Platte Buch

Herbstwerk

Dauerregen, Sturm und Temperaturen, die zum Verweilen am Kamin einladen, dominierten die wenigen freien Tage in der trübsten Phase des Neun-Monate-Herbstes, die einst Winterurlaub genannt wurde. Die Augen auf der kabbeligen dänischen Nordsee, in der Hand eine Tasse Tee und die Ohren beim zweiten Album von Warpaint.
Bereits das im Herbst 2010 veröffentlichte Debütalbum »The Fool« wurde als Renaissance von Shoegaze und Dream-Pop gefeiert. In Ermangelung klarer Orientierungspunkte wahrscheinlich, die auch auf dem unbetitelten jüngsten Album der Band fehlen. Selbst eingängige Stücke, wie das bassgetriebene »Feeling Alright« oder die vorab veröffentlichte Single »Love is to Die« werden auseinandergespült wie die Sandburgen des Sommers am Strand vor der Haustür. Immer wieder rollt der verhallte, mehrspurige Gesang heran, brandet auf, schäumt und fällt in sich zusammen. Die Songs funktionieren wie das Artwork des Plattencovers: über­einandergelagerte Ebenen gehen in verschwommenen Konturen auf. Was beim ersten Durchhören wie ein formloser, aber seltsam einheitlich geknüpfter Klangteppich erscheint, erschließt sich später. Dient Musik als Schlüssel zu einem Assoziationsraum, fällt es später oft schwer, sich wieder von den Bildern zu lösen. Warpaint sind Meisterinnen der Kopfkino-Produktion. Ob das Album also auch ohne die Symbiose mit dem ans Fenster schlagenden Regen funktioniert, wird erst der Sommer ­zeigen. Wenn er denn kommt.

Warpaint: s/t. Rough Trade/Beggars Group (Indigo)