Über den V-Mann und mutmaßlichen NSU-Helfer Toni S.

Platten dealen, Hass dealen

Toni S. macht derzeit als mutmaßlicher Helfer des NSU Schlagzeilen. Er war jedoch schon vor der möglichen Verbindung zu Uwe Mundlos umtriebig – als V-Mann und Führungsfigur der Naziszene in Guben.

Die Liste von V-Leuten, die mit dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Zusammenhang gebracht werden, ist lang. Neben den Berichten über die V-Männer mit den Decknamen »Primus« und »Piato« war in der Presse ein weiterer Name zu finden: Jüngst berichteten der Tagesspiegel und die WAZ über Toni S., einen ehemaligen V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes.

Er soll 2003 nach Dortmund gezogen sein. Aus Akten gehe hervor, so die Zeitungen, dass er sich am 1. April 2006 in Dortmund mit Uwe Mundlos getroffen habe. Drei Tage später wurde Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk in der Dortmunder Nordstadt mutmaßlich von Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen. Derselbe V-Mann, der im November 2011 die Dortmunder Polizei auf das Treffen von Mundlos und S. hinwies, soll bereits im März 2006 berichtet haben, dass Toni S. in Dortmund versucht habe, Waffen zu verkaufen, wie die WAZ berichtet. Ermittelt wird dazu in Dortmund nicht. Die Polizei erteilt keine Auskünfte und verweist auf den Generalbundesanwalt.
Toni S. war bei einer Razzia der Berliner Polizei im Sommer 2002 als V-Mann aufgeflogen, wurde im selben Jahr unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und sollte danach ein aufwendiges Zeugenschutzprogramm durchlaufen. In Brandenburg ist darüber nichts zu erfahren. Das Innenministerium hält Angaben zum Zeugenschutz generell unter Verschluss. Außerdem sind dem Ministeriumssprecher Geert Piorkowski zufolge »aufgrund von gesetzlichen Löschungsvorschriften Informationen zu Toni S. nicht mehr gespeichert und damit auch nicht abrufbar«.
Toni S. war von den neunziger Jahren bis 2002 eine überaus wichtige Figur der Neonaziszene in Guben und Cottbus. Er gehörte der »Wanderjugend Gibor« an, die im Stil der 1994 verbotenen »Wiking-Jugend« Nachwuchsarbeit betrieb und ihren Anhängern neben »Gemeinschaftserlebnissen« und »körperlicher Ertüchtigung« ein Weltbild aus germanisch-völkischer Mythologie und nationalsozialistischen Ideen vermittelte. 1997 gehörte Toni S. zu den Gründern der Reservistenkameradschaft der Bundeswehr in Guben und war zeitweise ihr Vorsitzender. Wichtige Angehörige der regionalen Neonaziszene übten sich dort bis 2002 im Wehrsport und im Umgang mit Schusswaffen.

Zugleich baute sich Toni S. eine Existenz als Unternehmer auf. Er stieg ins Musikgeschäft ein und vertrieb unter anderem die CDs und T-Shirts der Cottbuser Band Frontalkraft. Im Jahr 2000 war S. zusammen mit dem Sebnitzer Hammerskin Mirko H. an der Produktion der Landser-CD »Ran an den Feind« sowie am Projekt »Noten des Hasses« der White Aryan Rebels beteiligt. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes und bewegte sich im Umfeld mutmaßlicher NSU-Helfer. Neben Mirko H. arbeitete auch der Chemnitzer Jan W. an der Produktion der Landser-CD mit, nun gehört er zu den Beschuldigten in den NSU-Ermittlungen. Zum damaligen Zeitpunkt war W. dem Verfassungsschutz in Brandenburg bereits bekannt, weil er auf der Suche nach Geld und Waffen für eine Gruppe untergetauchter Neonazis gewesen sein soll. Was Toni S. davon wusste und was die Behörde wissen wollte, ist nicht geklärt.
Der umfangreiche Handel mit Nazimusik machte Toni S. zum Marktführer in der regionalen Szene. Schließlich eröffnete er in Guben das Ladengeschäft »Top One«, wo er seiner Kundschaft neben CDs und Bekleidung auch Propagandamaterial anbot. Der Laden wurde zum Anlaufpunkt für Gubener Neonazis.
So gingen zum Beispiel einige der Verantwortlichen für den tödlichen Angriff auf Farid Guendoul vom 13. Februar 1999 dort ein und aus. Zum Haupttäter Alexander Bode unterhielt S. ein freundschaftliches Verhältnis. Die »Wanderjugend Gibor« war auch für Bode eine wichtige Station in seiner Nazikarriere. Dort wurden er und Gleichgesinnte geschult, dort fanden sie sich als Gruppe und knüpften weitere Kontakte. Mittlerweile ist Bode stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Lausitz, leitet regelmäßig den Ordnungsdienst bei dessen Aufmärschen und ist die zentrale Figur der Gubener Szene. Für jüngere Nazis ist Bode einer, der »schon immer« dabei war. Grundlegende Erfahrungen sammelte er unter den Augen des Verfassungsschutzes und mit Zutun des V-Manns Toni S.
Das Wirken von Toni S. machte sich in Guben bemerkbar. Um die Jahrtausendwende war der Alltag in der Stadt geprägt von Angriffen auf linke Jugendliche und Ausländer. Während die Stadtpolitiker untätig blieben, versorgte Toni S. die Szene mit Soundtracks und Zubehör, bot einen Treffpunkt, Zusammenhalt und ideologische Anleitung.
Mittlerweile ist es vergleichsweise ruhig in Guben. Das brandenburgische Landeskriminalamt meldete für 2012 zwei Angriffe von Neonazis auf linke Jugendliche. Es gibt einen plausiblen Grund für den Rückgang der Gewalt: Es finden sich kaum noch Gegner für Nazis. Diese haben den »Kampf um die Straße« für sich entschieden.
Die Bedingungen sind also gut für die NPD-Ortsgruppe. Sie macht zwei Angebote: Zum einen bietet sie Interessierten die Möglichkeit zur politischen Betätigung, zum anderen stellt sie sich als Partei von nebenan dar, der man getrost die Stimme geben kann. Beides kommt in Guben an. Immerhin wurden drei Mitglieder der Gubener NPD bei den jüngsten Kommunalwahlen im Jahr 2008 Abgeordnete im Kreistag und in der Stadtverordnetenversammlung.
Der »NPD-Ortsbereich Guben« ist eine wichtige Gruppe des Kreisverbands Lausitz, der als umtriebigster im Land Brandenburg gilt und versucht, die regionale Parteiarbeit zu professionalisieren. Der NPD-Bundesvorstand Ronny Zasowk und der JN-Bundesvorstand Pierre Dornbrach stammen aus dem Kreisverband. Daneben bemühen sich die Parteimitglieder an Ort und Stelle mit regelmäßigen Informationsständen und Kundgebungen, dem Anspruch »seriöser Radikalität« gerecht zu werden, den die NPD reklamiert.

Auch das rechtsextreme Milieu hat sich in der Niederlausitz in den vergangenen Jahren professionalisiert, so wie es Toni S. vorgemacht hat. Das Geschäft mit der Musik hat zum Beispiel der Cottbuser Martin S. mit dem Label »Rebel Records« und dem Laden »The Devils Right Hand Store« übernommen. Er bringt nun auch die CDs der Band Frontalkraft heraus. Auch Martin S. war mit Toni S. bekannt. In einem Interview mit der Nazipostille Volkswille sprach er nach dessen Enttarnung von ihm noch als dem »besten Dealer des Vertrauens«.