Basketball und Sozialarbeit in Hamburg

Profis im Problemviertel

Der ehemalige Basketball-Nationalspieler Marvin Willoughby plant mit den Hamburg Towers eine Verbindung aus Bundesliga-Basketball und Sozialarbeit.

Das ist doch mal eine amtliche Durststrecke: Mehr als zwölf Jahre ist es her, dass es einen Hamburger Vertreter in der Basketball-Bundesliga (BBL) gab. Die BCJ Tigers spielten von 1999 bis 2001 erstklassig, stiegen ab und mussten ein Jahr später Insolvenz anmelden. Seitdem hat es wiederholt Versuche gegeben, eine Profimannschaft in der Hansestadt aufzubauen – jetzt ist das Thema plötzlich wieder aktuell. Schon in der Saison 2014/2015 könnte unter dem Namen Hamburg Towers eine Mannschaft in der ersten Liga spielen. Möglich soll das eine Wildcard machen, die von der BBL vergeben wird, wenn ein sportlich qualifiziertes Team die Lizenzauflagen nicht erfüllen kann oder will und dadurch ein Platz in der Liga frei wird. Das ist seit 2008 viermal vorgekommen, zuletzt wurde den Düsseldorf Baskets für die Saison 2013/14 die Lizenz verweigert. Über die Wildcard-Vergabe wird im Mai entschieden, die Signale der BBL-Offiziellen in Richtung Towers sind positiv: »Wir wollen die stärkste Liga Europas werden, da würde uns Hamburg als Standort sehr freuen«, sagte BBL-Geschäftsführer Jan Pommer auf ­einer Pressekonferenz im Hamburger Rathaus. Der Name einer Großstadt hat Strahlkraft und macht die Liga für Sponsoren und Fernsehsender interessant.
Die Towers stehen jedenfalls bereit. Zu dem Projekt gehören die ehemaligen deutschen Basketball-Nationalspieler Pascal Roller und Marvin Willoughby für den sportlichen Bereich sowie die Geschäftsführer Wolfgang Sahm und Jochen Franzke. In kurzer Zeit ist es ihnen gelungen, Sponsoren zu gewinnen und ein Budget von knapp vier Millionen Euro vorzuweisen. Das ist deutlich mehr als die von der BBL geforderten anderthalb Millionen, aber viel weniger als zum Beispiel die etwa neun Millionen Euro des FC Bayern Basketball. Es gibt noch keine Spieler, keinen Trainer, und auch der Name ist noch ein Arbeitstitel – aber der Spielort steht bereits fest. Wenn alles planmäßig verläuft, werden die Towers in Hamburg-Wilhelmsburg ihre Heimspiele austragen. Zurzeit wird dort die zur Internationalen Gartenschau 2013 errichtete Blumenschauhalle in eine Sporthalle mit Tribünen für ungefähr 3 000 Zuschauer umgebaut.
Wilhelmsburg liegt südlich der Elbe und hat schon wegen dieser geographischen Lage einen Sonderstatus im Stadtgefüge, aber die Halle ist vom Hamburger Hauptbahnhof in acht Minuten mit der S-Bahn zu erreichen; ideal also für Basketballinteressierte aus anderen Stadtteilen. Normalerweise vermeiden viele Hamburger die Fahrt nach Wilhelmsburg, denn der flächenmäßig größte Stadtteil gilt als Problembezirk: Elf Prozent Arbeitslosenquote, ein Viertel der Bewohner ist auf Hartz IV angewiesen. Dass mehr als 70 Prozent der Wilhelmsburger Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben, wird üblicherweise ebenfalls negativ bewertet. Die Pläne der Towers-Verantwortlichen sehen nicht vor, dass der neue Club ausschließlich dem Amüsement anreisender Fans dient. Den bisherigen Verlautbarungen zufolge möchte man eine Anbindung an den strukturschwachen Stadtteil schaffen, an lange bestehende Projekte unter anderem im Bereich Sportsozialarbeit anknüpfen und diese ausbauen.
Verantwortlich dafür wird Marvin Willoughby sein. Der 35jährige gilt als bester Basketballspieler, den Hamburg bis heute hervorgebracht hat. Der Sohn einer Deutschen und eines Nigerianers wuchs in Wilhelmsburg auf und spielte für den Hamburger Verein SC Rist Wedel in der zweiten Liga. Später war er unter anderem bei den Bundesligisten Würzburg und Köln unter Vertrag und spielte 35 Mal für die deutsche Nationalmannschaft, so auch bei der Europameisterschaft 2001. 2006 musste er wegen einer Verletzung seine Karriere beenden. Unmittelbar danach begann er mit seinem Engagement für Jugendliche, vor allem für jene aus benachteiligten Stadtgebieten.
»Anfangs lief das auf einem ganz niedrigen Level ab«, erzählt er beim Gespräch in Wilhelmsburg. »Ich habe zusammen mit ein paar Freunden in Wedel (Vorort von Hamburg, Anm. d. Red.) ein Basketball-Camp organisiert, und dann bekamen wir ganz viel positives Feedback von den Jugendlichen und den Eltern. Besonders eine Mutter war begeistert. Sie rief mich an und berichtete mir, dass ihr Sohn ihr erzählt hat, wie man am besten einen Streit schlichtet. Da haben wir erst gemerkt: Wir können den Jugendlichen in einer Woche nicht nur Korbleger beibringen, sondern auch das Miteinander schulen, und zwar spielerisch.«
Um weitere Veranstaltungen dieser Art auf professionellere Weise anbieten zu können, gründeten Willoughby und seine Freunde den Verein »Sport ohne Grenzen«, der selber ein Teil eines noch umfangreicheren Konzepts mit dem Namen Insel-Akademie geworden ist. Geldgeber sind unter anderem die Stadt sowie eine private Stiftung. Zu den Aktionen der Insel-Akademie gehören niedrigschwellige Ange­bote wie Mitternachtsbasketball sowie Kombinationen aus Basketball-Training und Hausaufgabenhilfe. »Sport ohne Grenzen« übernimmt unter anderem die Aufgaben eines klassischen Breitensportvereins und organisiert den Trainings- und Spielbetrieb für Basketball-Teams.
Zur Insel-Akademie gehören auch die Piraten Hamburg, deren Trainer Willoughby ist. Dort kommen die besten Basketball-Talente aus den Hamburger Vereinen zusammen, trainieren zusätzlich zu den Einheiten ihres Stammvereins und treten mit den Piraten in der Jugend- oder der Nachwuchsbundesliga an. Schon früh sah das Konzept der Insel-Akademie den Aufbau einer Bundesliga-Mannschaft vor – lange bevor Willoughbys ehemaliger Nationalmannschaftskollege Pascal Roller und dessen Mitstreiter die Towers-Idee entwickelten und schließlich auch an Willoughby herantraten und ihn beteiligten.
»Die Profimannschaft wird das Image des Stadtteils verbessern und das Selbstwertgefühl der Menschen stärken«, glaubt Willoughby. »Wenn ein 15jähriger aus Wilhelmsburg dann ins feine Othmarschen kommt und sagt, wo er herkommt, dann hört er nicht: ›Armer Kerl! Da fliegen dir bestimmt ständig die Kugeln um die Ohren‹, sondern: ›Geil! Da spielt doch diese coole Basketball-Mannschaft.‹« Und er fügt hinzu: »Außerdem wird die Profimannschaft verpflichtet, zehn Prozent des Gesamtetats in unsere sportlichen und sozialen Projekte zu investieren. Es wird nicht so sein wie bei manch anderem Verein, wo es einen Sportdirektor und einen Jugendkoordinator gibt und der Jugendkoordinator froh sein darf, wenn er mal eine Hallenzeit bekommt. Bei uns haben beide die gleiche Wichtigkeit, deshalb bin ich auch sicher, dass unsere Idee von sozialem Engagement weiterleben wird.« Viel verspricht er sich von der neuen Halle, zu der auch ein Haus mit betreuten Jugendwohnungen sowie Räumlichkeiten für Fortbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen gehören werden. »Wir wollen einen Ort schaffen, der allen offensteht, an dem es tolle Angebote gibt und an dem man die Profis treffen kann. Zu den Heimspielen wird die Halle eine Show-Bühne für die Jugendlichen aus dem Stadtteil sein. Sie können zum Beispiel die Trikots der Mannschaft designen, Musik auflegen, in den Halbzeitpausen ihre Tanzeinlagen präsentieren oder was immer ihnen einfällt. Sie sind aufgefordert, ihr Talent zu zeigen, und wir werden sie intensiv auf ihre Auftritte vor­bereiten.« Angestrebt wird außerdem, dass Spieler aus den Piraten-Teams den Sprung zu den Profis schaffen.
Finanzielle und mediale Hilfe bekommen Willoughby und die Towers von der Stadt Hamburg, Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist ein wichtiger Unterstützer. Das Kalkül der Regierung ist vermutlich, dass die Existenz einer Bundesliga-Mannschaft dazu beiträgt, den seit einigen Jahren zu beobachtenden Aufwertungsprozess des Stadtteils weiter zu beschleunigen. In den Leitlinien der Sportpolitik des Senats (die sogenannte Dekadenstrategie »Hamburg macht Sport«) wird Sport als wichtiger Faktor von Stadtteilentwicklung genannt. So heißt es darin: »Sportveranstaltungen und -veranstalter liefern gezielte Beiträge zur Attraktivierung der benachteiligten Quartiere und tragen zur sportlichen Aktivierung vor Ort bei.« Grundsätzlich ist gegen attraktive Stadtteile ja nichts einzuwenden, aber eine Aufwertung führt bekanntlich in vielen Fällen auch zu steigenden Mieten und zur Verdrängung der einkommensschwachen Bevölkerung. Das ganze Programm eben, das seit Jahren unter dem Schlagwort Gentrifizierung diskutiert wird.
»Das ist ein sensibles Thema, und ich teile vieles von der Kritik, die im Zusammenhang mit der Aufwertung Wilhelmsburgs geäußert wird«, sagt Willoughby. »Aber ich möchte nicht nörgelnd am Rand stehen. Hier passiert seit Jahren sehr viel. Da ich diesen gesamten Prozess eh nicht aufhalten kann, versuche ich wenigstens, ihn mit meinen Mitteln mitzugestalten, etwas Gutes daraus zu machen. Wir streben eine Verbindung aus Gemeinnützigkeit, Breitensport und Profisport an, die es in dieser Form bis jetzt in keinem anderen Verein gibt. Wir hoffen, dass viele Jugendliche aus diesem Stadtteil davon profitieren und dabei etwas fürs Leben mitnehmen. Darin kann ich nichts Schlechtes erkennen.«