdings ganz ohne dessen Sozialkitsch aus.
Village Voice hat den direkten und doch ästhetisch selbstreflexiven Stil von »No«, dessen Humor anhand der politischen Situation auch mal zum Zynismus neigt, nicht umsonst wegen seines »hoch artifiziellen Naturalismus« gefeiert und ihn als »vielleicht letzten situationistischen Film« gerühmt. Dem lässt sich nichts hinzufügen. »No« ist ein kleiner Film mit einer doch ziemlich großen, berührenden Geschichte.

»No« (Chile/USA 2012). Regie: Pablo Larraín, Darsteller: Gael Garcia Bernal, Alfredo Castro, Antonia Zegers. Filmstart: 7. März