Des Königs neue Kleider

Ein wirklich äußerst vertrackter Job, einer, den man sich nicht mal selbst aussuchen kann, zu dem man gewissermaßen zwangsverpflichtet wird, ist: der Konsument. Der Konsument übt in der Regel noch einen Zweitjob aus, das muss er sogar, um den Verpflichtungen, die er als Konsument hat, überhaupt halbwegs gerecht werden zu können.
Früher hieß er mal König Kunde, aber die Zeiten sind vorbei, heute ist er Konsument oder noch böser »Verbraucher«. Wie sich das schon anhört. Verbraucher-Verbrecher-Versager. Dazu noch Verantwortungsträger. Und er trägt schwer daran. Alles, wirklich alles wurde auf seine kleinen Schultern gepackt. Das ist so schön praktisch, denn durch seinen Job können Konzerne und Produzenten ihre Aufgaben mit der nötigen Gelassenheit ausüben. Worum die sich sonst alles kümmern müssten! So aber ist der Konsument ganz alleine verantwortlich. Zum Beispiel für die Atomenergie. Weil: Wenn er die nicht haben will, dann soll er die einfach nicht konsumieren, also kaufen. So einfach ist das. Wenn der Konsument keine unterbezahlten Arbeiterinnen für seine Kleidung haben möchte, lautet die einfache Antwort genauso: Dann kauf es halt nicht, du Blödmann! Nicht der Produzent ist zuständig, sondern der Konsument. Ob es um Pestizide auf Teeblättern geht oder um Massentierhaltung, um Kinderarbeit in Ländern, deren Namen der Konsument kaum auf dem Atlas zeigen könnte, oder ob wegen seltener Erden ganze Landstriche verwüstet werden: Der Konsument ist schuld daran. Nur er kann es ändern. Dann würde auch anders produziert werden. Aber der Kunde möchte es so, und darum werden weiter rosa Feen auf High Heels für Mädchen und blaue Handwerkerfiguren für Jungs hergestellt.
Nur im allergrößten Notfall, wenn nämlich der Konsument mal tatsächlich etwas verweigert, muss der Bundestag oder die EU ran. Ihr wollt kein Benzin aus Nahrungsmitteln? Dann müssen wir verdammt nochmal eben ein Gesetz einführen. Lohn in Form von Geld erhält der Konsument natürlich nicht für seinen Job, aber das macht nichts. Denn er bekommt etwas viel Wichtigeres: Macht. Die vielbeschworene Macht der Verbraucher. In der Realität entpuppt sich diese Bezahlung als eine Art Kryptomacht, sie gibt es nur in der Phantasie. Erschütternd nur, wie viele Konsumenten glauben, sie würden über echte Macht verfügen, und sich daher das Leben sehr, sehr schwer machen, weil sie sich für alles verantwortlich fühlen. »Was soll man denn überhaupt noch guten Gewissens kaufen?« So greinen sie zwar manchmal, aber daraus folgt: nichts. Hier und da mal eine Demo, die keinem wehtut. Diese Verantwortungsübergabe ist wohl die erfolgreichste Umdeutung von Machtverhältnissen der vergangenen Jahre. Sie sind schon ganz schön arme Trottel, diese Konsumenten.