Erich Priebke wird 100

Alt und gefährlich

Der NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke ­feiert seinen 100. Geburtstag.

Lange war es vor allem der nicht vorhandene Verfolgungswille der deutschen Justiz, der eine Verurteilung deutscher Kriegsverbrecher verhinderte. Seit einigen Jahren ist es jedoch auch die Zeit, die davonläuft. Die wenigen, die noch nicht aus dem Leben geschieden sind, ohne sich mit ihren Taten juristisch auseinandersetzen zu müssen, sind mittlerweile in einem derart hohen Alter, dass sie wohl ohnehin für nicht verhandlungsfähig befunden würden. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass es noch zu einer nennenswerten Zahl von Verurteilungen kommen wird. Erich Priebke ist ebenfalls nicht mehr der Jüngste. Am 29. Juli wird sein 100. Geburtstag sein. Würde er heute vor Gericht stehen, hätte auch er gute Chancen, für verhandlungsun­fähig befunden zu ­werden und ungeschoren davonzukommen. Priebke hatte jedoch das Pech, dass er seine Verbrechen in Italien begangen hat, und dass die dortigen Gerichte immerhin bereits in den neunziger Jahren gegen ihn Anklage erhoben. Nach einigem Hin und Her wurde er dort 1998 von einem Militärgericht in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht hatte ihn für schuldig befunden, im März 1944 im Rahmen einer Vergeltungsmaßnahme an der Erschießung von 335 Zivilisten beteiligt gewesen zu sein.

Priebke selbst zeigte auch nach seiner Verurteilung keinerlei Anzeichen von Reue. Der Süddeutschen Zeitung gegenüber sprach er noch im Jahr 2000 von einer »Inszenierung« gegen ihn, deren »Drahtzieher« die »Wiesenthal-Zentren« seien. Es scheint gerade diese Uneinsichtigkeit zu sein, die ihn dafür prädestiniert, von der extremen Rechten in Deutschland, aber auch darüber hinaus als Märtyrer verehrt zu werden. Sein kommender Geburtstag gibt diesen Bestrebungen abermals neuen Auftrieb.
Im Mai zum Beispiel veröffentlichte das NPD-Vorstandsmitglied Ricarda Riefling aus Pirmasens ein im Elsass gemachtes Foto, das sie und sechs andere Personen mit einem Transparent mit der Aufschrift »Lasst Erich Priebke frei!« zeigt. Riefling steht auf der rheinland-pfälzischen Landesliste der NPD für die Bundestagswahl auf dem ersten Platz. Ebenfalls im Mai war ein Transparent mit derselben Forderung bei einer Kundgebung in Karlsruhe zu sehen. In Dresden und an verschiedenen Orten in Mecklenburg-Vorpommern gab es auch Fototermine mit einem Banner. Bereits seit mehreren Jahren finden immer wieder Propagandaaktionen, Kleinstkundgebungen und Solidaritätserklärungen von Gliederungen der NPD, deren Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) oder sogenannten »Freien Kräften« statt.

Zentraler Akteur der Kampagnenarbeit zur Unterstützung Priebkes scheint der Bremer Henrik Ostendorf zu sein. Er ist es, der für die Internetseite erich-priebke.de verantwortlich zeichnet, und er hat auf der Plattform change.org eine Petition zur Freilassung Priebkes veröffentlicht. Mit knapp mehr als 1 500 Unterzeichnern ist diese jedoch als mäßig erfolgreich zu bezeichnen.
Ostendorf selbst ist kein Unbekannter. Er gilt nicht nur als Urgestein der Bremer Hooliganszene und als Führungsfigur der rechten Hooligan-Gruppe »Standarte 88«, sondern auch – um es mit dem Verfassungsschutz zu sagen – als »Drahtzieher im internationalen Netzwerk zwischen NPD, NS-Skin-Milieu und der Hooliganszene«. Vom Dezember 2009 an war er zudem für rund ein Jahr Geschäftsführer der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme. Er wurde einer der Nachfolger von Jens Pühse, der ursprünglich aus Wilhelmshaven stammt. Ebenfalls gemein ist beiden eine Verbindung zur Rechtsrockszene. Pühse war bereits in den frühen neunziger Jahren im Versandhandel mit entsprechenden Tonträgern tätig, Ostendorfs Bruder Hannes ist Sänger der rechten Fußballrocker »Kategorie C«. Die stärkere Einbindung beider in die Strukturen der NPD ist als Teil der damaligen Öffnung der Partei hin zur rechten Subkultur und zum Umfeld der »Freien Nationalisten« zu verstehen.
Eine von Ostendorfs Hauptinteressen scheint schon länger die Beschäftigung mit inhaftierten Nazis zu sein. Schon vor seinem derzeitigen Engagement für Priebke zeichnete er für eine Internetseite zum Gedenken an Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess verantwortlich und tourte 2007 mit einem LKW mit dem Konterfei Hess’ durch deutsche Städte. Hess gilt der extremen Rechten nach wie vor als Märtyrer, der zu Unrecht in Haft gesessen habe und an dessen Selbstmord sie Zweifel hegt. Priebke wird von der Szene in ähnlicher Weise mythisch verklärt. Der Mann, der für den Tod von über 300 Zivilisten mitverantwortlich ist, ist für sie »der letzte Kriegsgefangene in Europa«. Deutsche Täter sehen sich und die Ihren nun einmal gerne als unschuldig leidende Opfer.

Wer öffentlich seine Solidarität mit dem Kriegsverbrecher Priebke zur Schau stellen möchte, kann dies seit kurzem auch durch das Tragen eines entsprechenden T-Shirts. Das in Schwarz, Weiß und Rot gehaltene Kleidungsstück zeigt vorne das Gesicht Priebkes nebst den Parolen »Freiheit für Erich Priebke« und »Freiheit für alle nationalen Gefangenen«. Auf dem Rücken hingegen prangt das Logo der Rechtsrockband »Die Lunikoff Verschwörung«. Eben diese T-Shirts trugen die Mitglieder der Band um Michael Regener, den ehemaligen Sänger der Band »Landser«, auch bei ihrem Auftritt beim »Sachsentag« der JN im Juni. Vertrieben wird das Shirt offenbar exklusiv über den Versandhandel Enos24. Geschäftsführer des Versands, der auch andere Devotionalien von Regeners Band verkauft, ist Christian Banaskiewicz aus Eberswalde, der als ehemaliger Führungskader des inzwischen aufgelösten »Märkischen Heimatschutzes« gilt. Die T-Shirts und die Solidarität mit Priebke sind aber offensichtlich auch jenseits des Umfelds der NPD ausgesprochen beliebt. So trugen Mitglieder der derzeit wohl ernsthaftesten Konkurrenz der NPD, der Partei »Die Rechte«, bei ihrem Auftritt vor dem Bundeswahlausschuss in Berlin am 5. Juli eben diese. Einer der drei Vertreter der Partei war Sascha Krolzig, der als ehemaliger Führungskader der inzwischen verbotenen Kameradschaft Hamm gilt, jetzt im nordrhein-westfälischen Landesvorstand von »Die Rechte« sitzt und Beisitzer in deren Bundesvorstand ist. Dieser gab bei dieser Gelegenheit an, dass die Partei exakt 364 Mitglieder habe.
Der Auftritt, in dessen Folge die Partei zur Bundestagswahl zugelassen wurde, verdeutlicht zweierlei. Zum einen sind die Unterschiede zwischen der NPD und »Die Rechte« offenbar nicht so groß, wie beide gerne behaupten. Zum anderen scheint nicht die eine oder die andere Partei der Kern der extrem rechten Szene zu sein, sondern eher die braune Ursuppe aus Rechtsrock, ­Kameradschaften, »Autonomen Nationalisten« und rechten Hooligans, in der beide nach Kadern fischen. Vielerorts dürften beide Parteien ohne die Mitarbeit eben jener Kader fast handlungsunfähig sein. Jeder Versuch, ein bürgerliches Äußeres zu wahren, oder gar Anrufungen des Rechtsstaats wie in Ostendorfs Petition zur Freilassung von Erich Priebke, die die Kanzlerin und den Bundespräsidenten zum Handeln auffordert, wirken da bestenfalls wie eine schlechte ­Scharade.