Musik und Wahn I

Einigen Herrschaften wurde ganz blümerant, etwa ein Dutzend musste sich nach der Premiere ärztlich behandeln lassen. Die Düsseldorfer Rheinoper inszenierte Wagners »Tannhäuser« mit drastischen Mitteln: Dargestellt wurden Vergasungen von KZ-Häftlingen, Erschießungsszenen, viel Gewalt, Blut. Intendant Christoph Meyer entschied, das Stück fortan nur noch als Konzert aufzuführen, Regisseur Burkhard C. Kosminski spricht von Zensur. »Wie antisemitisch war Wagner?« »Lässt sich Wagner nicht genießen, ohne gefährlichen Empfindungen anheimzufallen?« Derlei fragt sich die Öffentlichkeit mal wieder. Immer nur Wagner, Wagner, Wagner. Es gibt doch noch andere deutsche Geistesgrößen, die auf ihren Auftritt warten. Das Theater Eisenach bringt ab Mitte Juni Martin Luther als Musical-Helden auf die Bühne. Der Titel des Stücks: »Luther! Rebell wider Willen«. Eine Debatte darüber, wie antisemitisch Luther war, wird die Elemente sicher weniger stark zum Tosen bringen.   OKO

Musik und Wahn II
Jeff Hanneman, Gitarrist der Thrash-Metal-Legende Slayer, ist gestorben. Wir alle trauern um ihn. Alle? Zumindest erweckt die Berichterstattung diesen Eindruck. Kaum ein Medium schien es sich leisten zu können, ohne eine Meldung zu Hanneman auszukommen. Vielleicht steht Metal gerade so hoch im Kurs wie niemals zuvor. Seit einer Weile werden Black-Metal-Bands in Hipster-Medien gehypt, Doom-Gewächse wie Sunn O))) – deren Gesamtwerk endlich im Stream online zu haben ist – avancieren zu Kritikerlieblingen, Fernsehsender bringen Dokumentationen über Dimmu Borgir. »Sellout!« mögen einige schimpfen. Andere schreiten zur Tat: »The Trooper«, das Iron-Maiden-Bier, fliegt aus dem Programm schwedischer Alkoholhändler. Offiziell heißt es, das Design entspreche nicht den Gesetzen zur Gestaltung von Alkohol-Flaschen – ein olles Monster mit blutigem Schwert könne Kunden verschrecken. In Wirklichkeit, das ist doch sonnenklar, will man den Metal vor seiner Kommerzialisierung schützen.   OKO

Musik und Wahn III
Bei Urheberrechten hört die Kameradschaft auf. Nur wenige Wochen nachdem die Band Frei.Wild von der Nominierungsliste des Echo gestrichen wurde, gibt es wieder Ärger. Die Nazi-Kombo Stahlgewitter wirft den Südtirolern vor, aus einem ihrer Songs geklaut zu haben. Es geht um das Stahlgewitter-Stück »Auftrag Deutsches Reich«, in dem es unter anderem heißt: »Zittert feige, ihr verdammten Verbrecher, täglich wächst die Zahl der Rächer. Heil dir, heil dir Germania,« Frei.Wild sollen sich für ihren Song »Schenkt uns Dummheit, kein Niveau« bedient haben, der 2010 auf ihrem Album »Gegengift« erschienen ist. Die Band dementiert. Es geht um Geld und überschaubare Prinzipien. Während nämlich die Diskussion um Frei.Wilds Nähe zu rechtem Gedankengut ihren Verkauf befeuerte – Ende April landete eine Sonderedition ihres aktuellen Albums auf Platz eins der Album-Charts – dürften die Fans, also eher schlichte Gemüter, auf einen »Diebstahl« wohl mit echtem Volkszorn reagieren.   OKO

Musik und Wahn IV
Media Control stellt fest: Der Schlager ist Deutschlands Nummer eins! Das Marktforschungsunternehmen hat untersucht, wie lange die Alben eines Künstlers seit 2003 in den Charts waren. Angeführt wird die Liste von Andrea Berg, auf dem zweiten Platz landet Helene Fischer. Wen wundert es also, dass die Schweizerin Beatrice Egli bei »Deutschland sucht den Superstar« gewonnen hat? Es ist alles so langweilig. Schrecklich, schrecklich, schrecklich.   oko