Die Punk-Bands Pestpocken und Riot Brigade in Moskau

Wodka, saure Gurken, Antifa

Eigens für ein Konzert in einem Club in Moskau flogen die beiden deutschen Punk-Bands Pestpocken und Riot Brigade in die russische Metropole. Sarah Kleinmann hat sie begleitet.

Es ist einer dieser Herbstabende, die mit frostiger Kühle ein Vorgefühl vom nahenden Winter geben. Vor dem Flughafen Moskau-Domo­dedowo im Süden der russischen Hauptstadt herrscht reger Verkehr, Gepäck wird in Autos verladen, Reisende kommen und gehen. Jo, Panne, Fritz, Moritz, Marian, allesamt Mitglieder der Stuttgarter Band Riot Brigade, und Andrea, Sängerin der Gruppe Pestpocken aus Gießen, sind gerade angekommen und warten vor dem Flughafen auf ein Taxi, das sie ins Zentrum von Moskau bringen soll. Gemeinsam sind sie von Frankfurt am Main in die russische Hauptstadt geflogen, um am nächsten Tag ein Punk-Konzert im Moskauer Club »Plan B« zu geben. Auch die Bands Restarts aus Großbritannien, 4Scums und Normy Moraly aus der Russischen Föderation werden spielen.
Riot Brigade gibt es seit zehn Jahren. Die Band hat eine typische Punk-Sozialisation durchlaufen, mittlerweile stehen die politischen Inhalte im Vordergrund. Oder, wie die Band auf Facebook postet: »We’re no longer motivated to play any roles or fit into punk-clichés. Reflect, emancipate & go on!« Den Bandmitgliedern geht es um politisches Denken und Handeln über Szenegrenzen hinweg. Sie arbeiten in Initiativen gegen Neonazismus, organisieren nicht-kommerzielle Festivals sowie gesellschaftskritische Vortragsveranstaltungen. Neben dem politischen Engagement wird studiert oder gearbeitet.
Für das Visum zur Einreise in die Russische Föderation mussten die Mitglieder von Riot Brigade jeweils rund 100 Euro zahlen und einen Nachweis über eine Auslandskrankenversicherung sowie über das letzte Monatsgehalt vorlegen. Nach der Passkontrolle nimmt Artim die Gruppe in der Flughafenhalle in Empfang. Er ist Arzt, lebt in Moskau und hat das Konzert organisiert. Die Bands aus Deutschland hat er nicht zuletzt deshalb eingeladen, weil sie in der russischen Punkszene recht bekannt sind. Beim Warten auf das Taxi, das eine gute Stunde im Moskauer Stau steckt, wird vor allem über das bevorstehende Konzert gesprochen. Der kleine Sohn von Panne hat für die Reise ein Bild gemalt, das den Vater zeigen soll, ein sehr freundlich dreinschauendes Strichmännchen mit schwarzen, zerzausten Haaren. Panne zeigt es den anderen: »Das hat er mir mitgegeben, damit ich sicher wieder nach Hause komme.«
Bedenken gibt es, trotz der Vorfreude auf das Konzert. Andrea, die 2011 schon einmal mit ihrer Band Pestpocken in Moskau aufgetreten ist, berichtet: »Das war gemeinsam mit den Stage Bottles. Weil es damals eine Morddrohung von russischen Nationalisten gab, wurden wir von den Veranstaltenden gebeten, nicht ohne ihre Begleitung die Unterkunft zu verlassen, in der wir übernachtet haben.«
»Wir fragen uns daher nun beispielsweise, ob es beim morgigen Konzert zu Stress mit Nazis kommen kann«, ergänzt Fritz. Seitdem sie den Auftritt in Moskau vereinbart haben, diskutieren Riot Brigade über die Frage, was es für sie bedeutet, in einem autoritären Land wie Russland aufzutreten. Ein großes Problem stellt dabei die grassierende Homophobie dar. Seit Juni stehen positive Äußerungen über Homosexualität in der gesamten Russischen Föderation unter Strafe. »Wir denken, dass es wichtig ist, dass wir uns auf der Bühne öffentlich gegen Homophobie positionieren«, sagt Jo, »möch­ten aber beispielsweise unseren Veranstalter nicht in eine heikle Situation bringen.« Marian meint: »Außerdem soll es nicht so rüberkommen, dass jetzt ›die Deutschen‹ kommen, die es einfach besser wissen.« Diskutiert wird auch über angemessene Kleidung, denn der Band wurde nahegelegt, in der Öffentlichkeit nicht als linksradikal oder antifaschistisch erkennbar zu sein, beispielsweise durch Buttons oder Aufnäher. Dies sei zu gefährlich wegen potentieller Attacken von russischen Rechtsradikalen.
Es ist Donnerstag, der 10. Oktober. Wenige Stunden nach der Ankunft der Bands kommt es in der Moskauer Vorstadt Birjuljowo zum Mord an dem 25jährigen Jegor Scherbakow, der von einem »Nicht-Russen« niedergestochen worden sein soll. Dieser Vorfall ist Anlass für kollektive rassistische Gewalttaten, die sich in den Tagen darauf im Süden der Stadt ereignen. Riot Brigade erfahren davon erst, als sie wieder in Deutschland sind, auch das Konzert bleibt davon unbehelligt.
Das Großraumtaxi kommt schließlich mit einer Stunde Verspätung und kämpft sich zurück durch den Stau in das Zentrum der Stadt. Nach etwa eineinhalb Stunden hält das Taxi am Rand einer achtspurigen Stadtautobahn unweit der Metro-Station Barrikadnaja. Dort befindet sich das Hotel, in dem die Bands übernachten werden. Es wird von einer freundlichen jungen Frau betrieben, die in ihrer kleinen ungelüfteten Wohnung im zweiten Obergeschoss mehrere Betten vermietet. Wie sich herausstellt, an viel zu viele Gäste. So schläft die Gastgeberin schließlich auf einer Matratze im Bad. Im Wohnzimmer, zugleich zentraler Eingangs- und Aufenthaltsbereich, läuft der Fernseher, zwei muntere Ratten hausen in einem Käfig auf dem Schreibtisch. In der kleinen Küche stehen Tee und Instantkaffee zur Verfügung.
Später kommen die restlichen Bandmitglieder der Pestpocken im Hotel an. Eddie, Danny, Tom und Max werden von einem russischen Juristen und Musiker, der sich als Al vorstellt, begleitet. Er zeigt Riot Brigade und den Pestpocken an diesem Abend noch den Roten Platz und das berühmte Grabmal des unbekannten Soldaten, mit dem der sowjetischen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges gedacht wird. Auf der anschließenden Rückfahrt mit der Metro erklärt Al, dass während der Bombardierung Moskaus durch die deutsche Wehrmacht etliche Metro-Stationen von Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt als Luftschutzbunker genutzt wurden. Geschichte ist an diesem Wochenende überall greifbar, in der politischen, sozialen, architektonischen Gegenwart Moskaus, in den Gesprächen der Band. Am Ende geht es noch in eine Kneipe, die Al ausgesucht hat, »weil der Laden billig ist, Frauen nicht angemacht werden und hier keine Betrunkenen rumstressen«, wie er auf Englisch erklärt. Eine Flasche Bier kostet satte sechs Euro, ein Beispiel für das bizarre Nebeneinander von obszönem Reichtum, hohen Preisen und drastischer Armut, das in der Stadt vielfach zu beobachten ist.
Freitag ist der Tag des Konzerts. Nachmittags wird der kleine Backstage-Raum im »Plan B« bezogen. Die Bands begeben sich nacheinander zum Soundcheck. Dann heißt es Warten. Russischer Wodka, Plastikflaschen mit je zwei Litern Bier, saure Gurken und Säfte werden gereicht. Mehrere Musiker von Normy Moraly stoßen mit Wodka an und fordern Andrea und die Mitglieder von Riot Brigade zum Mittrinken auf.
Der Einlass beginnt. Zum Konzert kommen viele sehr junge Punks. An der Tür werden sie von Securitys kontrolliert, an der Garderobe hängen Mitarbeiterinnen des Clubs die Nietenjacken auf, die Gäste ausziehen müssen. Vor dem Gebäude steht ein Bus der Polizei, später betreten zwei Polizisten den Club. Sie stehen eine Weile herum und beobachten das Geschehen. Für einen kurzen Moment ist unklar, ob sie das Konzert beenden wollen. Schließlich holen sie an der Theke mehrere Longdrinks und verlassen den Raum. Fritz meint dazu: »Es heißt, dass linke Konzertveranstalter hier schon mal die Cops schmieren, damit sie das Konzert vor rechten Angriffen schützen.«
Zunächst spielen die beiden russischen Bands, es folgen die Pestpocken, dann Riot Brigade. Das Publikum jubelt, vor der Bühne bewegt sich eine wogende Masse tanzender, gröhlender Punks. Wadim ist mit seinem großen grünen Iro kaum zu übersehen und steht direkt vor der Bühne: »Ich bin extra wegen Riot Brigade ein paar Stunden mit dem Zug aus St. Petersburg angereist«, erzählt er, »ich höre sie seit vielen Jahren, das ist so cool, sie jetzt live zu sehen.« Jo und Panne schenken Wadim eine Platte und Aufnäher. Als Riot Brigade auftreten, wendet sich Fritz, der Sänger, in einer Ansage zwischen zwei Songs explizit gegen Rassismus, Nationalismus und Homophobie. Ein paar Leute im Publikum applaudieren. Marian trägt ein Shirt, auf dem »Equality« gefordert wird. Der Sänger der später am Abend spielenden Restarts trägt ein Shirt mit der Aufschrift: »Homophobia is Gay«.
Um elf Uhr endet das Konzert, es war ein guter Abend, ohne Nazistress oder sonstigen Ärger. Die Gäste werden von den Securitys vor die Tür geschickt. Es wird geputzt und »Plan B« verwandelt sich in einen Techno-Club. Artim bedankt sich beim Abschied, zwei Taxis holen die Bands ab und bringen sie zurück ins Hotel. Dort kommt es nachts noch zum Tumult, weil ein Gast wegen zu lauten Telefonierens von einem anderen Gast geschlagen wird. Die Hotelbetreiberin ruft die Polizei, die nimmt den Mann, der telefoniert hat, mit.
Am Samstag sind Andrea und ihre Riot Brigade in Moskau unterwegs. Sie nutzen den sonnigen Herbsttag für einen Ausflug zum Park Pobedy, dem »Siegespark«, einem großen Areal im Westen der Stadt, das mit Gedenkkirche, -synagoge und -moschee sowie einem Museum an den Zweiten Weltkrieg erinnert.
Am Sonntagnachmittag fliegen Riot Brigade gemeinsam mit Andrea wieder zurück nach Deutschland. Am Sonntagabend stürmt in Moskau wegen des Mordes vom Donnerstag ein rassistischer und nationalistischer Mob aus mehreren tausend Menschen die Straßen und einen Großmarkt, in dem zahlreiche Migrantinnen und Migranten arbeiten. Die aggressive Menge ruft Parolen wie »Russland den Russen«. Das Punkkonzert, so wird in der Rückschau deutlich, fand in einer politischen Nische statt, in einem Mikrokosmos, der dem gesellschaftlichen Mainstream erkennbar entgegensteht.