Eine Kritik der Deutschland-Kritik

Antideutsche Fähnchen im Wind

Die Kritik an Deutschland in Europa ist häufig scheinheilig.

»Merkozy« – so hieß es noch vor einem Jahr verächtlich, wenn es darum ging, die Rolle Deutschlands und Frankreichs in der Euro-Krise anzuprangern. Das übermächtige Duo, so die Anklage, zwinge den schwächeren europäischen Partnern seinen Antikrisenkurs auf. Nicolas Sarkozy, der kleine Franzose mit großen Herrscherallüren, eignete sich gut zum Entladen von Ressentiments verschiedenster Art. Seit nun ein sogenannter Sozialist, der selbst mit antideutschen Parolen Wahlkampf gemacht hat, an die Spitze des Landes gewählt wurde, steht Deutschland alleine »als Sündenbock am Pranger« (FAZ).
Die deutsche Kanzlerin muss einem deswegen nicht leid tun. Grund zur Freude gibt es jedoch auch keinen. Denn der »raue Wind, der den Deutschen in Europa um die Ohren weht« (Süddeutsche Zeitung), bläst meist weder von links, noch steht er für eine ernst zu nehmende Kritik an deutscher Politik, auch wenn bei manchem der vielen antideutschen Ausfälle durchaus Zutreffendes formuliert wird. Dies lässt sich am Beispiel der Luxemburger Regierung illustrieren. Jüngst wehrte sich ihr Außenminister Jean Asselborn gegen die deutsche Kritik an Steueroasen mit dem schönen Satz: Man habe lange daran gearbeitet, ein europäisches Deutschland zu schaffen, nun dürfe es kein deutsches Europa geben. Asselborn ist Sozialdemokrat und steht in einer Koalition mit dem Christdemokraten Jean-Claude Juncker. Dieser bediente sich in der vergangenen Woche ebenfalls aus dem Repertoire antideutschen Vokabulars. Er wolle in seinem Land keine »deutschen Verhältnisse«, erklärte der Premierminister des Großherzogtums, in seiner »Rede zur Lage der Nation«. In Deutschland, klärte Juncker auf, gingen Millionen Menschen arbeiten, um am Ende des Monats doch nicht genug zum Leben zu haben. Seine Regierung setze sich hingegen für einen staatlichen Mindestlohn auf europäischer Ebene ein.
Derselbe Jean-Claude Juncker hatte zuvor angekündigt, Angela Merkel im Wahlkampf persönlich zu unterstützen. Das passt nicht zusammen, doch Konsequenz ist in der Politik keine notwendige Tugend. Immerhin brachte es der Luxemburger Premierminister als Vorsitzender der Eurogruppe auch fertig, sein Image des sozialen Christdemokraten aufrechtzuerhalten. Hinter den dort verordneten Sparpaketen stand er jedoch ebenso fest wie die deutsche Kanzlerin.
Ähnlich inkohärent wettern Europaparlamentarier jeder politischen Couleur gegen die deutsche Politik. Deutschland steht in Straßburg für Totsparen. Ob Irland, Griechenland oder Zypern: Die Deutschen schreiben den Austeritätskurs vor. Dass sie das nicht alleine tun, wird gerne übersehen. Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europaparlaments, zeigt dabei offener mit dem Zeigefinger auf Merkel als der Franzose Joseph Daul, der Vorsitzende der EVP-Fraktion, welcher auch die CDU angehört. Doch auch Daul distanziert sich vom Sparkurs und predigt wie viele seiner Kollegen stattdessen Wachstum. Dass die eigenen Parteien zu Hause den in Brüssel oder Straßburg kritisierten Sparkurs verteidigen, wird lieber nicht breitgetreten. Auch nicht, dass sich die Staats- und Regierungschefs derselben Parteien auf europäischen Gipfeln kaum gegen das deutsche Diktat auflehnen. Antideutsche Parolen werden für Stellungnahmen vor heimischen Mikrophonen aufgehoben. Praktisch ist dabei: Egal wie sehr man in der nationalen Presse mit den Muskeln spielt, die Verhandlungen auf Ministerebene finden hinter verschlossenen Türen statt. Man kann sich dort also ohne jede Scham der real existierenden deutschen Wirtschaftsvormacht beugen. Anzeichen dafür, dass an einem europäischen Gegenmodell gearbeitet wird, gibt es keine.