Israel nähert sich den USA wieder an

Bewegung im Stillstand

Bei den Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde nähert sich Außenminister Avigdor Lieberman den USA wieder an. Das hat auch parteipolitische Gründe.

Als US-Außenminister John Kerry im Juli vergangenen Jahres verkündete, dass Israelis und Palästinenser innerhalb von neun Monaten ein umfassendes Friedensabkommen aushandeln wollten, war allen klar, dass dies ein mehr als ehrgeiziger Zeitplan war. Tatsächlich sollte mit dieser Frist wohl vor allem der Druck auf die Beteiligten erhöht werden, überhaupt zu irgendwelchen ­Ergebnissen zu gelangen. Für die US-Regierung scheint ein Scheitern der Verhandlungen das kleinere Übel zu sein gegenüber einem ebenso endlosen wie fruchtlosen Dialog, der in Wirklichkeit keiner ist.
Mit der Ankündigung, in Kürze einen Vorschlag für ein Rahmenabkommen zu unterbreiten, hat Kerry den Druck nun noch einmal erhöht. Am Rande eines Treffens mit Vertretern der Arabischen Liga machte er deutlich, dass er im Falle eines Scheiterns seiner Initiative nicht zögern werde, die dafür Verantwortlichen zu benennen. Obwohl der Inhalt des Rahmenabkommens noch unter Verschluss gehalten wird, ist bereits jetzt klar, dass sowohl Israel als auch die palästinen­sische Autonomiebehörde wesentliche Teile davon ablehnen werden. Dennoch hat Kerry es verstanden, die Dinge so sehr in Bewegung zu bringen, dass ein Misserfolg der aktuellen Verhandlungsphase keinesfalls sicher ist.
Am interessantesten sind die Wendungen des ­israelischen Außenministers Avigdor Lieberman. Bis zu seiner Zwangspause im Dezember 2012, als er aufgrund eines laufenden Gerichtsverfahrens wegen Amtsmissbrauchs zurücktreten musste, propagierte er das Ende der einseitigen Anlehnung Israels an die USA zugunsten einer »multidirektionalen« Politik. Damit sollte nicht zuletzt der US-amerikanische Einfluss auf die ­israelische Haltung gegenüber den Palästinensern geschwächt werden. Nun, nach seinem Freispruch und der Rückkehr ins Amt, ist Lieberman bemüht, Israel als unverbrüchlichen Verbündeten und sich selbst als besten Freund der USA zu präsentieren.

In den vergangenen Tagen hat Lieberman nicht nur wiederholt die Initiative Kerrys für eine Einigung mit den Palästinensern gelobt. Im deutlichen Unterschied zu den teils offen ablehnenden Äußerungen seiner Kabinettskollegen hat er erklärt, Kerrys Plan für ein Rahmenabkommen sei »das beste Angebot, das Israel jemals bekommen wird«. In einer Rede vor den israelischen Botschaftern betonte er die Bedeutung des Verhandlungsprozesses und seine Unterstützung für eine »umfassende und echte politische Einigung«. Israelische Beobachter notierten auch, dass die sonst üblichen Bekenntnisse zur Unteilbarkeit Jerusalems und zum Widerstand gegen die Aufgabe jüdischer Siedlungen im Westjordanland in der Rede fehlten. Stattdessen präzisierte Lieberman seine Vorstellungen über einen Gebiets­tausch mit einem zukünftigen palästinensischen Staat.
Spätestens in diesem Punkt wird deutlich, dass Liebermans neue Positionen keinen Linksschwenk bedeuteten, nicht einmal in der eigentümlichen politischen Geographie Israels, in der »links« die Offenheit für eine Einigung mit den Palästinensern meint. Denn das Gebiet, das Liebermann den Palästinensern im Tausch für die Siedlungsblöcke anbieten möchte, ist die von arabischen Israelis bewohnte Gegend um die Stadt Umm al-Fahm, das sogenannte Kleine Dreieck. Diese Idee, die Lieberman bereits vor mehr als zehn Jahren erstmals formuliert hatte, stieß auch dieses Mal wieder auf vehemente Ablehnung von Seiten linker und liberaler Kommentatoren. Vor allem aber sind die arabischen Israelis selbst keinesfalls gewillt, ihre sozialen, politischen und kulturellen Rechte als israelische Staatsbürger gegen eine unsichere Position in einem palästinensischen Staat einzutauschen. Weit mehr als sie es selbst zugeben, sind die arabischen Israelis vor allem eines: Israelis. In Liebermans Vorstellung eines ethnisch homogenen jüdischen Staats haben sie jedoch keinen Platz.
Stärker als von einem Sinneswandel ist die Haltung des israelischen Außenministers von innenpolitischen Überlegungen motiviert. Sein Ziel ist es weiterhin, in absehbarer Zeit Benjamin Netanyahu als Ministerpräsident zu beerben. Dafür braucht er gute Beziehungen zu den obersten Etagen der US-Regierung. Vor allem muss er allerdings seine innenpolitische Basis verbreitern, und dies kann er nur durch eine Verbindung seiner eigenen Partei »Israel Beitenu« mit Teilen von Netanyahus Likud. Ein erster Versuch in dieser Richtung war die gemeinsame Liste beider Parteien bei den letzten Parlamentswahlen.

Dies jedoch hat Lieberman noch nicht zum Ziel geführt, nicht zuletzt wegen eines erheblichen Widerstands im Parteiapparat des Likud. In seiner Kolumne in Haaretz beschreibt der Journalist Yossi Verter daher ein anderes Szenario, das in Jerusalem derzeit angeblich heiß diskutiert wird. Demnach setzt Lieberman auf eine Spaltung des Likud über die Frage der Zustimmung zum Rahmenabkommen. Lieberman würde dem von Netan­yahu geführten, linken Flügel des Likud seine Unterstützung anbieten und dafür die Zusage verlangen, in der Mitte der nächsten Legislaturperiode die Führung der so entstandenen neuen Partei und damit auch das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen.
Wie realistisch dieses Szenario auch sein mag, fest steht, dass der stärkste Widerstand gegen ein Rahmenabkommen mit den Palästinensern aus dem Likud kommt. Dort nimmt offenbar auch die Nervosität zu. Verteidigungsminister Moshe Yaalon ließ sich in der vorigen Woche dazu hinreißen, Kerry als »besessenen« und »messianischen« Politiker zu beschimpfen, der nur seinen eigenen Friedensnobelpreis im Sinn habe. Dies führte zu einer mittleren diplomatischen Krise zwischen Israel und den USA, so dass sich Yaalon bei Kerry entschuldigen musste. Der Nebeneffekt der Affäre für Lieberman ist, dass sich mit Yaalon ein anderer Kandidat für die Nachfolge von Netan­yahu zumindest vorläufig disqualifiziert hat. Netanyahu selbst wird durch Liebermans Charme-Offen­sive gegenüber den USA ebenfalls unter Druck gesetzt. Haaretz mutmaßt, dass er Kerrys Rahmenabkommen am liebsten zustimmen würde, ohne dass es in seiner Partei jemand bemerkt. Jedenfalls würde er es gerne vermeiden, es im Kabinett zur Abstimmung zu stellen. Vorläufig bemüht er sich darum, prophylaktische Kompensationen für den rechten Parteiflügel zu schaffen. So lehnt Netanyahu bislang jede Erwähnung von Jerusalem, dessen Ostteil die Palästinenser als Hauptstadt ihres Staats reklamieren, in dem Rahmenabkommen ab. Außerdem wurde in der vergangenen Woche der Bau von 1 400 neuen Wohneinheiten in Ostjerusalem und im Westjordanland ausgeschrieben.

Eine weitere Frage, in der sich die israelische Regierung unnachgiebig zeigt, ist die Anerkennung Israels durch die Palästinenser als jüdischen Staat. Die palästinensische Führung weigert sich strikt, dies zu tun, während Kerry bislang vergeblich versucht, die arabischen Staaten dafür zu gewinnen. Die Argumente der Palästinenser sind jedoch eher dürftig. Die Befürchtung, dass eine solche Anerkennung die Diskriminierung der arabischen Israelis legitimieren würde, könnte mit einer Formulierung leicht entkräftet werden, dass deren Rechte nicht beeinträchtigt werden dürfen. Dass eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel nicht in Frage kommt, ist auch der palästinensischen Führung längst klar. Die palästinensische Weigerung, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen, ist daher eine rein ideologische Haltung. In diesem Punkt hätte die palästinensische Führung die Gelegenheit, ohne große Mühen ein wesentliches Hindernis für die Einigung aus dem Weg zu räumen.