Bratwurst und Pulverdampf

Reenactment. 120 Millionen Euro wurden investiert, um das abscheu­liche Bauwerk im Südosten von Leipzig zu sanieren: das Völkerschlachtdenkmal. Ein Kriegsklotz, bei dessen Einweihungszeremonie es 1913 hieß, der Ort des Gemetzels sei ein »Heiligtum des gesamten deutschen Volkes (…), geheiligt durch die dargebrachten Opfer an Gut und Leben für die Freiheit des Vaterlandes, geheiligt, weil hier unsere Heldenväter die drückenden Fesseln des Eroberers zertrümmerten, hier die so lange ersehnte Freiheit im harten Kampf des Leibes und der Seele wiedergewannen, um wieder ein Volk von Brüdern zu werden«. Am Ende der Festtage, die zum 200. Jahrestag der Schlacht ausgerichtet wurden, durften alte Herrschaften ran, um das Ereignis nachzustellen: 6 000 Akteure aus 26 Ländern, 100 Kanonen, 250 Pferde, 35 000 Besucher. Und dann wird darüber debattiert, ob sich hier Geschichtsinteresse oder Kriegswahn ausdrücke. Schwierige Frage: Was ist davon zu halten, dass Napoleon nicht oft genug besiegt werden kann?   oko
Saumäßig
Drecksau. Jon S. Baird (»Cass«) hat »Filth« von Irvine Welsh verfilmt. Was soll das, fragt man sich, 15 Jahre nach Erscheinen des Romans, 17 Jahre nach Danny Boyles »Trainspotting«. Wozu jetzt diese Geschichte um Bruce Robertson, einen menschenverachtenden, drogenabhängigen Polizisten, der ganz Glasgow tyrannisiert und demütigt? Nein, wir brauchen sie nicht, erst recht nicht in dieser Adaption, die sich vor allem auf Überzeichnung verlässt, darauf also, dass Zuschauer den Film dank Hartgesottenheit und Stumpfsinn als schwarzhumorige Crime Comedy begreifen dürften. Dass »Drecksau« kontroverse Reaktionen hervorruft, ist kalkuliertes Risiko. Sich darauf zurückzuziehen, die schauspielerische Leistung James McAvoys zu würdigen, vernachlässigt, dass der Regisseur sich nicht einmal um Feinsinn oder Doppelbödigkeit bemüht. Die Frage, ob Robertson ein Irrer oder ein Schwein ist, wird nicht deutlich genug gestellt. Klar ist nur, was dieser Film in Gänze ist: kalkulierte Provokation.   MTB
Subversiver Marktwert
Banksy. Street Art hat street credibility eingebüßt, Schlaumeier deuten sie gern als Stadtverschönerung von unten, ihre Protagonisten gar als jene Künstlertypen, die als »Vorboten der Gentrifizierung« einen schlechten Ruf genießen. Irgendwie schräg. Schräg sind auch die absurden Konsequenzen der Salonfähigkeit von Street Art. Der berühmteste, teuerste, meistausgestellte und heimlichtuerischste PR-Spezialist unter ihnen, der britische Star-Künstler Banksy, erregt derzeit in New York Aufsehen. Fast täglich tauchen neue Werke auf. Der New York Post zufolge haben Hauseigentümer im Stadtteil Williamsburg nun Sicherheitspersonal abgestellt, um Banksys Arbeiten bewachen zu lassen. Man wolle das Werk erhalten, damit es gesehen und genossen werden könne. Ob Banksy die Stadt verschönern, der Subversion eine weitere Umdrehung mitgeben oder seinen Marktwert steigern möchte, darüber darf man geteilter Meinung sein.   oko
Mauergezeter
Jim Avignon. Oh nein, die Berliner East Side Gallery wurde neu bepinselt. Man ist erzürnt über die Aktion von Jim Avignon: »Wir verurteilen Jims Aktion«, sagte der Sprecher der Künstlerinitiative East Side Gallery, die ursprünglichen Bilder müssen erhalten werden, »sonst haben wir hier bald ein Disneyland, in dem jeder gerade mal so malt, was ihm gut gefällt«, sagte Mauerkünstlerin Birgit Kinder. Avignon hat sich tatsächlich erdreistet, sein Bild »Doin It Cool For The East Side« aus dem Jahre 1990 zu übermalen. Es ist wirklich nichts mehr erlaubt.   oko