Die britische Serie »Black Mirror«

Ganz normale Psychowaffen

Welche Nebenwirkungen besitzt Technologie? Die britische Serie »Black Mirror« sorgt mit einem pessimistischen Blick in die Zukunft für Furore.

Dass Fernsehserien mittlerweile dem Kinofilm überlegen sind, ist ein Allgemeinplatz. Während Hollywood die Ideen ausgehen, triumphiert das Serienformat und entfacht seit einigen Jahren, nicht zuletzt bei Filmkritikern und -theoretikern, große Euphorie. So nachvollziehbar die Begeisterung auch sein mag, sie trägt unverkennbar anachronistische Züge. Serien werden häufig idealisiert und mit dem großen Familienroman oder dem Autorenkino der sechziger Jahre verglichen – als wollten Filmwissenschaftler, von der Krise des Medialen bedrängt, Rechtfertigungen für ihre unsicheren Jobs einholen. Überzeugend ist die These von der Serie als modernem Kino nur in Ausnahmefällen. Nicht nur qualitativ unterscheiden sich Serien voneinander, auch die Produktionsbedingungen gestalten sich oft deutlich komplizierter, als die Verklärer des Formats es wahrhaben wollen.
Eine besonders originelle Serie, noch dazu mit einem starken Drehbuchautor, sorgt gerade auf dem britischen Fernsehsender Channel 4 für Furore. Ihre Erzählstrategie unterscheidet sich von dem mittlerweile zur Konvention gewordenen endlosen »Fortsetzung folgt«, das bei aller Begeisterung für lange Geschichten auch riesige Mengen an Lebenszeit verschlingt. Anders als die großen Stadtdramen wie »The Wire«, die historischen Panoramen à la »Boardwalk Empire« und all ihre Aufgüsse, entzieht sich »Black Mirror« dem Trend zum nie abgeschlossenen Epos. In jeder einzelnen Folge gibt es neue Geschichten, Figuren und Erzählstränge, die einzig durch ihr Genre, Science-Fiction, und eine bestimmte Haltung miteinander verbunden sind. Das Irreale und Futuristische war schon immer beliebt, man denke nur an den Erfolg von Serien wie »Akte X«. Aber die Produzenten von »Black Mirror« sind weniger an phantastischem Mystery-Eskapismus interessiert. Vielmehr erzählen sie von einem zeitlich nur leicht aus der Gegenwart versetzten Übermorgen und einer zunehmend individualisierten Welt voller sich überbietender technischer Gadgets, deren negative Nebeneffekte sich ständig verstärken.
Entwickelt hat die Serie der britische Humorist, Satiriker, Journalist und Autor Charlton »Charlie« Brooker, der in England sämtliche Medien – TV und Radio, Print und Online – seit vielen Jahren in anarchischer Weise bedient. Ob Spielshow oder Kolumne, Horror-Drama oder Satire, sein Markenzeichen, ein kulturpessimistischer, oft kontroverser und surrealer Humor, der tragikomische Absurditäten entfaltet, kommt auch in »Black Mirror« zum Tragen. Channel 4 beschrieb das Projekt als »verdrehte Parabel für das Twitter-Zeitalter«, Brooker selbst sagte The Guardian: »Wenn Technologie eine Droge wäre, und sie wirkt zunehmend wie eine Droge, was sind ihre Nebenwirkungen? Dieser Raum zwischen Vergnügen und Unbehagen ist die Stelle, an der ›Black Mirror‹ ansetzt.« Dabei trifft Sarkasmus auf Dystopie, Faszination für das Neue auf eine brüske Absage an die kulturindustrielle Fortschrittsgläubigkeit. Gemein ist den Erzählungen die Auffassung, dass jede Faszination und Nutzung des Technologischen das Leben der Anwender nicht einfacher, sondern komplizierter macht.
In »The National Anthem«, der ersten Folge der Serie, wird eine englische Adelstochter entführt. Sie muss die Bedingungen ihrer Befreiung – der Premierminister soll live Sex mit einem Schwein haben – vor laufender Kamera verlesen, der Entführer lädt das Video im Anschluss auf Youtube hoch. Nicht nur die Ehre des Ministers steht dabei auf dem Spiel, sondern auch die parasitäre Haltung der Massenmedien. Die Folge »In Memoriam« lenkt die Perspektive auf die Möglichkeiten neuer Medien zur Kontrolle fremder Privatsphäre. Mittlerweile hat jeder Mensch einen Chip im Kopf, der alles Erlebte speichert und chronologisch anordnet. Per Knopfdruck kann jede einzelne Situation visuell reproduziert und abgespielt werden. Die Glaubwürdigkeit des filmischen Dokuments führt zu einem Eifersuchtsdrama und entfacht einen maßlosen Überwachungsterror in der Privatsphäre.
Oft gelingt es den 45 minütigen Episoden, fortschrittliche Momente neuer Technologien mit ihrem Scheitern zu konfrontieren. Die Cartoon-Figur Waldo, entwickelt von einem erfolglosen Fernsehkomiker, wird auf einer Leinwand durch die Stadt gefahren, mischt sich in die Straßenkampagnen konservativer Politiker ein und macht sie dabei lächerlich. Was als gelungene Kritik an den verlogenen Konventionen des Wahlkampfalltags beginnt und zum medialen Hit wird, nimmt eine beängstigende Entwicklung. Waldo wird bald wie ein Märtyrer gefeiert, weshalb sein Erfinder panisch reagiert, seinen Job an den Nagel hängt und Waldo aus dem Verkehr ziehen will. Doch nicht er, sondern der Produzent ist Rechteinhaber. Dieser ist sich der Macht der Figur bewusst und entwickelt Waldo zum wählbaren Politiker, der sich immer weniger von anderen unterscheidet und schließlich selbst zum Populisten wird.
Zwei Staffeln von »Black Mirror« sind bislang gesendet worden. Beinahe jede Folge schafft es, eine neue erzählerische Form mit innovativen technischen Gadgets und überzeugenden Darstellern zu verbinden. Als würde »Twilight Zone« auf George Orwell treffen und sich politische Zeitdiagnostik mit dem typisch englischen, schwarzen Humor vermischen. Die Serie konfrontiert uns mit einer Welt, in der fast alles möglich scheint – nur keine menschliche Solidarität. Mit einem augenzwinkernden Kulturpessimismus erinnert uns »Black Mirror« daran, dass Vernetzungstechnologien mittlerweile über den Rahmen harmlosen Freizeitspiels hinaus Verwendung finden. Die prothesenhafte Verlängerung des Ichs durch Elektronik schafft nicht nur neue Abhängigkeiten, sondern mindert auch die Achtung vor den Grenzen der anderen. Einen Rest an Empathie, die Fähigkeit, auch mal auf »Stop« zu drücken und die als Psychowaffen funktionierenden technischen Möglichkeiten im richtigen Moment beiseite zu legen, haben die meisten Figuren in »Black Mirror« schon lange verloren.

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die traurige Nachricht vom Tod unseres langjährigen Autors Tim Stüttgen. Wir trauen mit allen, die ihm nahestanden.