Geheimdienstpolitik in den USA und Europa

Gute Agenten, böse Agenten

In der Geheimdienstdebatte steht US-Präsident Barack Obama unter Druck – ­anders als die europäischen Regierungen.

Wenn der »mächtigste Mann der Welt« in einer Rede eine Gesetzesinitiative ankündigt, ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Denn er muss sich mit dem mächtigsten Parlament der Welt einigen, dem Kongress, dessen Abgeordnete ein Vorhaben des Präsidenten selten für alternativlos halten. Trotzdem wurde außerhalb der USA Barack Obamas am Freitag voriger Woche gehal­tene Rede zu den Überwachungsaktivitäten der National Security Agency (NSA) meist als Eintrag ins Gesetzbuch gewertet. Sich an den Vorschlägen Obamas abzuarbeiten, bietet zwei Vorteile. Man kann einmal mehr auf die arroganten Amis schimpfen und einmal mehr vermeiden, sich über die Aktivitäten der Geheimdienste des eigenen Landes Gedanken zu machen.
Dass Obama in seiner politischen Direktive zur Geheimdienstreform allen Menschen »ungeachtet ihrer Nationalität« ein »legitimes Interesse« an der Wahrung ihrer Privatsphäre zugesteht, ist zwar nur eine vage Absichtserklärung, aber eine, die seitens aller anderen Regierungen – etwa der deutschen hinsichtlich der Abhöraktivitäten des Bundesnachrichtendienstes in Pakistan und Afghanistan – noch aussteht. Der wichtigste Vorschlag ist, der NSA die direkte Verfügung über die Metadaten zu entziehen und diese nur auf Gerichtsbeschluss zugänglich zu machen. Aus bürgerrechtlicher Sicht ist das nicht ausreichend, es entspricht jedoch – abgesehen von der vorgesehenen längeren Speicherdauer – dem geltenden EU-Recht über die Vorratsdatenspeicherung. Mehr war von Obama kaum zu erwarten. Die Bedeutung seiner Rede liegt in dem historisch seltenen Vorgang, dass der höchste Repräsentant der Exekutive überhaupt eine Einschränkung geheimdienstlicher Befugnisse vorschlägt.
Obama steht unter dem Druck des Kongresses und der Justiz. Im Dezember erklärte der Distrikt­richter Richard Leon die NSA-Überwachung für wahrscheinlich verfassungswidrig, kurz darauf sprach sein Kollege William H. Pauley zwar ein gegenteiliges Urteil aus, doch es ist keineswegs ausgeschlossen, dass das Oberste Gericht auf der Grundlage des vierten Verfassungszusatzes, der »willkürliche Durchsuchungen« untersagt, erhebliche Einschränkungen der Geheimdienstaktivitäten verfügt. Im Kongress haben sich liberals und libertarians gegen die Überwachungspraxis verbündet, und wenn keine ihnen genehme Einigung zustande kommt, müssen sie nur abwarten. Im kommenden Jahr läuft Section 215 des Patriot Act aus, wenn es bis dahin kein neues Gesetz gibt, existiert für die NSA-Überwachung keine legale Grundlage mehr.
Da das Unbehagen in der Öffentlichkeit groß, der Druck der Straße aber dürftig ist, ist es unwahrscheinlich, dass ein Gesetz von der Tragweite des 1966 beschlossenen Freedom of Information Act herauskommt. Einschränkungen der Geheimdiensttätigkeit aber wird es in den USA geben, während die europäischen Agenten sogar mit einer Stärkung ihrer Befugnisse rechnen können, um Cyberattacken raumfremder Mächte abzuwehren. Denn in Europa ersetzen Staatsgläubigkeit und Antiamerikanismus den Kampf um Bürgerrechte, noch der bornierteste libertarian der Tea-Party-Bewegung hat ein größeres Bewusstsein für seine Rechte als ein durchschnittlicher europäischer Sozialdemokrat oder Liberaler.