Homo- und Transphobie in Georgien

Am besten unsichtbar

Homo- und Transphobie gehören in Georgien zum Alltag. Mit Anfeindungen hatten die Teilnehmer einer Demonstration für die Rechte sexueller Minderheiten in Tiflis deshalb gerechnet, aber die Angriffe christlich-orthodoxer Schläger waren unerwartet brutal. Einschüchtern lassen will man sich davon nicht.

Alles, was das georgische Volk nicht mag, das löst es auf seine sehr direkte und schnelle Art: Es wird eins in die Fresse gehauen.« Mit diesen Worten kommentierte die aus Georgien stammende Opernsängerin Tamar Iveri auf Facebook die Ausschreitungen gegen Demonstranten, die am 17.  Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, eine Kundgebung in Tiflis abgehalten hatten. »In einem Land mit einer orthodoxen Tradition«, so Iveri, »brauchen wir keine Paraden, Feuerwerke und Propaganda dafür, wie toll das angeblich ist und wie cool wir sind.« Zwar distanzierte sie sich von der Gewalt gegen die Teilnehmer der Demons­tration, bekräftigte aber zugleich, dass sie »stolz« darauf sei, dass die georgische Gesellschaft auf die »Aktion gespuckt« habe.
Es ist ein homophobes Statement, das von mehreren georgischen Websites, unter anderem von geo.ambebi.ge, übernommen und von vielen Lesern »geliket« wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung dürfte Iveris Auffassung teilen. Die Rechte sexueller Minderheiten werden in Georgien schlichtweg ignoriert, Homosexuelle und Transpersonen sind in der Öffentlichkeit nicht sichtbar und gelten als »krank« oder »pervers«.
Immerhin hatten die Behörden die Parade wie bereits im Vorjahr genehmigt und ihren polizeilichen Schutz garantiert. Ministerpräsident Bidsina Iwanischwili hatte verkündet, dass die Rechte der sexuellen Minderheiten in seinem Land in Zukunft geschützt würden und dass die georgische Gesellschaft sich langsam daran zu gewöhnen habe. Das Oberhaupt der georgisch-orthodoxen Kirche, Ilia II., rief jedoch noch am Tag vor der Demonstration dazu auf, sie nicht abzuhalten, »um das Volk nicht zu provozieren«. Er befürworte keine Gewalt, teilte er mit und nannte homosexuelle und Transmenschen im selben Atemzug »krank«. Seine Worte wirkten wie ein Signal. Am nächsten Tag marschierten 20 000 Gegendemons­tranten auf, ein Mob christlich-orthodoxer Schläger griff die Teilnehmer der Demonstration auf dem Rustaveli-Boulevard im Zentrum von Tiflis brutal an und verletzte 28 Menschen, darunter auch Journalisten und Polizisten.
Ich verfolgte die Jagdszenen in Tiflis, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, von meiner Wohnung in Hamburg via Internet, ich sah stündlich die schrecklichen Videos an und las auf Facebook die Nachrichten meiner schockierten georgischen Freunde, aber auch die Kommentare von »Freunden«, die nicht viel anders dachten als Tamar Iveri. Die Videos zeigten den Mob, der, angeführt von Priestern, mit Stühlen und anderen Gegenständen gewappnet, die Absperrungen durchbrach, ohne dass die Polizei einschritt. Viel zu spät reagierten die Polizisten und brachten die Teilnehmer in Bussen vom Tatort weg. »Die Masse, die sich um uns versammelt hatte«, schreibt die Aktivistin Mariam Gagosch in ihrem Blog, »war bereit, uns in Stücke zu reißen und zu töten. Es war Glück, dass wir das überlebt haben.« Die Ausschreitungen beschäftigen auch Tage danach viele LGBT-Aktivisten und Bürgerrechtler in Tiflis. Über Facebook halte ich Kontakt mit ihnen. Es ist eine kleine, überschaubare Szene, nicht zu vergleichen mit queeren Milieus in anderen europäischen Metropolen. »Die LGBT-Community ist in Georgien die marginalste Gruppe überhaupt«, glaubt Sophie Pruidze, eine Aktivistin der »Feministischen Gruppe«. »Entweder du bist unterdrückt oder unsichtbar. Du kannst dich entscheiden, täglich, überall diesen Kampf aufzunehmen oder dich so zu maskieren, dass deine Zugehörigkeit zu LGBT-Menschen nicht sichtbar ist.«
Natia Gvianischwili, Feministin und Mitglied der LGBT-Organisation »Identoba«, teilt diese Erfahrungen. »Hier lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell zu sein«, schreibt sie, »bedeutet, dass dir kein öffentlicher Raum gewährt wird; dass deine sexuelle Orientierung als eine mentale Störung wahrgenommen wird. Das Traurige daran ist, dass im Unterschied zu anderen Minderheiten in diesem Land die LGBT-Menschen auch keine Unterstützung in ihren Familien erfahren. Im besten Fall wird deren Iden­tität in ihren Familien ignoriert, im schlimmsten Fall – werden sie gehasst.«
Auch im Beruf, berichtet Sophie Pruidze, sei sie ständiger Diskriminierung ausgesetzt. »Ich stehe seit sieben Jahren im Arbeitsleben und kann ehrlich sagen, dass es im Lauf der Jahre vielleicht ein oder zwei Tage waren, an denen ich keine homophoben Sprüche zu hören bekam. Wenn du etwas anders aussiehst, dann wirst du auch auf der Straße diskriminiert. Von Passanten oder Taxifahrern bekomme ich oft zu hören: ›Bist du ein Junge oder ein Mädchen?‹, obwohl ich keineswegs wie ein Junge aussehe. Ich spüre ständig, dass man meine ›Andersartigkeit‹ unterstreicht.«
Würden die Queers das Land verlassen, wenn sie die Wahl hätten, und nach London oder Berlin gehen, um dort freier leben zu können? »All diejenigen, die am 17.  Mai demonstriert haben, sind ein gutes Beispiel dafür, dass sie für ihre Rechte kämpfen wollen. Viele von uns hätten gehen können, hätten sie es gewollt. Aber natürlich gibt es irgendwann eine Grenze. Wenn das eigene Leben in Gefahr ist, werden einige wahrscheinlich das Land verlassen müssen. Aber ich bin mir sicher, dass sie auch woanders ihren Kampf weiterführen würden.«
Seit der Perestroika sucht Georgien nach seiner Identität. Seit 20 Jahren enttäuscht die Politik die Menschen. Seit 20 Jahren ist das Land gespalten. Seit 20 Jahren gibt es Demonstra­tionen, Krieg, soziale und wirtschaftliche Probleme, seit 20 Jahren ist man mit dem Überleben beschäftigt. Und seit 20 Jahren umgarnt der Staat die orthodoxe Kirche, lässt sie herrschen oder kniet vor ihr nieder. Die orthodoxe Kirche erreichte in den vergangenen zehn Jahren eine unbeschreibliche Macht, eine beängstigende Autorität, den Status eines unangefochtenen Herrschaftsapparats. Die Kirche schaffte das, was der Staat nicht geschafft hat: dass die Menschen ihr glauben.
Es ist regelrecht modisch geworden, in die Kirche zu gehen, zu fasten (wobei auch ein vegetarischer sogenannter Fastenburger bei McDonald’s erlaubt ist) und seinen teuren Wagen, für den man einen horrenden Kredit auf­genommen hat, mit Weihwasser besprühen zu lassen, damit man unfallfrei bleibt. Jede Hochzeit, jede Beerdigung bestimmt die Kirche, den Stil, das Design, die Riten. Ständig wird man an »Gottes Zorn« erinnert oder an die Ahnen und die alte christliche Tradition Georgiens. Und nur wenige Menschen sprachen bisher öffentlich darüber, dass es dabei nicht um Glauben, um Menschenliebe oder Empathie geht.
Jeder Politiker, der in den vergangenen 20 Jahren an die Macht kam, kniete vor dem Patriarchen nieder und küsste ihm die Hand, um die eigene Macht zu festigen. Dass Georgien zu ­einem theokratischen Staat mutieren könnte, spürte ich bereits 2008, als der Russisch-geor­gische Krieg begann und etliche Menschen die Meinung vertraten, Saakaschwili müsse nun alle seine Entscheidungen mit dem Patriarchen absprechen.
Neben dem Scheitern des Staats und der Hetze der Kirche mache ich die fehlende Bildung und Aufklärung für die homophobe Stimmung verantwortlich. »Die meisten Menschen«, bestätigt Natia Gvianischwili, »haben keinerlei Informationen darüber, was es bedeutet, homosexuell zu sein. Selbst das Gesundheitsministerium unternimmt keinerlei Anstrengung, die Aufklärung voranzutreiben. Niemand erklärt, dass Homosexualität keine Krankheit und dementsprechend nicht ansteckend ist. Wahrscheinlich ist es an der Zeit, dass wir Aktivisten uns dieser Aufgabe annehmen.«
Unterstützung erhofft sie sich auch von der EU. »Georgien will in die EU, deswegen muss der Staat seine Gesetze wahren und seine Versprechen einhalten. Europa hat dementsprechend auch das Recht, Georgien Druck zu machen und es zu kritisieren. Wenn der Staat geeignete Maßnahmen ergreift, dann können die Fundamentalisten auch nichts mehr anrichten. Am effektivsten wäre es wohl, wenn der Staat der Kirche die Finanzierung kürzt«, meint Gvianischwili.
Scharfe Kritik an den Ausschreitungen äußerten inzwischen Vertreter der EU und des US-amerikanischen Außenministeriums. Georgiens Parlamentspräsident Davit Usupaschwili wagte es gar, den Patriarchen Ilia II. für seine aufwiegelnden Worte zu kritisieren.
Die georgische Operndiva Tamar Iveri, die an den großen Opernhäusern dieser Welt auftritt, erwähnte in ihrem Eintrag, sie habe zwar »Gay-Freunde«, aber sie wünsche sich nicht, dass georgische Männer mit »Luis-Vuitton-Taschen behängt« auf dem Rustaveli-Boulevard spazieren gehen. Ich dagegen wünsche mir, dass die Opernsängerin genauso wie mein Land begreift, dass man Menschen am allerwenigsten mit »eins in die Fresse hauen« vorschreiben kann, woran sie glauben und vor allem wen sie lieben sollen.

Die Theaterregisseurin, Dramatikerin und Romanautorin Nino Haratischwili wurde 1983 in Tiflis geboren und lebt heute in Hamburg. 2011 erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt ihr Roman »Mein sanfter Zwilling«.