Der Skandal um Steuerhinterziehung bei den französischen Sozialisten

Schöne Haare, dicke Konten

In Frankreich wurde ein Minister der Steuerhinterziehung überführt. Der Skandal weitet sich aus und erfasst Sozialdemokraten wie die extreme Rechte, nutzt aber zugleich letzterer.

Sein Metier war es, Glatzköpfen zu neuem Haar zu verhelfen. Seine Haarklinik auf den Champs-Elysées hatte den Ruf, »eine Fabrik zum Gelddrucken« zu sein, wie es es die linksliberale Tageszeitung Libération einmal formulierte. Jérôme Cahuzac soll seinen Kunden – kahl werdende Großunternehmer und andere Schwerreiche – des Öfteren geraten haben, ihn lieber in bar zu bezahlen statt per Scheck oder Überweisung. Das hinterlässt keine Spuren. Die eine Seite kann so Schwarzgeld loswerden, die andere sich am Fiskus vorbei bereichern. Ursprünglich hatte Cahuzac sich auf Herzchirurgie spezialisiert, doch in den neunziger Jahren gründete er zusammen mit seiner Ehefrau eine Spezialklinik, um sich den Luxusproblemen von Begüterten zu widmen. Später ging er in die Politik. Die Sozialistische Partei (PS) ermöglichte ihm eine steile Karriere, wobei sie heute im Verdacht steht, ihm Aufstiegschancen verschafft zu haben, weil er in illegale Methoden der Parteienfinanzierung verwickelt gewesen sei. Ein erstes Verfahren gegen ihn wegen Steuerhinterziehung wurde 1992 eröffnet und verlief im Sande.
Cahuzac zählte zum betont wirtschaftsliberalen Flügel des PS und wurde im vorigen Jahr von Präsident François Hollande zum Haushaltsminister ernannt. Dieses Amt ist dem des Wirtschafts- und Finanzministers beigeordnet. Als dessen Untergebener ist der Haushaltsminister für die Vorbereitung von Staatshaushalten, die Ausgestaltung der Steuerpolitik und den Kampf gegen Steuerbetrug zuständig. Auf diesem Posten saß Cahuzac wie der sprichwörtliche Bock, der zum Gärtner gemacht wurde. Manche in seiner Partei bereuen es heute bitter. Seit Dezember hielt sich hartnäckig das Gerücht, Cahuzac habe Schwarzgeldkonten im Ausland besessen, erst in der Schweiz, später dann in Singapur. Er stritt dies beharrlich ab.
Vergangene Woche legte Cahuzac dann doch ein Geständnis ab, nachdem er zu der Erkenntnis gelangt war, dass die Ermittler ihm auf die Schliche gekommen seien. Die Enthüllungszeitung Le Canard enchaîné kündigte an, am Mittwoch vergangener Woche neue Details über die Affäre zu veröffentlichen, am Vortag zirkulierten bereits Vorabinformationen dazu in den Zeitungsredak­tionen. Da trat der Politiker am Dienstagabend vergangener Woche vor die Kameras und räumte den Besitz des Kontos ein.
Cahuzac gab zu, 600 000 Euro am Fiskus vorbei ins Ausland geschafft zu haben. Am Sonntag behauptete ein Schweizer Fernsehsender jedoch, in Wirklichkeit seien die transferierten Summen viel höher, und sprach von 15 Millionen Euro. Die Frage, wie er überhaupt an so viel unversteuertes Geld kam, stand in den Medien allerdings kaum zur Debatte. Es handelt sich neben Barzahlungen für bestimmte Operationen um Geldmittel, die Cahuzac für seine Tätigkeit als Lobbyist für mehrere Pharmakonzerne illegal einstreichen konnte. Sicherlich kaum zum Nutzen der Patientinnen und Patienten.
Die Enthüllungen über Cahuzacs Konten führten zu einem großen politischen Skandal in Frankreich. Der »Vertrauensverlust in die Politik«, wie die Medien entpolitisierend formulieren, gilt als immens. Er ist umso höher, da bei der Politik des mit dem Versprechen von »Veränderung« angetretenen Sozialdemokraten Hollande für die lohnabhängige Bevölkerung bislang nichts Gutes herauskam. Die Cahuzac-Affäre ist dabei nur der Anlass, an dem sich das Unbehagen entlädt. Hollandes Umfragewerte fielen auf einen neuen Tiefstand, nur noch 27 Prozent sollen ihm »vertrauen«. Nach nur zehn Monaten im Amt ist das ein Rekord in der jüngeren Geschichte.

Zu befürchten steht, dass die extreme Rechte von diesem politischen Klima stark profitieren könnte. Ein allgemeiner Ekel gegenüber allem, was nach »Berufspolitiker« aussieht, nutzt selten den Linken – denn auch diese sind wie alle anderen poli­tischen Kräfte der Bevölkerung eine Antwort auf die Frage schuldig, warum man sich überhaupt engagieren solle. Die extreme Rechte in Gestalt des Front National hatte es Anfang der neunziger Jahre geschafft, solche Stimmungen in einem Slogan zu konzentrieren, den Jean-Marie Le Pen damals auf seine Wahlplakate stellte: »Tous pourris!«, ungefähr: »Alle sind verkommen!«

Doch überraschend förderten Enthüllungen der Pariser Abendzeitung Le Monde seit Donnerstag vergangener Woche zu Tage, dass das betreffende Konto in der Schweiz für Cahuzac 1992 von einem rechtsextremen Steueranwalt eröffnet worden war, der zum engeren Beraterkreis um Marine Le Pen zählt. Es handelt sich um Philippe Péninque, ein ehemaliges führendes Mitglied der rechtsextremen studentischen Schlägertruppe »Groupe Union Défense« (GUD). Er vertritt auf wirtschaftlicher Ebene ebenso wie in anderen Bereichen eine sozialdarwinistische Ideologie.
Die Verbindung zwischen Marine Le Pen und Péninque war seit längerem bekannt, nicht jedoch die zwischen den früheren GUD-Mitgliedern und Cahuzac, die offenbar seit gemeinsamen Studienzeiten besteht und zudem durch Cahuzacs rechtsextreme Schwiegerfamilie begünstigt wurde. Für den abgehalfterten sozialdemokratischen Politiker wirft dies weitere, völlig neue Fragen auf. Die Vorsitzende des Front National bekommt dadurch ebenfalls neue Probleme. Bislang versucht Marine Le Pen diesen durch Scherze darüber, sie sei im »Exil in den Ardennen«, auszuweichen – und ging zugleich in die Offensive, indem sie in Anbetracht des Skandals lautstark die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen forderte.
Ob die Verwicklung von führenden Protagonisten der extremen Rechten in den Finanzskandal allerdings deren momentanem Aufschwung Abbruch tut, ist fraglich. Sie bleibt Hauptnutznießerin eines »Tous pourris«-Klimas. Durch die starke Mobilisierung anlässlich der Demonstrationen gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe – zuletzt gingen am 24. März Hunderttausende dagegen auf die Straße – ist die extreme Rechte derzeit unzweifelhaft erfolgreich. Der GUD drohte nun erstmals öffentlich damit, in diesem Jahr die Gay-Pride-Demonstration anzugreifen. Dies wäre vor kurzem noch undenkbar gewesen.
Ein Anzeichen für die derzeitige Stärke der extremen Rechten ist auch die Nachwahl für einen einzelnen freigewordenen Parlamentssitz am 17. und 24. März in Beauvais, rund 30 Kilometer nördlich von Paris. Dort konnten nur der Konservative Jean-François Mancel und die rechtsextreme Florence Italiani in die Stichwahl einziehen. Die Kandidatin des Front National erhielt 26 Prozent der Stimmen im ersten und 48,4 Prozent im zweiten Wahlgang, Mancel gewann nur sehr knapp. Zwei Tage zuvor war bekannt geworden, dass ein Untersuchungsrichter in Bordeaux ein Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy, dem Mancel nahestand, wegen aktiver Korruption eingeleitet hatte.
Unterdessen geht die Serie der Enthüllungen, aber auch der Gerüchte munter weiter. Am Montag schrieb Libération, auch Außenminister Laurent Fabius habe ein illegales Konto in der Schweiz, was dieser sofort dementierte. Zuvor war gemeldet geworden, dass der Finanzbeauftragte Hollandes im Wahlkampf, Jean-Jacques Augier, Geld auf den Kaiman-Inseln angelegt haben soll, einem prominenten Steuerparadies. Da Augier auch Chefredakteur des Schwulenmagazins Têtu ist, nutzten Protagonisten der Rechten wie die ultrakatholische Politikerin Christine Boutin diese Gelegenheit sogleich für einen Angriff auf die geplante Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, angesichts seiner angeblich »bedenklichen Haltung zur Moral«. Im derzeitigen Klima können sie damit erfolgreich Ressentiments schüren.