Home Story

Seit ihrer Gründung bemüht sich die Jungle World, ihren Lesern zu erklären, was der Kapitalismus ist. Das ist gar nicht einfach, zumal wir es selbst nicht genau wissen. In unserer Redaktion stehen zwar alle Bände von Marx’ »Kapital«, aber reingeschaut hat in die seit Dschungelgedenken niemand. Anders als die Mit­arbeiter sozialistischer Kaderzeitungen sind wir uns aber bewusst, dass der Kapitalismus keine von bösen Geschäftemachern ausgeübte Herrschaft, sondern ein Verhältnis ist, das von allen mitgetragen wird, auch wenn sie ansonsten längst keine Verhältnisse mehr miteinander haben. Deshalb ist bei uns die verkürzte Kapitalismuskritik verboten. Das heißt aber nicht, dass man sie nur verlängern muss, damit wir sie für gut befinden. Vielmehr muss man sie pointieren, was etwas anderes ist, als sie zu verkürzen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie, obwohl sie pointiert sein soll, aufs Ganze gehen muss, wenn sie nicht das Beson­dere hypostasieren und unfreiwillig dem Ganzen Recht geben will. Und als ob das nicht genug wäre, soll sie auch ihre Widersprüche austragen oder zumindest aushalten, statt sie undialektisch aufzulösen.
Da sehen Sie mal, mit welchen Problemen wir uns herumschlagen, kein Wunder, dass bei uns so viele Akademiker hocken. Von dieser Woche an unternehmen wir aber auf unseren unakademischen Comic-Seiten einen Versuch, den Kapitalismus zu personifizieren, ohne ihn zu verkürzen oder zu verlängern: Wir verkleinern ihn. Der verkleinerte Kapitalismus heißt »kleiner Kapitalismus« und ist das Haustier von Frau Kermle. Unser neuer Zeichner Anjo wird Ihnen von nun an regelmäßig Episoden aus dem Leben der Beiden erzählen. Da auch der kleine Kapitalismus nicht totzukriegen ist, wird er uns und Sie eine ganze Weile begleiten. Da man aber auch jederzeit mit ihm rechnen muss, weil er überall steckt, wird es dabei nicht langweilig, sondern überraschend, erkenntnisreich und amüsant zugehen. Gegen Amüsement hat auch der große Kapitalismus nie etwas einzuwenden gehabt.
Natürlich ist die Tatsache, dass wir uns darauf freuen, lange von jemandem begleitet zu werden, den wir lieber heute als morgen loswerden würden, auch eine von diesen Aporien, die man aushalten oder austragen muss. Man kann sie aber auch erstmal aussitzen. Unterhaltsam und produktiv aussitzen lässt sie sich traditionell bei den »Linken Buchtagen« in Berlin. Dort diskutiert unser Redakteur Jörn Schulz am 14. Juni ab 20 Uhr im »Clash« mit Fathiyeh Naghibzadeh und Wahied Wahdathagh über die Lage im Iran vor den Wahlen, unser Autor Carl Melchers wird moderieren. Wenn der kleine Kapitalismus Ihnen vor den Mehringhöfen über den Weg läuft, können Sie ihn gern mitbringen. Vielleicht kann er von uns noch was lernen.