Deutsche Mobs und linker Antirassismus

Die Bürokratie des Mobs

Gerade in diesem Jahr, in dem Wahlen in Sachsen und zum Europaparlament anstehen, kommen auf die antirassistische Bewegung große Herausforderungen zu. Ein Antirassismus, der nicht auch die staatliche Migrationspolitik zum Ziel hat, ist ­jedoch sinnlos.

Etwa 150 000 Asylsuchende kamen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge im Jahr 2013 nach Deutschland. Erfahrungsgemäß erlangen etwa ein Viertel einen vorläufig sicheren Aufenthaltsstatus, tatsächliches Asyl nach Paragraf 16a Grundgesetz erhalten allenfalls ein, zwei Prozent. Die Antragszahlen sind höher als in den Vorjahren, gemessen an den weltweiten Migrationsbewegungen jedoch gering. Der Zuwachs ist in Deutschland kaum spürbar. Der Blick auf die konkrete Unterbringung macht das deutlich: Wir sprechen hier etwa von 800 neuen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern in einer Halbmillionenstadt wie Leipzig oder 200 in einer Stadt wie Schneeberg, deren Einwohnerzahl sich Jahr für Jahr um 300 reduziert. Trotzdem entfacht die Unterbringung der Asylsuchenden in beiden Städten hartnäckigen Widerstand und zumindest in Schneeberg breitenwirksame Proteste, nicht nur von bekennenden Nazis, sondern auch von Leuten, die sich als »normale Bürger« verstehen. Ähnliches ist in anderen, vor allem ländlich geprägten Gegenden zu verzeichnen, wie Andrej Reisin in seinem Beitrag (Jungle World 46/2013) richtig festgestellt hat. Seine Schlussfolgerung jedoch, es handele sich hierbei lediglich um ein »paar Dörfer am Rande der Republik«, mutet seltsam an. Immerhin waren es genau solche Orte, die Anfang der neunziger Jahre die zentralen Handlungs- und Kulminationspunkte für den rassistischen Mob bildeten. Im Mittelpunkt standen damals Hoyerswerda, Rostock und Mölln und nicht Hannover, München oder Düsseldorf.

Das wichtigste politische Ergebnis der rassistischen Hetze der Neunziger war der sogenannte Asylkompromiss, jene Grundgesetzänderung im Jahr 1993, bei der das Asylrecht faktisch abgeschafft wurde. Die Demontage dieses Grundrechts hat bis heute Bestand und wird rege zur Verhinderung unerwünschter Migration genutzt. Durch die Definition von »sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten« werden bestimmte Passinhaberinnen und -inhaber und Menschen, die nicht per Flugzeug einreisen, vom Asylrecht ausgeschlossen. Die Folge sind Schnellverfahren und beschleunigte »Rückführungen« zu Lasten von Einzelfallprüfung und Rechtsschutz. Im neuen Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien darauf verständigt, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu »sicheren Herkunftsstaaten« zu erklären. Allesamt Staaten, aus denen zuletzt verstärkt Asylsuchende, darunter viele Roma, nach Deutschland gekommen sind. Dass diese etwa in Serbien massiver Diskriminierung und einem systematischen gesellschaftlichen Ausschluss ausgesetzt sind, ist hinlänglich bekannt, jedoch stört das die deutschen Koalitionäre nicht. Stattdessen ist ihre Reaktion auf die antiziganis­tische Stimmungsmache, den Einwanderern eine der letzten Möglichkeiten zur legalen Migration zu nehmen.

Die Bereitschaft, gegen unerwünschte Asylsuchende vorzugehen, ist also offenkundig unverändert vorhanden, was auch die von der CSU losgetretene Kampagne gegen sogenannte Armutseinwanderung illustriert. Der Unterschied zu den Neunzigern besteht vor allem darin, dass das nötige gesetzgeberische Werkzeug bereits zur Verfügung steht. Entsprechend geräuschlos voll­ziehen sich die Anpassungen des Asylrechts, entsprechend einfach ist es heute für politische Entscheidungsträger, Distanz zum rassistischen Mob zu wahren. Die rassistische Stimmung der neunziger Jahre ist in reines Verwaltungshandeln übersetzt worden und man beschränkt sich nunmehr auf dessen Vollzug. Substanzielle Verbesserungen für Geflüchtete bleiben selten. Selbst in Hamburg erweisen sich die zu bohrenden Bretter als deutlich dicker, und das trotz erfreulich breiter gesellschaftlicher Unterstützung für die Lampedusa-Gruppe.
Felix Schilk und Tim Zeidler (48/2013) wollen dennoch schon jetzt eine »veränderte gesellschaftliche Realität« erkennen, in der »Politik und ­Gesellschaft (…) antirassistische(s) Terrain in Beschlag« nehmen. Dabei erliegen sie einem Fehlschluss. Denn auch wenn diesmal das offene Bündnis zwischen gesellschaftlichem Establishment und rassistischem Mob ausbleibt, bedeutet das noch lange nicht den Siegeszug antirassistischer Positionen. Darauf hat Felix Fiedler eindrücklich hingewiesen (49/2013). Die Katastrophe findet hier und heute und vor unseren Augen statt. Und sie geht auch nicht zwangsläufig mit rassistisch oder ethnisch begründeten Ungleichwertigkeitsideologien einher, im Zweifel genügt auch der bloße bürokratische Verweis auf die falsche Staatsbürgerschaft und eine weitgehende Ignoranz gegenüber der europäischen Abschottungspolitik und ihren tödlichen Folgen.
Wer sich nicht nur anlässlich einer rassistischen Mobilisierung im nächsten Kuhkaff mit antirassistischer Arbeit beschäftigt, lernt schnell, dass deutsche Asylpolitik nach wie vor und zuallererst auf Abschreckung und rassistische Sondergesetze baut. Selbst kleinen Zugeständnissen wie etwa der Lockerung der Residenzpflicht oder der Abschaffung von Gutscheinsystemen gehen jahrelange, ermüdende und von der Mehrheitsgesellschaft oftmals kaum beachtete Kämpfe voraus. Wer es bis nach Deutschland schafft, wird von Staats wegen systematisch benachteiligt und ausgegrenzt. Und genau diese durch die Politik der Neunziger entwickelte und in den Amtsstuben vollzogene Praxis schafft Anknüpfungspunkte für den rassistischen Mob auf der Straße, der die Ausgrenzung um eine ganz konkret fassbare, Angst einflößende Dimension erweitert. Hinzu kommen die kontinuierlichen rassistischen Angriffe und die zuletzt wieder steigenden Zahlen von Anschlägen gegen Unterkünfte von Asylsuchenden. Sie finden nur ausnahmsweise größere Beachtung in der jeweiligen regionalen oder bundesweiten Öffentlichkeit, werden ansonsten vielsagend beschwiegen und ignoriert.

Wirklich überraschend ist das nicht. Die soziologische Einstellungsforschung belegt regelmäßig die weite Verbreitung rassistischer und nationalistischer Ressentiments. Jede und jeder Vierte in Deutschland hat der Studie »Die Mitte im Umbruch« von 2012 zufolge eine »manifest ausländerfeindliche Einstellung«, in den östlichen Bundesländern sind es sogar 39 Prozent. Dass damit erst einmal nur Potentiale und Latenzen beschrieben sind, ist klar. Aus Einstellungen folgen nicht zwangläufig rassistische Handlungen. Insoweit ist Jan-Georg Gerber (50/2013) zuzustimmen, dass den rassistischen Mobs derzeit eine politische Entsprechung auf Seiten der bundesweit etablierten Parteien fehlt, die diese Einstellungen gezielt aufgreift und so die Bildung einer Bewegung erleichtert. Dass damit die Gefahr schon gebannt sei, erscheint dann aber doch voreilig. Zum einen, weil regionale Besonderheiten ausgeblendet und die Einflussmöglichkeiten von weniger etablierten Parteien vernachlässigt werden, zum anderen weil die aktuellen Organisierungsbemühungen der Rassistinnen und Rassisten mit dem Rückgriff auf Bürgerinitiativen und soziale Netzwerke verstärkt dezentral angelegt sind.
Die dezentralen Ansätze in Verbindung mit einer regional relevanten und kampagnenorientierten Partei bergen immer noch ein beachtliches Gefahrenpotential. Und mit der NPD steht eine Partei bereit, für die die jüngsten Entwicklungen die ersehnte Rettung vor der politischen Bedeutungslosigkeit sein könnten. Die Partei mag zwar bundespolitisch irrelevant und derzeit eher mit innerparteilichen Kämpfen beschäftigt sein, dennoch verfügt sie als wichtigste Nazistruktur in Deutschland über organisatorische Möglichkeiten, nicht nur punktuell, sondern auch in der Fläche – vor allem der ländlichen – rassistische Stimmungsmache zu forcieren. Die Ergebnisse der Bundestagswahl haben der NPD genau diesen Schritt nahegelegt. Dort, wo es rassistische Proteste gegen Asylunterkünfte gab, erzielte sie erhebliche Stimmgewinne. Entsprechend schnell kündigte sie an, im entscheidenden Wahljahr 2014 mit Europawahl und Landtagswahl in ihrem Kernland Sachsen, die bevorstehenden Wahlkämpfe genau mit diesem Thema zu bestreiten.

Dass der Wahlkampf mit einer erhöhten Gefährdung derjenigen einhergehen wird, die zur Zielscheibe rassistischer Hetze werden, liegt auf der Hand. Ob es der NPD gelingt, die rassistischen Mobilisierungen von Schneeberg dort und andernorts zu wiederholen, können wir nicht vorhersagen, die Nazis jedenfalls werden alles daran setzen. Allein die Möglichkeit sollte für eine antirassistische und antifaschistische Linke Grund genug sein, sich entsprechend darauf einzustellen. Dennoch gilt es, nicht in bloßer Feuerwehrpolitik zu verharren. Die aktuellen Mobilisierungen gegen Geflüchtete und Arbeitsmigranten stehen und fallen mit den rassistischen Sondergesetzen in Folge des »Asylkompromisses« und der europäischen Integration. Ohne den Kampf gegen die Diskriminierung von Staats wegen ist der Protest gegen die konjunkturell auftretenden Wellen rassistischer Hetze und Anschläge deshalb nicht nur sinnlos, sondern auch geschichts- und perspektivlos.