Die U21-Europameisterschaft in Israel

Ein Traum wird wahr

In Israel könnte die Begeisterung über die U21-Europameisterschaft kaum größer sein, trotz der antiisraelischen Proteste. Und auch die deutschen Kicker fühlen sich »wie zu Hause«.

Wenige Tage vor dem Beginn der U21-Europameisterschaft im Fußball unternahmen einige notorische »Israel-Kritiker« einen letzten Versuch, den europäischen Fußballverband zur Absage des Turniers im jüdischen Staat zu bewegen. »Die Uefa belohnt Israels grausames und gesetzloses Verhalten, indem sie das Land die Endrunde der U21-EM ausrichten lässt«, heißt es in einem offenen Brief, den unter anderem der ehemalige südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu, der französisch-malische Ex-Fußballprofi Frédéric Kanouté und der britische Filmregisseur Ken Loach unterschrieben hatten. Die Uefa, so schreiben die Initiatoren weiter, solle es Israel nicht gestatten, »ein prestigeträchtiges Fußballereignis dazu zu benutzen, um seine rassistisch motivierte Verweigerung von Rechten für die Palästinenser und die illegale Besatzung von palästinensischem Land zu übertünchen«. Auch wenn es schon sehr spät sei, fordere man die Uefa dazu auf, »die Entscheidung, Israel dieses Turnier austragen zu lassen, zu widerrufen«.
Kurz zuvor hatten einige Demonstranten eine Abendveranstaltung des europäischen Verbands im Rahmen eines Uefa-Kongresses in London gestört, indem sie dort antiisraelische Parolen riefen und eine palästinensische Fahne schwenkten. Bereits im November vorigen Jahres waren mehr als 50 Fußballprofis – darunter die früheren Bundesligaspieler Papiss Demba Cissé und Demba Ba – mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit getreten, in der sie gegen die israelischen Militärschläge im Gaza-Streifen protestierten, ihre »Solidarität mit der belagerten Bevölkerung in Gaza« ausdrückten und sich dagegen aussprachen, die Europameisterschaft in Israel stattfinden zu lassen.
Im jüdischen Staat nahm man diese und ähnliche Störmanöver größtenteils mit einem Achselzucken zur Kenntnis und ließ sich durch sie die Vorfreude jedenfalls nicht vermiesen. Die Begeisterung könnte kaum größer sein, zumal es sich um das größte und wichtigste internationale Fußballturnier handelt, das jemals in dem kleinen Land ausgetragen wurde. Bereits vor dem Anpfiff des Eröffnungsspiels zwischen Israel und Norwegen in Netanya – weitere Spielorte sind Jerusalem, Tel Aviv und Petah Tivka – waren von den insgesamt 250 000 Eintrittskarten 180 000 verkauft; vier Jahre zuvor in Dänemark wurden während des gesamten Wettbewerbs nur rund 90 000 Tickets abgesetzt. Er sei »ebenso aufgeregt wie alle Israelis«, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu; der Fußball sei »meine große Liebe und sowieso ein einzigartiges Vergnügen«. Staatspräsident Shimon Peres hält derweil mögliche Sorgen vor Anschlägen für unbegründet: Es werde bei dem Turnier »sicherer und ruhiger als bei einem Fußballspiel in London« zugehen, versprach er. Und Avraham Luzon, der Präsident des Isra­elischen Fußballverbands, schwärmte: »Für alle israelischen Fußballfans wird ein Traum wahr.«
Dass die U21-Europameisterschaft im Fußball in Israel stattfindet, ist in der Tat ein Novum, denn der Wettbewerb wird erstmals nicht auf europäischem Boden ausgetragen. Ende Januar 2011 hatte die Uefa beschlossen, das Turnier an den jüdischen Staat zu vergeben, der mit dem Auftrag, die wichtigste europäische Nachwuchsmeisterschaft auszurichten, den wohl größten sportpolitischen Erfolg seiner Fußballgeschichte feiern konnte. Dabei müsste der ­Israelische Fußballverband (IFA) nach geographischen Gesichtspunkten eigentlich der Asia­tischen Fußball-Konföderation (AFC) angeschlossen sein – und er war es auch zwischen 1956 und 1974. Doch während seiner Mitgliedschaft waren israelische Mannschaften immer wieder von politischen Boykotten seitens arabischer Mitgliedsländer betroffen, was zuweilen geradezu groteske Konsequenzen zeitigte. Besonders absurd verlief die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1958: Eigentlich hätte das israelische Team nacheinander gegen die Türkei, Indonesien und den Sudan spielen sollen – doch keine der vorgesehenen Partien fand statt, weil die genannten Länder sich infolge der Suez-Krise weigerten, gegen Israel anzutreten. Damit wäre das israelische Team eigentlich kampflos für die WM in Schweden qualifiziert gewesen, doch dagegen hatte die Fifa Einwände: Der Weltfußballverband loste kurzerhand aus allen europäischen Gruppenzweiten ein Land aus und ließ dieses gegen Israel um den letzten freien Platz beim WM-Turnier antreten. Gegen Wales verlor die Auswahl des jüdischen Staates das Hin- und das Rückspiel jeweils mit 0:2. Die Boykotteure hatten dank der Fifa also doch noch ihr unsportliches Ziel erreicht.
Anschließend wurde die israelische Nationalmannschaft von Kontinentalverband zu Kontinentalverband gereicht: Die Ausscheidungsspiele für die Weltmeisterschaften 1962 und 1966 bestritt sie in der Europa-Gruppe, die für die Wettkämpfe 1970 in der Ozeanien-Gruppe und die für die Endrunden 1974 und 1978 in der Asien-Gruppe. Und so ging es weiter: 1982 Europa-Gruppe, 1986 Asien-Gruppe, 1990 Ozeanien-Gruppe. Im Jahr 1978 stellte der israelische Fußballverband, der 1974 auf Antrag Kuwaits aus dem AFC ausgeschlossen worden war, erstmals einen Antrag auf Beitritt zur Uefa. Doch der wurde abgelehnt: Es sei nicht möglich, so hieß es damals, einen geographisch nicht in Europa liegenden Verband aufzunehmen. Vor allem die osteuropäischen Mitgliedsländer hatten sich strikt gegen das israelische Ersuchen ausgesprochen. Mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten änderte sich die Situ­ation jedoch. 1991 gab es eine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung der Uefa-Statuten zugunsten Israels, das nun in den europäischen Verband aufgenommen wurde und drei Jahre später schließlich auch die Vollmitgliedschaft erhielt.
So endete ein Hin und Her, das in der Geschichte des Weltfußballs einzigartig ist; kein anderer nationaler Fußballverband musste Ähnliches über sich ergehen lassen. Durch die Teilnahme der U21 des Deutschen Fußball-Bundes an der Europameisterschaft in Israel wird nun aber auch ein weiteres Kapitel in der noch relativ jungen deutsch-israelischen Fußballgeschichte geschrieben. Zum ersten ­A-Länderspiel beider Verbände war es erst am 25. März 1987 gekommen. Mit 2:0 gewannen die von Franz Beckenbauer trainierten Deutschen das Spiel im nicht einmal halbvollen Stadion von Ramat Gan, doch die sportlichen Belange interessierten damals weit weniger als die politischen Implikationen des Spiels. Denn in ­Israel war längst nicht jeder einverstanden mit dieser Partie, und so blieb der seinerzeitige Staatspräsident Chaim Herzog ihr letztlich auch fern. Der Vizepräsident des israelischen Fußballverbands wiederum, Arieh Kraemer, war zwar im Stadion, verließ es aber aus Protest gegen das Abspielen der deutschen Hymne wieder, das er vor der Partie zu verhindern versucht hatte. Der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem durch die DFB-Delegation geriet unterdessen zu einer veritablen Peinlichkeit. Nationalspieler Hans Pflügler etwa musste darüber aufgeklärt werden, dass er sich nicht in einer Gedenkstätte für gefallene israelische Soldaten befinde; Franz Beckenbauer resümierte derweil: »Der Besuch brachte mir nichts Neues.« Und der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Hermann Neuberger – der im Zweiten Weltkrieg dem Generalstab der Wehrmacht angehört hatte –, erzählte einem Vertreter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem allen Ernstes, er sei »Soldat im Fronteinsatz« gewesen und habe »erst nach 1944 von den Konzentrationslagern erfahren«.
Auf den autoritären Hermann Neuberger* folgte nach dessen Tod 1992 der onkelhafte Rheinländer Egidius Braun, in dessen Amtszeit auch das zweite Länderspiel zwischen Israel und Deutschland fiel, das am 26.Februar 1997 stattfand und mit einem 1:0 für die DFB-Kicker endete. Erneut ging der politische Auftritt der deutschen Delegation gründlich daneben. »Das kann doch nicht wahr sein! Hat’s so etwas wirklich gegeben, Trainer?« fragte etwa Nationalspieler Mario Basler seinen Coach Berti Vogts in Yad Vashem, als er ein Foto sah, auf dem ein KZ-Wärter einen Juden exekutieren will. Egidius Braun fragte derweil die zahlreichen mitgereisten deutschen Journalisten vor Fotoaufnahmen, ob er »noch betroffener gucken« solle. Anfang Oktober 2007 weigerte sich der damalige Wolfsburger Profi Ashkan Dejagah, mit zum EM-Qualifikationsspiel der deutschen U21-Auswahl in Israel zu reisen, und machte dafür explizit »politische Gründe« geltend: »Ich habe mehr iranisches als deutsches Blut in meinen Adern. Außerdem tue ich es aus Respekt, schließlich sind meine Eltern Iraner.« Konsequenzen für Dejagah hatte diese Weigerung nicht. Doch beim DFB scheint man inzwischen aus diesen Peinlichkeiten etwas gelernt zu haben: Vor ihrem EM-Auftaktspiel gegen die Niederlande wärmten sich die deutschen U21-Kicker mit einem T-Shirt auf, das den hebräischen Schriftzug »Margishim Babait« (»Wir fühlen uns wie zu Hause«) trug. Es geht doch.

*geändert am 18.06.2013