Berlin Beatet Bestes. Folge 227.

Der Sanfteste gewinnt

Berlin Beatet Bestes. Folge 227. Puhdys: Wenn ein Mensch lebt (1973).

Mit größter Selbstverständlichkeit werde ich immer wieder mit Fußballergebnissen und überhaupt dem Thema Fußball belästigt. Immer sind es Männer und nie scheinen sie sich auch nur im Geringsten dafür zu schämen, mich mit diesem langweiligen Mist zu nerven. Klar gibt es auch Frauen und Linke, die Fußball mögen, aber das ändert gar nichts. Noch in tausend Jahren wird es ein Männersport bleiben, weil man dafür nicht gut reden muss, aber unheimlich viel darüber reden kann. Wenn ich allerdings denselben Fußballfans erzähle, dass ich »Big Brother« oder »Dschungelcamp« schaue, höre ich: »Wie? Den Schwachsinn guckst du?« Im Gegensatz zu Fußball werden Reality-Formate wie »Ich bin ein Star, holt mich hier raus!« in erster Linie für Frauen gemacht, denn die interessieren sich mehr für soziale Beziehungen als Männer. Warum sollte ein Fußballspiel interessanter sein, als eine Gruppe von Leuten zu beobachten, deren Aufgabe darin besteht, es wochenlang auf einem begrenzten Raum miteinander auszuhalten?
Das für diese Herausforderung immer nur vorgebliche Medienprofis ausgesucht werden, muss wohl so sein. Sozi­ale Profis sind die Kandidaten jedenfalls nie. Aber es sind immer die gleichen Typen: das egozentrische Model, der sportlich Hübsche, die Schwuchtel, die Pornodarstellerin, Oma oder Opa und ­die Statisten. Alle sind es gewohnt, sich selbst zu präsentieren, dennoch fallen die Masken recht schnell. Als Zuschauer interessiert mich vor allem, wie unbeschadet die Einzelnen die Zeit überstehen, denn auch die Gruppendynamik ist von Staffel zu Staffel die gleiche. Eben noch Moderatoren, Schauspieler und Sportler, wird der Großteil umgehend zu Statisten, die apathisch auf ihren Feldbetten hocken. Aus schierer Unfähigkeit, selbst etwas zu tun, einigen sie sich dann darauf, die egozentrische Person, diesmal gespielt vom Model Larissa Marolt, zu mobben. Angeführt wird der Mob diesmal von Winfried Glatzeder, dem einst kultigsten DDR-Schauspieler, dem aus »Die Legende von Paul und Paula«. Opa Winfried spielt den dominanten Kinski. Und so wie bei Kinski verschmelzen leider Fiktion und Wirklichkeit miteinander. Der geifernde, hetzende Opa ist tatsächlich böse. Und das nur scheinbar total verpeilte, egozentrische Model beweist Stärke, trotzt dem wachsenden Gruppendruck und trinkt den pürierten Schweine­anus in der Dschungelprüfung eben nicht. In der trashigsten Sendung des deutschen Fernsehens lässt sich, trotz der überflüssigen Ekelprüfungen und der traurigen Darsteller, gut beobachten, wie man in einer schwierigen Gruppenkonstellation moralisch unbeschadet bleibt. Folgerichtig gewinnen auch immer nur die­jenigen, die es schaffen, ihre Mitspieler am wenigsten zu verletzen.
Eine Single habe ich auch noch. Die Ostberliner Puhdys spielten die zwei Titel daraus, »Wenn ein Mensch lebt« und »Geh zu ihr«, 1973 in dem Film »Die Legende von Paul und Paula«.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.