Oldies but goldies

Es heißt, ein Hobby würde jedem Menschen guttun. Etwas möglichst Sinnloses sollte es sein, wie Sport oder puzzeln, handwerken oder sammeln. In der Zeit, die wir mit dem Hobby verbringen, vergessen wir für eine Weile unser Unglück und gehen den Mitmenschen nicht so wahnsinnig auf die Nerven wie sonst.
Ich hatte bisher kein Hobby und das war schlecht, weil: unglücklich, nervend, schwächelnd. Aber jetzt wird alles anders, denn ich habe eine Passion gefunden, mit der ich meine freie Zeit vertrödeln kann. Endlich! Jetzt bin ich Sammlerin. Ich sammle die Berufe der anderen. Durch Beobachtung. Wie Vogel- oder Wildtierbeobachter. Es ist ein sehr praktisches Hobby, verbraucht keinerlei Platz und kostet nichts. Perfekt.
Der erste Beruf in meiner Sammlung ist »Der Rentner«, wahlweise auch »Die Rentnerin«. Ein aussterbender Beruf, darum soll er auch der erste sein, bevor man ihn in freier Wildbahn nicht mehr findet. Früher war es ein großartiger Beruf, heute findet man ihn in seiner ganzen Schönheit seltener, er steht auf der Liste bedrohter Tätigkeiten. Garantierte lebenslange Anstellung bei gutem bis sehr guten Einkommen, so sah es jahrzehntelang aus, das feine Rentnerleben. Den Winter einen alten Mann sein lassen und auf Gran Canaria der Sonne huldigen und dabei Cocktails schlürfen? Kein Problem, das konnte man sich leisten. Noch viel besser hatten es die Witwen, die konnten einen Großteil der Rente des Verstorbenen für sich behalten, ohne einen nörgelnden Greis versorgen zu müssen. Stattdessen ging es mit den Freundinnen auf in die Museen dieser Welt, die im Grunde sowieso nur für Frauen gebaut wurden, oder auf Konzert- und Gartenreisen. Ein herrliches Dasein. Für das es auch wunderbare Namen gab. Rentier, Ruheständler, Pensionärin, Privatier. Das aber leider keinerlei Zukunft mehr hat. Erst wurde die Witwenrente gekürzt, dann wurde nach und nach das Rentenalter hochgesetzt, die Arbeit immer schlechter bezahlt, so dass sich der früher so beliebte Beruf kaum noch finanzieren lässt.
Noch aber findet man ihn bei etwas genauerer Suche. Bei euren Eltern, in jeder westdeutschen Kleinstadt, im alten Westberlin. Es sind die Menschen, die so erstaunlich gesund aussehen, so gepflegt und zufrieden, und die überall mitmachen, ihre Meinung sagen, die Republik gestalten wollen, die bei Lesungen die ersten zehn Reihen belegen, allerdings nur, wenn diese Lesungen in Literaturhäusern stattfinden, weil es soll schon hohe Kultur sein, darunter machen sie es nicht. Im Sommer trifft man sie an jedem Ort der Welt, sogar bei etwas so exotischem wie einer Nachtwanderung durch Quedlinburg, bei schlechtem Wetter findet man einzelne Exemplare in den Outdoor-Abteilungen der Kaufhäuser. So ist er, der erste Schmetterling in meiner Berufe-Sammlung. Ein zukünftiger Exot.