The Harder They Come

Eine Tätigkeit, für die man keine Bezahlung erhält, wird im Allgemeinen nicht als Beruf oder Job anerkannt. Was für ein Riesenfehler! Ein gutes Beispiel für einen unerkannten Beruf ist: Der Stadt-Tourist. Natürlich denkt man zuerst an den Luxus, den er sich leisten kann, einfach zum Vergnügen in andere Städte zu reisen. Aber steckt da nicht mehr dahinter? Ist es nicht auch oder sogar gerade der Tourist, der zu einem besseren gesellschaftlichen Zusammenleben in den crazy Großstädten Entscheidendes beiträgt? Doch!
Man erkennt es nur nicht auf den ersten Blick, muss genauer hinsehen, um zu verstehen, wie wichtig der Stadt-Tourist für uns ist und auf welch bewundernswerte Art und Weise er für Frieden sorgt. Denn er zieht, ganz freiwillig, die Aggressionen auf sich, macht sich zum Objekt unserer Wut, indem er mit lauten Rollkoffern über das Kopfsteinpflaster zieht, indem er sich in großen Gruppen zusammenrottet und durch die Kneipen schreit, indem er mitten auf dem Gehweg unvermittelt stehenbleibt, sodass man fast in ihn hinein läuft, indem er die Fahrkartenautomaten der U-Bahn blockiert, damit wir die Bahn verpassen und einfach mal drei Minuten innehalten können in unserem wahnsinnig stressigen Leben und er macht Krach in der Ferienwohnung nebenan, damit wir mal wieder richtig ausflippen können.
Das alles macht viel Arbeit und es braucht einiges an Organisationstalent und Empathie, genau die Orte zu finden, an denen er besonders gebraucht wird. Kaum hören wir von Ferne seine Koffer, kaum steht er beim Bäcker in der Schlange vor uns und lässt sich zu viel Zeit mit der Bestellung, können wir alles auf ihn abladen, unseren Hass, unsere Überheblichkeit, unseren Spott. Wir fühlen uns danach besser, müssen nicht den Hund verprügeln, das Kind aus dem Fenster werfen oder uns sinnlos betrinken, weil wir nicht wissen, wohin mit der Wut, die immer in uns gärt. Ja, meist merken wir nicht einmal, wie aggressiv wir sind, bis ein oder mehrere Touristen uns den Zugang zu diesen unterdrückten Gefühlen ermöglichen. Sie ertragen unsere abschätzigen Blicke, unser Augenrollen, sie lassen sich von uns gutherzig in die falsche Richtung schicken und kehren dann wie die Müllabfuhr alles, was wir an ihnen auslassen, ordentlich zusammen. Sie öffnen den Reißverschluss ihrer Rollkoffer und sortieren unseren Gefühlsdreck zwischen ihre T-Shirts und Flip-Flops, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Dann wird der Koffer verschlossen und wir sind den Mist los. Wenn sein Koffer voll ist, lässt der Tourist ihn auf einem der Gepäckbänder dieser Welt unauffällig verschwinden und gönnt uns unsere zurückgewonnene Zufriedenheit von Herzen.
Vielleicht sollten wir dafür einfach mal Danke sagen und ihm ein oder zwei Euro in die Hand drücken, als Mindest-Lohn für seine Arbeit.