Prozess wegen eines Angriffs von Nazis auf Linke in Hoyerswerda

Eine Stadt und ihre Nazis

In Hoyerswerda terrorisierten Neonazis ein Paar. Der Fall sorgte für Aufsehen, weil die Polizei den Opfern nahegelegt hatte, aufgrund der Bedrohung die Stadt lieber zu verlassen. Am Montag endete der Gerichtsprozess.

Auf der Anklagebank im Amtsgericht Hoyerswerda herrscht beste Stimmung, für Erheiterung sorgte die Äußerung: »Da ist man einmal betrunken …« Einer der Angeklagten trägt Kleidung der Marke »Thor Steinar«, ein anderer einen schwarzen Kapuzenpullover mit der Aufschrift »Stolz und Treu. Sachsen«. Viele der acht Männer im Alter zwischen 18 und 36 Jahren tragen Glatze, alle sind stadtbekannt unter den Namen »Autonome Nationalisten Hoyerswerda« oder »NS-Hoy«. Der Saal im Amtsgericht Hoyerswerda mit seinen lediglich 50 Plätzen reicht nicht für alle angereisten Prozessbeobachter – die Hälfte der Sitze wird von Journalisten eingenommen, die anderen Plätze teilen sich Angehörige und Sympathisanten der Beschuldigten sowie Unterstützer der beiden Nebenkläger Ronny und Monique. Beide waren das Ziel eines nächtlichen Angriffs, an dem die angeklagten Nazis beteiligt waren.

Ronny und Monique, die beide in Hoyerswerda geboren und aufgewachsen sind, hatten regelmäßig rechte Sticker von Fassaden und Laternen in der Stadt gekratzt, »ganz bewusst am Tag, um ein Zeichen zu setzen«, erläuterte Ronny vor Gericht. Deshalb wurden sie zum Ziel von Naziattacke. In ihren Zeugenaussagen schilderten beide ihre dramatischen Erlebnisse vom 17. Oktober 2012. Sie seien beim Fernsehen aufgeschreckt worden, weil es Sturm klingelte, kurze Zeit später hätten sich sowohl im als auch vor und hinter dem Mehrfamilienhaus, in dem Ronny lebte, 15 dunkel gekleidete Personen versammelt. »Das Haus war umstellt«, beschrieb Ronny die Situation. Sowohl von der Straße aus als auch im Hausflur hätten die Angreifer die beiden bedroht und beschimpft. »Wir machen dich tot, deine Freundin wird vergewaltigt, deine Bude wird leer geräumt«, sind einige der Sätze aus jener Nacht, an die sich Ronny erinnerte. Die Angreifer stellten den Strom in der Wohnung ab, traten und schlugen gegen die Wohnungstür, machten sich an deren Schloss zu schaffen und verklebten den Türspion mit Nazistickern. Auch als erste Polizeibeamte an Ort und Stelle waren, konnten die Angreifer Ronny und Monique weiterhin beleidigen und bedrohen. Nach dieser Nacht fühlten sich beide nicht mehr sicher in Hoyerswerda und leben jetzt in einer anderen Stadt. Der Vorfall belastet sie bis heute, sie habe auch in ihrem neuen Wohnort »Angst rauszugehen«, beschrieb Monique gegenüber Journalisten ihre Situation. »Man fühlt sich zu Hause geborgen, und genau das wurde einem genommen«, so Ronny.
Genauso unentschlossen, wie die Polizei am Abend des 17. Oktober reagierte, ging auch Richter Michael Goebel im Amtsgericht mit Provokationen durch die Nazis auf der Anklagebank und ihre im Publikum sitzenden Sympathisanten um. Als Monique im Gericht beschreiben musste, wie sie von den anwesenden Nazis bedroht worden war, ertönten vom Handy des im Publikum sitzenden ostsächsischen NPD-Funktionärs Torsten Hiekisch hämische Lachgeräusche. Der Richter reagierte nicht darauf, Hiekisch musste lediglich Beschimpfungen aus dem Publikum über sich ergehen lassen. Zur Nacht des 17. Oktober 2012 war von den Beschuldigten wenig zu hören, nur drei von ihnen äußerten sich, am häufigsten fiel der Satz: »Das weiß ich nicht mehr, ich war betrunken.« Klaus Bartl, der Anwalt der Nebenkläger Ronny und Monique, ging während seiner Fragen an die Zeugen im Gericht besonders auf die Rolle der Polizei in der Nacht des 17. Oktober ein. Ihr Versagen und ihre Unfähigkeit, Ronny und Monique von der Bedrohung und »dieser Angst, diesem Druck und dieser Panik zu befreien«, war für ihn ein wesentlicher Grund, warum er im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs statt nur Bedrohung und Beleidigung stritt. Der Richter reagierte nach einigen kritischen Nachfragen Bartls an den Leiter des damaligen Polizeieinsatzes gereizt: »Sind hier die Polizeibeamten auf der Anklagebank oder die Angeklagten?« Dafür wurde er mit Lachern und Applaus von Nazis auf der Anklagebank und im Publikum belohnt. Dabei ist die Polizei Teil des Problems im Umgang mit Nazis in Hoyerswerda, denn sie reagiert häufig nur verhalten oder gar nicht auf rechte Aktivitäten. Es war bereits lange vor dem Übergriff auf Ronny und Monique bekannt, dass es in der Stadt eine gewaltbereite rechte Gruppe gibt, einige der Täter haben entsprechende Vorstrafen, die meisten sind bereits bei rechten Aktionen gesehen worden. So versammelten sich 2011 und 2012 am Rande von antifaschistischen Demonstrationen zum Gedenken an das rassistische Pogrom von 1991 zahlreiche Nazis, unter ihnen viele der Angeklagten, sangen das »U-Bahnlied« und zeigten den Hitlergruß.

Die beiden im Gerichtssaal befragten Polizisten, die in der Nacht des 17. Oktober 2012 als erste am Tatort eintrafen, hatten ebenso Erinnerungslücken wie die befragten Täter. Ob er beleidigende Äußerungen gehört habe, könne er nicht sagen, äußerte einer der Beamten, an Rufe und Drohungen könne er sich nicht erinnern, gab sein Kol­lege zu Protokoll. »Es gab keine aggressive Stimmung«, berichtete der damalige Einsatzleiter der Hoyerswerdaer Polizei ebenso wie alle seine befragten Kollegen. In der Antwort auf eine kleine Anfrage einer Landtagsabgeordneten zur Tatnacht berichtete der Sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) dagegen von einer »äußerst aggressiven Grundhaltung der Gruppierung«, schließlich war es der Polizei auch nicht gelungen, Personalien am Tatort aufzunehmen. Er habe seine Beamten nicht in Gefahr bringen wollen, berichtete der damalige Einsatzleiter. Seine Kollegen seien in jener Nacht für die Frage nach den Ausweisen von den Tätern »ausgelacht worden«. Ronny und Monique mussten sich, auch während die Polizei anwesend war, noch weitere zwei Stunden beleidigen und bedrohen lassen. »Die Bilder passen einfach nicht zusammen«, sagte Bartl der Jungle World, »es ist schwierig zu erkennen, dass der Wille da ist, den Sachverhalt aufzuklären.« Nach dem Angriff unternahm die Polizei nichts, um Ronny und Monique in Hoyerswerda zu schützen. »Es ist einfacher, zwei Personen von einem Ort zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen beispielsweise zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifenwagen vor eine Haustür zu stellen«, sagte Thomas Knaup von der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien einige Tage nach dem Vorfall dem MDR.

Dass die angeklagten Nazis nur wegen Bedrohung und Beleidigung vor Gericht standen, kritisierte Jens Thöricht, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft für antifaschistische Politik der Linkspartei Sachsen: »Das kommt einer Verharmlosung rechter Gewalt gleich, denn zutreffender wäre der Tatvorwurf des schweren Hausfriedensbruchs und des Landfriedensbruchs gewesen.« Davon konnte das Gericht nicht überzeugt werden. Allerdings sei es nicht die Motivation seiner Mandanten gewesen, »für hohe Strafen zu kämpfen«, sagte Bartl der Jungle World. Ronny und Monique hätten »einfach aufrütteln, zum Nachdenken bringen« wollen. Zumindest wurden alle acht Beschuldigten verurteilt. Einer von ihnen sitzt bereits eine Gefängnisstrafe ab und bleibt nun fünf zusätzliche Monate hinter Gittern, fünf der angeklagten Nazis erhielten Freiheitsstrafen zwischen acht und zehneinhalb Monaten, wobei die Strafen auf Bewährung zwischen zwei und drei Jahren ausgesetzt wurden, zwei weitere erhielten eine Jugendstrafe auf Bewährung. Eines haben Ronny und Monique mit dem Prozess erreicht: große Medienaufmerksamkeit für eine Stadt und ihre Nazis. Hoyerswerda ist nicht die einzige Kommune, die ein Problem mit Nazis hat, allerdings treten rechtsextreme Gruppen selten so offen und selbstbewusst auf, wie sie es in der ostsächsischen Kleinstadt können. Die Gründe dafür wurden allen Beobachtern des Prozesses vor Augen geführt: Provokationen und Grenzüberschreitungen werden oft ignoriert und hingenommen, der Polizei fehlt es an Sensibilität, Willen und Mitteln zur Verfolgung der Rechten und diejenigen, die sich offen gegen Nazis engagieren, werden schnell selbst zur Zielscheibe. Ronny und Monique mussten den Preis für eine jahrelang verfehlte Lokalpolitik im Umgang mit Nazis zahlen.