Berlin Beatet Bestes. Folge 210

Was quält, wird abgewählt

Berlin Beatet Bestes. Folge 210. Junge-Union-Orchester: Das Lied vom politischen Frühling (1975)

Vergangene Woche habe ich die Münchner Songgruppe mit dem Lied vom Bayernland und dem Refrain: »Strauß und seine Bazis und die Neo-Nazis,/die sind Bayerns größte Plag’« vorgestellt. Immer wieder singen sie genüsslich: Strauß, Bazis, Neonazis. Das bleibt hängen. Es muss 1970, zu einer Zeit, als Franz Josef Strauß in Bayern unangefochten an der Spitze der Regierung stand, ein großer Spaß gewesen sein, so etwas in in aller Öffentlichkeit zu singen. Während die Münchner Songgruppe textlich voll zulangt, schöpft sie musikalisch leider nicht gerade aus dem Vollen. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache, das gilt zumindest für die meisten deutschen politischen Liedermacher der siebziger Jahre.
Anders sah es da schon beim politischen Gegner aus. Zwar gibt es meines Wissens keine Amateurgruppen, die christdemokratische Propagandasongs geschrieben hätten, aber die von der CDU in den siebziger Jahren in Auftrag gegebenen Werbeplatten sind um einiges fetziger, um nicht zu sagen poppiger arrangiert. Das Lied vom politischen Frühling des Junge-Union-Orchesters groovt, so wie viele ähnliche deutsche Schlager dieser Zeit. Der Song ist, genauso wie die 1972 veröffentlichte CDU-Hymne »Wir wählen CDU«, ziemlich eingängig. Beide Platten zirkulieren im Internet schon seit vielen Jahren als kultiger Ulk, ohne dass die CDU sich dafür schämen müsste:

Wähl den politischen Frühling,/die CDU muss ran,/wähl den politischen Frühling,/von Mai an geht’s voran,/Mit Köppler kommt die Sicherheit,/mit Köppler kommt der beste Mann,/wähl den politischen Frühling,/jetzt packen wir es an.

Heinrich Köppler trat bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1970 und 1975 als Spitzenkandidat der CDU an, unterlag aber beide Male gegen den Amtsinhaber Hein Kühn. 1980 versuchte er es sogar ein drittes Mal, erlitt jedoch drei Wochen vor der Wahl zwei Herzinfarkte und starb. Der CDU wollte in den siebziger Jahren einfach kein Regierungswechsel gelingen. In den achtziger Jahren sah es dann für die CDU schon ganz anders aus. Zum Glück bescherte uns der Hass auf Helmut Kohl dann zumindest eine Flut von fetzigen, eingängigen Punksongs. Die bevorstehende Bundestagswahl ist dagegen öde. SPD und CDU erscheinen programmatisch schon seit vielen Jahren ununterscheidbar. Schon wird öffentlich wieder über eine große Koalition spekuliert. Überraschend prophetisch verkündet dazu der letzte Textblock des »Lieds vom politischen Frühling«:

Nicht nur SPD,/auch FDP ade,/denn was den Bürger quält,/wird endlich abgewählt./Jetzt kommt´s drauf an,/die CDU muss ran.

Mit einer großen Koalition könnte es tatsächlich bald heißen: FDP adé. Politisch interessanter würde es deshalb nicht. 1975 lockte das Cover dieser Single, das eine Boxerin zeigte, zumindest noch mit dem Satz: » Komm aus deiner linken Ecke.« Wäre die SPD mal in dieser geblieben, dann würde es sich für die CDU auch wieder lohnen, Boxhandschuhe anzulegen.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.