Stürze, Brüche, Sensationen

Wer sich in den vergangenen Wochen mittels der Medien über Angela Merkel und Michael Schumacher informiert hat, der kann heute wohl als Medizin-Experte gelten. Wie behandelt man einen Beckenbruch? Was versteht man unter einem Schädel-Hirn-Trauma? Welche Heilungschancen gibt es? Wie groß ist das Gesundheitsrisiko beim Skifahren? All diese zum Teil hochkomplexen Fragen können wir jetzt aus dem Stegreif beantworten. Immerhin etwas. Denn ansonsten haben die Unfälle der Kanzlerin und des mehrfachen Weltmeisters der Formel 1 nur eine alte Erkenntnis wieder zutage gefördert: Journalisten schlagen gerne über die Stränge, verlieren zuweilen jedes Maß. Unter dem Deckmantel aus vermeintlicher Informationspflicht und demonstrativer Anteilnahme muss auf Teufel komm raus alles möglich sein, auch das Unschickliche, das Unsit­tliche, das Unanständige.
Schon der Blick auf die Berichterstattung über die unglücklich gefallene Kanzlerin macht das hinlänglich deutlich. Sonderseiten, Sondersendungen, Sonderberichte: Die Aufregung in den Medien war derart groß, dass man schon nach einem Tag den Eindruck bekam, es stünde für unsere beschauliche Republik sehr viel auf dem Spiel. Wird die Bundeskanzlerin das Land überhaupt im Liegen regieren können? Kommt dafür ein Home-Office in Frage? Wie schmerzhaft war es für sie, auf vermutlich mehreren Kissen sitzend die Neujahrsansprache zu halten? Anscheinend gab es nichts Wichtigeres in der Welt als den derzeit beschwerlichen Alltag der Angela M. Sie einfach nur genesen zu lassen, kam offenbar nicht in Frage. Auch nicht die Vorstellung, dass Deutschland mal ein paar Tage ohne die allgegenwärtige Kanzlerin auskommen könnte.
Noch krasser geht es in Sachen Schumacher zu. Nur zur Erinnerung: Der Mann liegt im Koma, hat schwerste Gehirnverletzungen davongetragen. Vielleicht sogar irreversible. Und was machen die Medienleute, die zur Medienmeute mutieren? Sie stehen gewissermaßen neben dem Bett des ehemaligen Spitzensportlers, belagern das Krankenhaus, hängen an den Lippen der behandelnden Ärzte. Hauptsache, sie haben den Zugriff auf die neueste Nachricht, können diese dank Internet sofort publik machen. Sogar die Bitte der Familie, die Journalisten mögen sich endlich zurückziehen, die Angehörigen und den Patienten in Ruhe lassen, wird geflissentlich ignoriert.
Die Sensationsgier lässt uns abstumpfen, jede noch so berechtigte Kritik an einem durchs Ego gestählten Panzer abprallen. Hauptsache, das Private wird öffentlich. So ist nun mal der Zug der Zeit, mag man resignierend einwenden. Irgendwie beschämend bleibt es trotzdem.