Klobürste gewinnt! Die linke Debatte über Protest und Militanz

Worum ging’s noch mal?

Radikale Linke protestieren mit Klobürsten für das Demonstrationsrecht in Hamburg, ihre ursprünglichen politischen Anliegen sind aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Das Distanzierungsbedürfnis gegenüber militanten Aktionen ist enorm, dabei gibt es hauptsächlich Spaß-Protest.

Seit der durch die Hamburger Polizeiführung recht gewalttätig »aufgestoppten« und zerschlagenen Demonstration vom 21. Dezember für den Erhalt des sozialen Zentrums Rote Flora, ein Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge und ein Wohnrecht der Mieter der absichtlich heruntergewirtschafteten »Esso-Häuser« rotiert Hamburgs radikale und nicht so radikale Linke. Seitens der Polizei, des Senats und der tonangebenden Hamburger Medien wurde wegen der Gegenwehr Demonstrierender im klasssisch-autonomen Outfit gegen die polizeilichen Nahkampfeinheiten eine »neue Qualität linksextremer Gewalt« behauptet. Prompt begann ein Distanzierungstango, der in dem Appell »Hamburger gegen Gewalt« von Springers dominanter Lokalzeitung Hamburger Abendblatt kulminierte.
Zu den üblichen Prominenten gesellten sich zahllose Wutbürger, »immer mehr Menschen solidarisieren sich mit den verletzten Polizisten und fordern ein Ende der Ausschreitungen«, schrieb die Redaktion begeistert. Die Bürgerinitiative »WIR sind Eppendorf« erklärte, sie schließe sich »aus Anlass der gewalttätigen Auseinandersetzungen im Schanzenviertel der letzten Tage und Wochen dem gemeinsamen Appell aller Bürgerschaftsfraktionen vom 19.12.2013 gegen Gewalt an«. In diesem Appell wurde vor der Demonstration erklärt, warum sein Recht zu demonstrieren verwirke, wer sich nicht an die Spielregeln des Staats halte: »Demonstrationen müssen friedlich und gewaltfrei sein. Niemand hat das Recht, durch gewaltsame Aktionen seine Meinung zu vertreten oder gegen die Meinungsäußerung anderer vorzugehen. Wir ächten Gewalt.«

Linke und Grüne in der Hamburgischen Bürgerschaft unterstützten diese einseitig an die Demonstranten gerichtete Erklärung. Die Distanzierung von der Roten Flora und der sie unterstützenden autonomen Szene wurde und wird von vielen in der Stadt getragen. Selbst wer den Eskalationskurs der Polizeiführung kritisierte, distanzierte sich in der Regel pflichtschuldigst von »gewalttätigen Chaoten«. Auch aus dem plural-linken Bündnis »Recht auf Stadt«, das sich der Demonstration der Kampagne »Flora bleibt unverträglich« angeschlossen hatte, gab es entsolidarisierende Äußerungen.
Seitens der Demonstrationsveranstalter herrschte zwischen den Jahren Stille, so dass der Inszenierung der Polizei, die ein Bild von hemmungslos brutalen Chaoten zeichnete, nichts entgegengesetzt wurde. So konnte die Polizei auch unwidersprochen einzelne anonyme Äußerungen im Internet zum vermeintlichen Beweis für eine terroristische, auf tödliche Angriffe gegen Menschen orientierte enthemmte Militanz seitens autonomer Linker aufbauschen. Dabei besteht unter Hamburger autonomen Gruppen ein Konsens darüber, Gewalt gegen Menschen nicht gutzuheißen: »Gezielt Polizeibeamte anzugreifen und sie an Leib und Leben zu schädigen, das ist nicht der Aktionskonsens der autonomen Linken hier in Hamburg«, erklärte Andreas Blechschmidt, Aktivist der Roten Flora am 13. Januar gegenüber dem NDR: »Das gleiche gilt auch für diese aufgeblähten Militanz-Debatten, die in der Presse hochgespielt werden. Da scheint auch der Versuch dahinterzustecken, bestimmte Stimmungen erzeugen zu wollen.« Dieser Versuch ist erfolgreich. So unterstützt die Mehrheit der braven Bürger Hamburgs ebenso wie der SPD-Senat nach wie vor das Vorgehen der Polizeiführung, das in der Einführung eines sechs Tage bestehenden, die halbe westliche Innenstadt umfassenden »Gefahrengebiets« mit Sonderrechten für Polizeikontrollen und Ingewahrsamnahmen kulminierte.

Nicht nur Linke empfanden die verschärfen Polizeikontrollen als Belagerungszustand. Kontrolliert wurden bevorzugt Jüngere, die in kleinen Gruppen unterwegs und schwarz gekleidet waren. Da fuhren schon mal drei Mannschaftswagen mit Polizisten in Kampfmontur mit quietschenden Reifen an einem Kiosk im Schanzenviertel vor, weil dort ein paar Schwarzgekleidete auf dem Fußweg zusammenstanden und etwas tranken. An die 1 000 Personen wurden seit dem 4. Januar kontrolliert, 195 Aufenthaltsverbote und 14 Platzverweise erteilt, über 60 Menschen in Gewahrsam genommen, weitere fünf festgenommen – so die offizielle polizeiliche Bilanz.
Schnell entwickelten sich kreative, subversive, spaßige Aktionsformen. Die Teilnehmenden waren aber nahezu ausschließlich aktive Linke – viele Anwohner lehnten zwar die Gefahrengebiete ab, blieben aber auch auf Abstand zu den Protestierenden. Die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen waren, gemessen an der enormen medialen Aufmerksamkeit, äußerst dürftig.
So ist es fraglich, ob die Proteste und die bundesweite Kritik an den »Gefahrengebieten« zu deren Beendigung geführt haben oder nicht vielmehr der logistische Aufwand und die Unmenge an Überstunden, die durch die polizeiliche Dauerpräsenz auf der Straße angefallen sind. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat die Polizeiführung bis zuletzt gelobt. Da verwundert es nicht, dass es aus dem großen sozialdemokratischen Milieu Hamburgs keine Unterstützung für die Großdemonstration am kommenden Samstag unter dem Motto »Gefahrengebiete abschaffen! Recht auf Stadt für alle!« gibt. Radikale linke Gruppierungen rufen auf, aber auch »Die Linke« und die Grüne Jugend. Für Sonntag ruft der autonome Ermittlungsausschuss zu einer Kundgebung vor dem Untersuchungsgefängnis auf – denn einer der Festgenommenen vom 21. Dezember sitzt wegen eines internationalen Haftbefehls immer noch hinter Gittern.